Biedere Nachwuchsforscher

Akademie Nicht nur die deutsche Literatur hat Nachwuchsprobleme – auch unter den Doktoranden sieht es nicht gut aus
Ausgabe 10/2014
Wer vorn steht, hat nicht immer auch die beste Sicht
Wer vorn steht, hat nicht immer auch die beste Sicht

imago

Die deutschen Literaten, so liest man in diesen Tagen, sind zu verwöhnt, lau und brav. Aber nicht nur sie: Man nehme den Nachwuchs der Kulturwissenschaften. Den zwei, drei Literaturschulen, die immer wieder für das Stromlinige und Hausbackene haftbar gemacht werden, stehen Dutzende von Sonderforschungsbereichen, Doktorandenkollegs und -schulen zur Seite, in denen Kohorte um Kohorte doktoriert und postdoktoriert wird.

Die Mechanismen, unter denen alle die Pflanzstätten frohgemuter Wissensexpansion sich unaufhörlich vermehren, einmal beiseitegelassen – es ist eben die unaufhörliche Vermehrung, die dazu führt, dass Promotionswillige umgarnt und umhegt werden, als handele es sich um kostbare Stammzellen. Nicht selten jagen sich Kollegs wechselseitig den Nachwuchs ab, können Aspiranten zwischen zwei, drei Optionen wählen. Wie beim Fußball, nur preisgünstiger. Es entsteht so ein Erwähltheitsbewusstsein, das sich an einer erst noch zu erbringenden Leistung bewähren muss.

Dabei haben es dann Menschen mit leidenschaftlichen oder noch ungefähren Interessen meist schwer, weil sie nicht in die genormten Anforderungsprofile passen, während besonders erfolgreich ist, wer seine Forschungspläne beliebig auf die Vorgaben und Etiketten der gerade verfügbaren Stipendienauslober abzustellen weiß. (Sollten es auch hier die Bürgerkinder sein?) Einmal aufgenommen, bekommen sie die volle Versorgungskur wissenschaftlicher Ertüchtigung. Sie üben das Vortragen, organisieren Diskussionen und Tagungen, zu denen man sich wechselseitig besucht, schreiben Aufsätze um Aufsätze und geben Sammelband um Sammelband heraus.

So entsteht eine Wissenschaftskultur gepamperter Klone. Das führt auf der einen Seite zu Publikationen, von deren garantierter Finanzierung zwar einschlägige Verlage gut leben, deren Zahl aber so unüberschaubar geworden ist, wie ihr Inhalt beliebig. Themen und Titel, die man nicht einmal mehr parodieren muss. Der postkoloniale Tierkörper im gegenderten digitalen Flow, U-Boote – die Emergenz des Abtauchens, Shakespeare-Zitate bei Eminem und Bushido, zu einer Theorie der Leerstelle, Globuli des Wissens – Wissen der Globuli. So oder ähnlich. Niemand außer dem unmittelbaren Umfeld interessiert das, wie umgekehrt nicht interessiert, was zuvor gedacht und geschrieben wurde oder nebenan geschieht.

Der Repetition gerade vorgegebener ‚Ansätze‘ im Verein mit vermiedener Kritik entspricht andererseits eine vereinsinterne Duldsamkeit und Nachsicht. Allenfalls findet sich nach außen so etwas wie Schulenbissigkeit. Dabei handelt es sich ja in der Regel um tatsächlich gut ausgebildete, kluge und aufgeschlossene Menschen. Sie wären überall zu gebrauchen. Nur halten sie sich so lange wie irgend möglich in den wohltemperierten akademischen Treibhäusern auf, bis sie für die Welt draußen zu immungeschwächt sind.

Nein, kein Aufruf zur Bewährung in der Produktion, aber doch – als einen Schritt zurück zur erprobten Probe aufs Wissen – den zur verbindlich eingeübten Lehre. Denn wer später tatsächlich eine Professur erlangen sollte, wird sich vor der Bewährung seines Wissens in der allenfalls marginal gelernten Lehre scheuen. Aber diese brauchen erst recht die vielen Studenten, die schließlich doch in die Welt da draußen müssen.

Erhard Schütz ist emeritierter Professor für Neuere Deutsche Literatur

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