Ryszard Kapuscinski setzt an den Beginn seiner Karriere den naiven Wunsch, ein einziges Mal die Grenze seines Landes zu übertreten. Als er das dachte, war der zweite Weltkrieg noch nicht lange vorbei, und Kapuscinski besaß noch nicht den Ruf als einer der besten, weltgereisten "literarischen" Reporter des 20. Jahrhunderts, dessen Werk in mehr als 30 Sprachen übersetzt ist. Damals war er ein junger, unerfahrener Journalist, eben von der Universität kommend, die ihn zum ersten Mal ganz andere, aber mindestens eben so prägende Grenzen hatte überschreiten lassen: Die zwischen dem einfachen Bauernjungen und der Welt der antiken Kultur der Griechen.
Der alte, erfahrene Kapuscinski beschreibt den jungen bei beiden Grenzerfahrungen als unbedarft, schüchtern, und v
ern, und von der Fremde eher überfordert als fasziniert: Der junge Reporter aus dem Ostblock fühlt sich trotz neuer Kleidung im schicken Rom unbehaglich, da als Fremder erkannt, und der junge Student kann mit den majestätischen Körpern auf Vasen nicht viel anfangen, die auf den Fotos seiner Professorin zu sehen sind. Und doch hat er beide Erfahrungen seitdem unzählige Male wiederholt und vertieft, bis er Anfang dieses Jahres 74-jährig gestorben ist. (Freitag 5/2007)Wie Kapuscinski die Erzählung seines Lebens als Reporter eröffnet - die passenderweise auch am Beginn einer kleinen Auswahl aus seinem Werk auf CD zu hören ist - zeigt ihn sogleich als Meister der Schrift. Im Anfang sind alle wichtigen Elemente schon vorhanden. Da ist zum einen sein Standpunkt, vom dem aus er sich der Welt nähert: Selbst in Armut aufgewachsen, begegnet er den armen Völkern dieser Welt auf Augenhöhe. Trotzdem vergisst er vor lauter Solidarität nicht die Distanz zwischen seiner Welt und der Fremde, und bezieht folgerichtig oft die eigenen Erwartungen und Überforderungen mit ein. Damit erzielt er die Wirkung von Authentizität und bietet den Lesern und die Möglichkeit, tiefer in seine Erfahrungen einzutauchen.Mit dieser Haltung verlässt er aber auch eindeutig den Bereich der reinen Fakten. Kapuscinski schwärmt in seinem Buch über Herodot wiederholt davon, wie dieser Wissen gesammelt hat. Man setze sich zu einer Gruppe von Menschen, am besten um ein Feuer lagernd, mindestens aber mit einer Kerze in der Mitte, und lasse sich auf die ausgeschmückten, spannenden, übertriebenen und in jedem Fall unterhaltsamen Geschichten ein, die sie zu erzählen wissen. Denn Wissen ist für Herodot immer an die Menschen gebunden, die es bewahren. Dass sie dieses Wissen so gut wie möglich vermitteln wollen, ist selbstverständlich - Flunkereien und schlimmeres gehören also in jedem Fall dazu.Kapuscinski hat sich diese Haltung zu eigen gemacht - erlaubt ist, was die Spannung steigert, Fakten sind vor allem zu bearbeitendes Material. Keinesfalls gibt er etwa die Quellen seines Wissens an, ganz im Gegenteil schildert er Menschen und Ereignisse, als kennte er ihre Gedanken und Gefühle, sei bei geheimsten Ereignissen dabei gewesen - kurz, aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers.Das ist immer dann gut und überzeugend, wenn er zeitlose Situationen beschreibt. Malaria als mystische Erfahrung unbekannter, innerer Welten, in denen Erkrankte bei größter Hitze eine unbeschreibliche Kälte empfinden. Oder das Zeitempfinden als grundlegender Unterschied zwischen Europäern und Afrikanern. Während sich Europäer als Sklaven der Zeit fühlen, deren Regeln sie sich unterwerfen müssen, wollen sie irgendwie erfolgreich im Leben sein, begreifen Afrikaner Zeit als eigentlich tote Masse, die nur aktiv wird, wenn die Geister und Ahnen einen richtigen Zeitpunkt herbeiführen.An anderer Stelle, etwa in seinem Portrait von Afrikas mächtigem Diktator Idi Amin, wiegt der Eindruck einer glatt und flüssig geschriebenen Geschichte nicht das Misstrauen auf. Amin hat seine Gäste gerne fürstlich bewirtet, um sie dann von seinem Geheimdienst für immer verschwinden zu lassen, schreibt Kapuscinski. Wenn wirklich niemand diesen Ereignissen beigewohnt hat, und diese Menschen tatsächlich spurlos verschwunden sind - wer bürgt dann für die Richtigkeit einer solchen Behauptung?Kapuscinskis Werk ist vielfach international ausgezeichnet worden, ja, die Leser der polnischen Zeitung Press haben ihn 1999 sogar zu ihrem Reporter des Jahrhunderts gewählt. Seine Popularität, von der auch das Erscheinen der Anthologie Kapuscinskis Welt auf CD zeugt, spricht für das ungeminderte Bedürfnis, Geschichten zu hören, und die Welt als eine persönlich vermittelte, spannend erzählte Begegnung mit Menschen zu begreifen. Wie solche Begegnungen erzählt werden, das hat sich und wird sich auch weiterhin verändern. Aber dass sie erzählt werden ist wichtig - mit allem, was für den einzelnen Erzähler dazugehört.Kapuscinskis Welt. Sprecher: Hanns Zischler. Lido Verlag Eichborn, Frankfurt am Main 2007, 5 CDs, 354 Minuten, 26,95 EUR