Auf dem Gipfel

B-Novel Zoe Jennys schmerzensreicher dritter Roman "Ein schnelles Leben"

Was einen guten amerikanischen Film der B-Klasse auszeichnet: Handlungsstärke, 70 Minuten Dauer, klar konturierte Personen und keine Längen, also gut verdauliche (Serien-) Ware, die in der Rezeption restlos aufgeht. Auf deutsche Verhältnisse angewandt: ein Fernsehspiel der siebziger, frühen achtziger Jahre, möglicherweise ein Tatort, reichlich 20 Minuten länger wegen der notwendigen Kommunikationen und Konversationen samt der Sozialdramaturgie (vulgo: -kritik). Lang ist´s her - leider. Aber es gibt ja auch noch die Literatur - Literatur nicht zum Film, sondern als Film.

Erst kam Das Blütenstaubzimmer (1997), Dann Der Ruf des Muschelhorns (2000).Und auch bei dem dritten Buch der 1974 in Basel geborenen Schweizer Autorin Zoe Jenny, das über einen langweiligen Herbstsamstagnachmittag spielend hinweghilft, laufen bei der kurzweiligen Lektüre die seriellen Bilder und Szenenfolgen geschmiert und garantiert ohne verstörend-irritierende Einschläge vor unserer inneren Kinoleinwand ab: Türkisches Mädchen aus besserer Familie verliebt sich, was in deutschen Sozialromanen zwangsläufig ist, in gebeutelten deutschen Jungen und Underdog, der im rechten Fahrwasser segelt (nein, nicht im militanten Neofaschismus!). Der schießt dann, vom hinterhältigen Freund angestiftet (aha, auch eine verquere Jungen-Freundschaftsstory!) und mit einer Pistole versorgt, den eifersüchtig über die Jungfräulichkeit seiner jüngeren Schwester wachenden Bruder an.

Daraufhin tritt das in Liebe entflammte Pärchen die Flucht nach Italien an und findet schließlich am Ende einer fürchterlichen Gewitternacht den Tod und die ewige Liebe: "Das Feuer im Kamin erloschen. Aber sie merkten es nicht. Die Schlammlawine schob Erde, Geröll und Bäume vor sich her, bildete einen riesigen Hügel, der alles unter sich begrub, und griff nach der Hütte, hob sie zuerst hoch, für einen kurzen Augenblick ragte die Hütte obenauf, als würde sie getragen und von starken Händen vorwärts geschoben, bevor sie lautlos von den Erdmassen begraben wurde."

Ach, diese böse Welt und Umwelt - einzig wohl Gott noch schützt die Liebenden, frei nach Johannes Mario Simmel. Und ein Herr Matteo, ebenso verehrter Lehrer des Mädchens Ayse wie am eigenen Begehren Krankender ("Ayse, die Liebe meines Lebens"), der zuvor seine Wohnung dem Mädchen zur Verfügung gestellt hatte, damit diese dort ihrer vermeintlichen Berufung - dem Poetisieren - unbehelligt frönen könne, schreibt rückblickend in auktorialer Manier die schlimme Geschichte auf: "Es war ein schnelles Leben gewesen, das in diesen frühen Morgenstunden sein Ende nahm. Es hatte aufgeleuchtet, kurz und heftig, um auf dem Gipfel der Sehnsucht für immer zu erlöschen. Sie hatte gelebt wie die Königin der Nacht, die ihre Blüte öffnet, um ihren Duft zu verströmen in einer einzigen Stunde."

Fehlt auch nicht die mögliche rührende Moral von der Geschicht´, die ich mir im Abspann des Films als entweder geschriebene oder - besser noch - von einer älteren Erzählerstimme, sagen wir: Otto Sander, gesprochene Sequenz vorstelle: "Aber was bedeutet die Dauer eines langen Lebens, in dem sich ein Ereignis wie das Glied einer Kette ans andere reiht, in den immer gleichen Abständen? Ereignisse mit absehbaren Erschütterungen. Und was, wenn die Erschütterungen ausbleiben und nur noch die Erinnerungen bleiben an das Wesen, das man einst gewesen war, als man noch jung genug war, um verzweifelt lieben zu können?"

Dann noch die "credits" - Vater, Bruder, Freund, Verleger und Lektoren, am Schluss noch Tipps vom Großmeister der Kolportage, Robert Schneider - na bitte! Na danke! Vorhang zu, Türen auf und ab in den nächsten Biergarten.

Zoe Jenny: Ein schnelles Leben. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2002, 165 S., 17, 50 EUR

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