Wer an den Wohnungsbau der Moderne in Deutschland denkt, hat das Weimarer Haus am Horn, die von Walter Gropius entworfenen Reihenhäuser in Dessau-Törten oder die Stuttgarter Weißenhofsiedlung im Kopf. Frankfurt am Main dagegen fällt wohl kaum jemandem ein. Dabei ist das, was das Bauhaus oder der Werkbund initiierten, ein Klacks im Vergleich dazu, was in acht Jahren zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in der hessischen Stadt entstand: 15.000 innovative Wohnungen für Arbeiterfamilien und die Mittelschicht, dazu Kirchen, Parks, Schulen, Sportstätten, Volkshäuser und andere Großbauten in hoher Zahl. Während die Avantgardisten anderswo um überschaubare Siedlungen kämpften oder sich an Musterhäusern versuchten, wurde am Main geklotzt.
zt. Ernst May, Mart Stam, Martin Elsaesser, die aus dem „roten Wien“ abgeworbenen Margarete Schütte-Lihotzky und Franz Schuster, auch Gropius: Sie alle errichteten das „Neue Frankfurt“.Doch der moderne Aufbruch ist in Vergessenheit geraten. Kulturtouristen, die durch die damals entstandenen Siedlungen schlendern, gibt es nicht. Eine der Wohnungen wurde zwar originalgetreu saniert und zum ehrenamtlich betriebenen Museum, zum Ernst-May-Haus, gemacht. Wer dort vorbeischaut, hat das bezaubernde Reihenhaus aber meist für sich. Das „Neue Frankfurt“ ist heute ein Spezialistenthema. Im Deutschen Architekturmuseum bekommt es nun trotzdem seinen großen Auftritt: Nach Ausstellungen über einzelne Akteure des Bauprojekts – über Ernst May, der es als Leiter vorantrieb, über Martin Elsaesser, der die Schlüsselbauten schuf und dabei Moderne und Bautradition wunderbar miteinander versöhnte – zeigt das Frankfurter Museum eine große Überblicksschau mit dem Titel Neuer Mensch, neue Wohnung. Bemerkenswert an ihr ist vor allem, dass sie auch Wege aus der heutigen Wohnungskrise aufzeigt. Sie verdeutlicht, was es braucht, um endlich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.Am Beginn der Schau steht ein riesiges Modell aus hellem Holz: lange Häuserreihen, die versetzt zueinander stehen, die Straßen verlaufen geschwungen, zwischen den Bauten ist viel Platz – für Freiflächen, für Gärten. Die Römerstadtsiedlung, 1927/28 in die Auenlandschaft der Nidda gebaut, ist eines der bemerkenswertesten Ensembles des „Neuen Frankfurt“. Die trutzburgenhafte Ansammlung von Reihenhäusern, Wohnblöcken und Schule fügt sich harmonisch in die Landschaft ein. Trotz serieller Bauweise kommt sie ohne Monotonie aus, wirkt leicht. Ernst May hat in ihr die Idee der Gartenstadt, das Wohnen in der Natur, mit dem standardisierten Wohnungsbau verbunden.An den Wänden des Ausstellungsraums hängen Pläne, Fotografien, auch Malereien. Ein Foto zeigt ein Paar auf der Terrasse seiner neuen Wohnung: Beide sind in Lektüre vertieft, er mit Krawatte im Korbstuhl, sie im Blümchenkleid auf der Liege, die Sonne wirft lange Schatten an die gegenüberliegende Hausfassade. Auf einem anderen sieht man Kinder in einem Planschbecken, spielend, lachend, ausgelassen. Ein historischer Film präsentiert stolz die „Frankfurter Küche“ von Margarete Schütte-Lihotzky: Der Vorläufer der Einbauküche sollte dank kurzer Wege und mehr Hygiene die Lasten der Hausarbeit kleiner machen. Ein neues, freies, gesundes Leben für die Massen war das Ziel. Doch ohne Schattenseiten kam der Eifer nicht aus. Die Bewohner der neuen Häuser wurden mit Vorschriften und Anweisungen geradezu malträtiert. Die Planer