Asylrecht passt auf keinen Bierdeckel

GroKo Der Migrationspakt kündigt keine Zäsur beim Einwanderungsrecht an. Dabei ginge es einheitlicher, verständlicher und gerechter
Ausgabe 24/2019
... Dankbarkeit hingegen schon
... Dankbarkeit hingegen schon

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Verschärfung der Abschiebehaft, neue Sanktionen für Ausländer ohne Pass, niedrigere Leistungen für Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften, mehr Zugriffsmöglichkeiten der Behörden auf das Ausländerzentralregister, Erleichterungen für Fachkräfte: Das Migrationspaket der großen Koalition ist unübersichtlich. Aber so kompliziert, dass es keiner gemerkt hätte, wie Innenminister Horst Seehofer (CSU) witzelte, wurde es dann auch wieder nicht.

Denn kompliziert ist das Asyl-, Aufenthalts- und Einwanderungsrecht ohnehin schon. Komplizierter als das Steuerrecht, nur meistens sehr viel existenzieller. Wie im Steuerrecht beschränken sich Union und SPD seit Jahren darauf, hier ein Schlupfloch zu stopfen und da eine Vergünstigung einzuführen. Die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge etwa wurde erst abgeschafft – und nun wieder eingeführt. Je nach politischer Großwetterlage werden mit den zahlreichen Gesetzesänderungen verschiedene gesellschaftliche Gruppen bedient, oft leider Rechtspopulisten, manchmal Arbeitgeber, selten geht es wirklich um diejenigen, die von den ständigen „Kompromissen“ betroffen sind, nämlich Menschen, die aus verschiedensten Gründen aus ihrer Heimat fliehen oder auswandern wollen.

In diesem komplexen System haben sich alle ganz gut eingerichtet. Union und SPD ermöglicht es, immer neue „rechtspolitische Signale“ zu setzen und trotzdem noch, geradeso, humanitäre Mindeststandards zu wahren. Unverständliche Regelungen schüchtern die Betroffenen ein und führen in der öffentlichen Debatte zu Missverständnissen, die man offenbar gar nicht erst vermeiden will. Das gilt etwa für abgelehnte Asylbewerber mit Duldung: Sie sind „ausreisepflichtig“, obwohl bei vielen klar ist, dass sie aus gesundheitlichen, familiären oder formalen Gründen nicht abgeschoben werden können.

Das wiederum nützt auch der AfD und anderen rechten Kräften, denen genügend widersprüchliche und dysfunktionale Regelungen bleiben, auf die sie mit dem Finger zeigen können.

Die unübersichtliche Rechtslage können aber auch Migranten, Anwälte und engagierte Ehrenamtliche nutzen, die sich über Jahre in die Materie einarbeiten, Erfahrung sammeln und ein Fachwissen aufbauen, mit dem sie den Behörden teils überlegen sind. Schlussendlich finden viele Menschen eine Möglichkeit zu bleiben – nach einer gefährlichen Flucht und jahrelanger Unsicherheit. Das Migrationspaket wird an all dem nicht viel ändern. Von einer „Zäsur in unserer Migrationspolitik“ (Seehofer) kann keine Rede sein. Union und SPD setzten nur die Politik fort, die die große Koalition seit Jahren betreibt.

Dabei wäre eine echte Reform sinnvoll. Es wird kein Einwanderungs- und Asylrecht geben, das auf einen Bierdeckel passt, dazu ist das Thema zu komplex. Aber es wäre möglich, ein Migrationsrecht zu schaffen, das einheitlicher, verständlicher und gerechter ist – mit legalen Fluchtwegen, Kontingentlösungen und einem Einwanderungsrecht, das auch abgelehnten Asylbewerbern offen steht. Wenn man bereit wäre, Migration als ein Phänomen zu begreifen, das einer gewissen Regelung bedarf, sich aber nicht verhindern lässt. Wenn man bereit wäre, auf permanente Repression zu verzichten und stattdessen selbstbewusst eine Politik zu vertreten, die Menschen aus anderen Ländern ein Leben in Deutschland ermöglicht. Von der großen Koalition ist das wohl nicht zu erwarten.

Annelie Kaufmann ist Juristin und Journalistin

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