Ein fünfzig Meter hoher Feuerball steigt über einer Pestizidfabrik der Bayer AG im US-Bundesstaat West Virginia auf. Die Schockwellen der Explosion sind in einem Umkreis von mehr als zehn Meilen zu spüren. An diesem Tag, den 28. August 2008, dürfen Tausende Anwohner über Stunden ihre Häuser nicht verlassen. Ein Arbeiter stirbt, ein zweiter wird später seinen schweren Verbrennungen erliegen. Ein Untersuchungsbericht des US-Kongress lieferte vor kurzem Details über den Vorfall.
Schwer wiegende Sicherheitsmängel
In dem Bayer-Werk nahe der Stadt Institute, das seit 2001 zum Leverkusener Konzern gehört, kommen große Mengen der in Bhopal ausgetretenen Chemikalie Methyl Isocyanat (MIC) zum Einsatz. Noch vier Monate vor der Explosion hatte
der Explosion hatten Umweltschützer in der Bayer-Hauptversammlung vergeblich vor den Risiken gewarnt. Falls einer der MIC-Tanks platzen sollte – so ein staatliches Katastrophen-Szenario – können Vergiftungen in einem Umkreis von zehn Meilen tödlich sein. Diesem Super-Gau sind die Anwohner vor einem Jahr nur knapp entkommen, wie sich nun herausstellte. Denn weniger als 20 Meter vom Explosionsort entfernt befand sich ein Behälter mit mehreren Tonnen Giftgas.Nach der Explosion wiegelten Sprecher des Konzerns zunächst ab. Die Sicherheits-Einrichtungen hätten funktioniert, es seien keine Chemikalien ausgetreten. Doch die Rettungsarbeiten verliefen alles andere als reibungslos: Die Sicherheitskräfte wurden über Stunden hinweg vom Pförtner abgewimmelt. Im Falle eines Austritts von MIC hätte den Anwohnern nicht geholfen werden können. Die US-Arbeitsschutzbehörde OSHA stellte "mangelhafte Sicherheits-Systeme, signifikante Mängel der Notfall-Abläufe und eine fehlerhafte Schulung der Mitarbeiter" fest. Wegen der zweifelhaften Aussagen des Konzerns wurde schließlich in Washington ein Untersuchungsausschuss des US-Kongress eingerichtet – ein ungewöhnlicher Vorgang, da Störfälle normalerweise auf der Ebene der Bundesstaaten untersucht werden. Im Zuge der Ermittlungen wurden hunderte firmeninterner Unterlagen beschlagnahmt und veröffentlicht. Die Unterlagen ermöglichen einen seltenen Einblick in die Krisenkommunikation eines großen Chemie-Konzerns.Die Untersuchung des US-Kongresses kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Die Explosion wurde durch unkontrolliert steigenden Druck in einem Rückstandsbehälter verursacht. Wegen eines Konstruktionsfehlers waren die Sicherheits-Systeme, die einen solchen Druckanstieg verhindern sollen, deaktiviert. Der schwerwiegendste Teil der Ergebnisse betrifft den MIC-Tank, der zum Zeitpunkt des Unglücks sieben Tonnen Giftgas enthielt. Wörtlich heißt es in dem Untersuchungsbericht: „Die Explosion in dem Bayer-Werk war besonders beunruhigend, weil ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk flog und praktisch alles auf seinem Weg zerstörte. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster in Bhopal 1984 in den Schatten stellen können." Es sei reiner Zufall gewesen, dass der Behälter in eine andere Richtung flog. Die Explosion in Bhopal im Jahr 1984 kostete mindestens 15.000 Menschen das Leben.Angesichts der Lügen der Werksleitung direkt nach dem Unfall und der Behinderung der Ermittlungen urteilt der Kongress: „Bayer beteiligte sich an einer Geheimhaltungskampagne. Die Firma hat den Sicherheitskräften entscheidende Informationen vorenthalten, hat den Ermittlern der Bundesbehörden nur eingeschränkten Zugang zu Informationen gewährt, hat die Arbeit von Medien und Bürgerinitiativen unterminiert und hat die Öffentlichkeit unrichtig und irreführend informiert." Bürgerinitiativen vor Ort fordern, dass Bayer auf MIC-freie Verfahren umstellt. In Deutschland kommt die Pestizid-Produktion in Bayer-Werken ohne MIC-Tanks aus.Sponsoring und DiffamierungDie Öffentlichkeitsarbeit vor Ort betreibt Bayer mit Unterstützung einer Agentur, die auf Krisenkommunikation spezialisiert ist. Im Zuge der Ermittlungen wurde nun auch ein Strategiepapier der Agentur veröffentlicht, in dem detailliert beschrieben wird, wie mit Hilfe von Spenden und intensiver Medienarbeit das Wohlwollen der Öffentlichkeit zurückgewonnen werden soll. Die Rettungskräfte werden demnach mit Spenden für Funkgeräte und Computer bedacht, die benachbarte Universität erhält 10.000 Dollar, das Kunstmuseum der benachbarten Großstadt Charleston sowie 25.000 Dollar für das West Virginia Symphony Orchestra, weitere Spenden an ein Hilfsprojekt für Bedürftige und ein Basketball-Team.Neben dem "Zuckerbrot" für wohltätige Organisationen gibt Bayer Kritikern die "Peitsche", wie man dem Strategiepapier entnehmen kann. Zum Beispiel der örtlichen Zeitung Charleston Gazette, die seit langem über die Risiken des Werks berichtet, sowie der örtlichen Bürgerinitiative People Concerned about MIC, die seit 25 Jahren für mehr Sicherheit in dem Werk kämpft. Wörtlich heißt es: "Wir sollten versuchen, die People Concerned About MIC zu marginalisieren und als irrelevant erscheinen zu lassen. Dies sollte gerade in der aktuell schwierigen ökonomischen Situation möglich sein, in der Arbeitsplätze so viel zählen." Die Leiterin der Bürgerinitiative, Maya Nye, wird in dem Strategiepapier gar als „Unheil bringend" bezeichnet. Ziel von Bayer müsse es sein, ihre Kritik als „unanständig" erscheinen zu lassen. Der gleiche Ansatz gilt für die Charleston Gazette. Empfohlen wird, Informationen künftig nur konkurrierenden Medien zukommen zu lassen und die Charleston Gazette als „wirtschaftsfeindlich" darzustellen.