schrieben ihnen vor, welche Pflanzen in den Gärten zu wachsen hatten, wer seine Biedermeiermöbel in die modernen Bauten mitnahm, wurde verlacht.Placeholder image-1In die Luft!Eines zeigt die Schau deutlich: Ohne Ansporn und Unterstützung aus der Politik wäre es zu dem Bauprogramm nie gekommen. Frankfurts Oberbürgermeister Ludwig Landmann, ein Linksliberaler, hatte 1925 den jungen Architekten Ernst May engagiert, um mit ihm sein ehrgeiziges Projekt zu realisieren. Dass Landmann ihm freie Hand ließ, passte nicht jedem: Bald schon wurde May als „Baudiktator“ und „Mussolini der Architektur“ verspottet. Doch die neue Dynamik im Wohnungsbau gab ihm recht: Das Ziel, innerhalb von zehn Jahren 10.000 Wohnungen zu schaffen, war schon sechs Jahre später mit gut 12.000 Einheiten übererfüllt.Machbar war das nur, weil der Staat dafür sorgte, die nötigen Gelder einzutreiben. Die von der Inflation begünstigten Hauseigentümer wurden ab 1924 mit einer reichsweiten Hauszinssteuer zur Kasse gebeten, die Einnahmen in den Bau neuer Häuser gesteckt. Nur so konnte der seit dem Ersten Weltkrieg brachliegende Wohnungsbau wieder angekurbelt werden. Selbst vor Enteignungen, um Baugrund zu erhalten, schreckte man nicht zurück. Heute sind die Eingriffe des Staats in den entfesselten Immobilienmarkt zaghaft, die Effekte der Mietpreisbremse bleiben weit hinter den Hoffnungen zurück. Viel gebaut wird zwar wieder, doch meistens im Luxussegment.Wegweisend ist aber auch der Mut, die Chuzpe, mit der die Architekten und Stadtplaner die Siedlungen damals aus dem Boden stampften: Neue Baugründe wurden erschlossen, für das Niddatal entwickelte man einen ambitionierten Masterplan, innovative Fertigbauweisen wurden erforscht. Ernst May gehörte zu den Ersten, die die Idee der Trabantensiedlungen erprobten, die die Stadt als Flickenteppich dachten. Auch heute würde mehr Wagemut helfen: Warum wird noch immer so zögerlich darüber diskutiert, die engen Städte in die Luft wachsen zu lassen? Warum werden Aufbauten auf Supermärkten oder Hausdächern so selten umgesetzt? Warum haben es neue Stadtviertel so schwer? In Frankfurt wird über den Vorschlag, nordwestlich der Stadt ein neues Quartier entstehen zu lassen, eine erzürnte Debatte geführt. Ein anderes ambitioniertes Projekt findet dagegen mehr Zustimmung: Eine Autobahn, die zwei Stadtteile trennt, soll in einen Tunnel geführt und überbaut werden, damit neue Wohnungen entstehen können.Druck muss seinDas Frankfurter Architekturmuseum hat auch einen Wettbewerb ausgerufen. Unter dem Motto „Wohnen für alle“ haben Büros aus ganz Europa Ideen für günstige Wohnbauten eingereicht. Mitte April werden die Siegerentwürfe ausgestellt, sogar vier Baufelder für die Entwürfe sind schon auf Frankfurter Grund reserviert. Beteiligt daran ist auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG. Die aber wird, weil sie zuletzt selbst immer häufiger für wohlhabende Zielgruppen baute, von gar nicht so wenigen als Teil des Problems gesehen. Linke Gruppen haben einen „Mietentscheid“ ins Leben gerufen, der die Wohnungsbaugesellschaft zwingen soll, nur noch Sozialwohnungen zu bauen. Im vergangenen Herbst zogen Tausende durch die Innenstadt, die ein Ende des „Mietenwahnsinns“ forderten, ein Foto der Demonstration hängt auch in der Ausstellung. Tatsächlich braucht es wohl beides: Innovation und politischen Druck.Placeholder infobox-1
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