Attitüden-Plattitüden

Stille Post Kolumne

Vor meiner Pankower Kaufhalle, die im Westen noch immer Supermarkt genannt wird, hat sich ein Wahlstand der NPD aufgebaut. Es ist ein Dienstagvormittag, im Schatten des Flachbaus aus DDR-Zeiten steht, wie jeden Tag, der junge vietnamesische Zigarettenhändler wie ein Empfangschef, der alle Kunden, auch seine eigenen, mit einem Hallo begrüßt. Die NPD kümmert sich ausnahmsweise nicht um den asiatischen Handlungsreisenden, sie handelt heute mit eigenen Parolen. Als ein unauffälliger Jungspund versucht, mir sein Parteimaterial anzudrehen, lehne ich resolut dankend ab. Er belohnt mich mit dem Nullsatz unserer Zivilisation: "Schönen Tag noch". Eine Sekunde überlege ich, ihm mit einer der NPD-Losungen "Gute Heimreise" zu wünschen, lasse es dann aber. Ironie kommt nicht gut an bei ihnen.

Womit wir bei den Plakaten für die Wahlen vom 17. September in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wären. Irgendjemand muss den Parteien irgendwann einmal erzählt haben, dass die bunten Pappkameraden an den Straßenlaternen, die Aufsteller auf den Plätzen irgendeine Wirkung bei den unfreiwilligen Betrachtern erzeugten. Dabei ist es doch nur wie bei der Werbung im Fernsehen. Firmen machen sie nicht, um den Erlös zu steigern, sondern um ihren potenziellen Kunden zu demonstrieren: Wir sind noch auf dem Markt. Oder lässt sich jemand in seiner Wahlentscheidung beeinflussen, bloß weil er das fleischige Brillengesicht eines CDU-Politikers sieht mit der Aussage "Henkel handelt"? Eine Alliteration, fast so schön und nichtssagend wie jene der Linkspartei "Berlin bewegt". Plattitüden, so leer wie der blaue Himmel.

Geht es noch allgemeiner? Aber ja. Im Bezirk Reinickendorf, wo die CDU-Bürgermeisterin mit dem Slogan wirbt, ihre Partei zu wählen, damit der Bezirk "oben bleibt", macht ihr Parteifreund Wegner mit dem Plakatspruch "Ich bin hier!" auf sich aufmerksam. Vielleicht war er nicht ganz da, als er das formulierte. Ein "Kuckuck!" hätte doch auch gereicht. Ähnliche Ratlosigkeit befiel mich beim Betrachten der Sprüche meiner Generationsgenossen von den Grauen Panthern. Ein älterer Kerl hing beispielsweise auf dem Rücken einer ergrauten Dame unter dem Motto "Poppen für die Rente?". In der Frage liegt die Antwort. Büso dagegen erfreute mit der Parole "Jugend will eine Zukunft". Irgendeine wird sie kriegen, ob sie will oder nicht.

Apropos Zukunft. Gelernte Ostdeutsche erinnern sich bei den Wahlplakaten der FDP an die Drei-Buchstaben-Jugend FDJ und deren Signalfarben Blau plus gelbe Sonne. Und zeigen nicht auch die Porträts der freidemokratischen Kandidaten mit dem prägnanten Kurzhaarschnitt eine gewisse Ähnlichkeit mit den DDR-Jugendfunktionären? Deutschland, einig Fotoland. Vielleicht ein geplantes Revival, um ein paar Prozente mehr im Osten zu holen? Wer weiß? Und während CDU und NPD den Tiefpunkt ihrer Farbenlehre "Rot-Rot muss weg" herausbellen, sieht mein SPD-Kandidat dem Zauberer Rumburak aus einem tschechischen Märchenfilm ähnlich. Die Parteien setzen schließlich auf Impressionismus, den flüchtigen Eindruck. Auf den Plakaten werden Wünsche ausgesprochen, mit denen wir uns identifizieren sollen. Arbeitsplätze werden energisch gefordert, als wäre die Bevölkerung schuld an dieser Misere und nicht die Politik und die Wirtschaft. Bilanzen der vergangenen Legislaturperiode sucht der interessierte Leser dagegen vergeblich. Die WASG hatte ihre Sternstunden im Unterschied zu anderen Parteien nicht auf der Straße, sondern in der Presse. Man konnte glauben, seriöse Blätter wie der Tagesspiegel seien durch die IV. Internationale gesponsert, wenn es um Porträts der WASG-Frontfrau Lucy Redler ging, diesem, wenn man den Zeitungen trauen darf, schönsten Antlitz des Sozialismus nach Kathi Witt und Sahra Wagenknecht.

In zwei Tagen ist alles vorbei. Rot-Rot dürfte an der Macht bleiben. Beim Fest an der Panke verschenkten vergangenes Wochenende noch einmal alle Parteien an ihren Infoständen das, wovon sie stets reichlich Vorrat haben: Luft in bunten Ballons.


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