Zwei Drittel der Bevölkerung südlich der Sahara leben noch immer ohne Energieversorgung. Atomstrom soll das ändern, signalisieren immer mehr Regierungen von der Sahara bis zur Südspitze des Kontinents. Was einem Umbruch gleichkäme, denn derzeit werden in Afrika weniger als drei Prozent des Elektrizitätsbedarfs per Kernenergie abgedeckt. Seit die Rohölpreise drastisch steigen, wächst das Interesse an Atomstrom, sodass etliche Länder gesetzliche Vorkehrungen getroffen haben, um sich der Kernenergie widmen zu können.
28 der 53 Staaten Afrikas gehören mittlerweile zum Afrikanischen Forum für Atomregulierungsbehörden (FNRBA). Darunter Ägypten, das bis 2020 einen 1.000-Megawatt-Meiler bauen will. Oder Marokko mit einem für 2017 avisierten Atomeinstieg. Ghana gründete jüngst eine nationale Atomaufsichtsbehörde. Auch Angola, Algerien, Nigeria, Marokko, Tunesien, Namibia, Uganda und Kenia verschreiben sich der Kernenergie. Selbst Burundi, Kongo und die Kapverden sind der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) beigetreten. An Kernbrennstoffen fehlt es ebenfalls nicht – allein Namibia, Niger und Südafrika verfügen über riesige Uranvorkommen und könnten für etwa 15 Prozent des weltweiten Bedarfs aufkommen.
Gegen den Klimawandel
Südafrika verkörpert bei alldem so etwas wie die nukleare Avantgarde. Bis 2023 soll es dort sechs neue Meiler geben, die für ein Viertel des nationalen Energiehaushalts aufkommen. Zwar schien die Regierung des Präsidenten Jacob Zuma nach Fukushima kurz zu zögern, doch Ende Mai plädierte sie mit Vehemenz für gemeinsame afrikanische Anstrengungen, um bei der Elektrizitätserzeugung auf Atomstrom zurückgreifen zu können. Kernenergie, so der zuständige Minister Dipuo Peters, „das ist unsere Langzeitlösung gegen Stromausfälle und Klimawandel“. Im Oktober 2010 einigte man sich mit Algerien auf den Bau zweier Reaktoren, den ersten bis 2022, den zweiten bis 2027. Diesem Partner im Norden mangelt es nicht an Uranvorkommen: An der Grenze zu Niger werden Reservoires von etwa 56.000 Tonnen vermutet.
Südafrikas Nachbar Namibia will 2018 seinen ersten Reaktor am Netz wissen, mit russischer oder chinesischer Hilfe, wie es in Windhuk heißt. Dass Uranminen mitten im Etosha-Nationalpark liegen, den die namibische Tourismusbehörde als einen der „schönsten Wildparks der Welt“ feiert, wird ausgeblendet. Was allein zählt, ist die Gewissheit: Gibt es die atomare Energieressource, muss kein Strom und damit keine Abhängigkeit aus Südafrika mehr importiert werden.
Bislang betreibt die westafrikanische Regionalmacht Nigeria nur einen Versuchsreaktor im nördlichen Saria und erzeugt gerade mal 30 Megawatt, doch das soll ein profunder Anfang sein. Seit Ende 2010 ist mit Russland der nötige Technologie-Transfer vertraglich geregelt, spätestens 2020 soll der Bau des ersten leistungsfähigen Kraftwerks beginnen.
Das alles ändert nichts daran, dass Afrika ein Kristallisationspunkt für Staatszerfall, ein Terrain für Bürgerkriege und Anarchie, für Korruption und Kriminalität bleibt. Eine kontinentale Risikogesellschaft, die sich mit der Kernenergie bislang unbekannten Gefahrenquellen aussetzt und wenig Garantien für deren Beherrschbarkeit bietet. Viele Regierungen verlassen sich gern auf Prophezeiungen der Atomlobby, die ökonomische Prosperität und Arbeitsplätze verspricht. Bedenken von Umweltschützern gegenüber dem Uran-Abbau oder der Lagerung von Atommüll finden kein Gehör. So setzt die Pro-Atomstrom-Propaganda zu wahren Höhenflügen an, seit es für westliche Unternehmen schwieriger wird, ihre Technologie auf bisherigen Märkten zu verkaufen. Der französische Areva-Konzern beispielsweise versucht sein Glück in Ostafrika und bemüht sich um Bauaufträge in Tansania, das noch 2011 damit beginnen will, Uran zu fördern. Uganda und Kenia wecken gleichsam das Interesse der Franzosen. In Nairobi existiert bereits eine Atomenergiebehörde, die von Ex-Energieminister Ochillo Ayacko geführt wird und mit der IAEO kommuniziert. Die Regierung hat eine Startfinanzierung von 1,5 Millionen Euro durchgewunken und so das ökonomische Fundament für den Bau eines ersten Tausend-Megawatt-Reaktors gegossen.
Einzelgänger Senegal
Kaum überraschend begegnet Areva auf dem afrikanischen Markt Konkurrenz in Gestalt von Firmen aus China und Russland, die ebenfalls mit zahlreichen Regierungen im Gespräch sind. Ein Land hat sich Areva schon hundertprozentig gesichert: Man wird das Know-how für das erste ägyptische Kraftwerk liefern, das bis 2020 an der Mittelmeerküste entstehen soll. Der regierende Militärrat spricht von einem Multimilliarden-Programm, um dem Land eines Tages elf Kernkraftwerke zu bescheren. Das Energieministerium wird im Unterschied zu anderen Ressorts noch immer von einem Vertrauten des gestürzten Präsidenten Mubarak geleitet.
Allein Senegal hat als einziger afrikanischer Staat nach dem Inferno von Fukushima seine nuklearen Ambitionen fahren lassen. Präsident Abdoulaye Wade gibt zu verstehen, er werde sich auf Erneuerbare Energien konzentrieren und in der Afrikanischen Union (AU) beantragen, den Kontinent als „atomfreie Zone“ auszurufen. Er wird sich damit keine Freunde machen – Afrika bleibt mehrheitlich der Atomenergie gewogen, auch wenn dabei Selbstüberschätzung im Spiel ist. Zwischen 200 und 1.000 Wissenschaftler und Ingenieure braucht man im Durchschnitt pro Kernkraftwerk. Derzeit gibt es in ganz Afrika bestenfalls 10.000 Experten mit der nötigen Qualifikation. Natürlich bieten ausländische Investoren auch in dieser Hinsicht Unterstützung an – aber nicht zum Nulltarif. Also drohen hohe Schulden oder Gesten des Verzichts auf ehrgeizige Vorhaben.
Kristin Palitza arbeitet als Korrespondentin in Südafrika
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