Auf dem Ticket der Solidarität

Film Das Frauenfilmfestival in Ankara findet nun mitten in der Trauer über das Grubenunglück von Soma statt
Ausgabe 21/2014

Kurz vor dem Finale wird das 17. Flying Broom International Women’s Film Festival in der türkischen Hauptstadt auf eine harte Probe gestellt. Das Grubenunglück in Soma zieht nicht nur Demonstrationen in den Straßen Ankaras nach sich, sondern auch eine dreitätige Volkstrauer. Mitten in dieser Zeit liegt die offizielle Preisverleihung, Flying Broom ist das einzige Frauenfilmfestival des Landes. Und es ist das einzige Frauenfilmfestival auf der Welt, das über eine FIPRESCI-Jury aus internationalen Filmkritikerinnen verfügt (die hier allein einen Preis vergibt).

Eine offizielle Jury des globalen Kritikerverbands, wie sie bei allen großen Festivals üblich ist, bedeutet für ein kleineres und spezialisiertes Filmfest wie das in Ankara selbstredend eine gewisse Anerkennung. Weshalb die Veranstalterinnen auf die FIPRESCI-Jury besonders stolz sind. Dieses Jahr hatte sich sogar ein Fernsehteam angekündigt, um die Jurorinnen zu interviewen; eine derartige mediale Aufmerksamkeit ist selten – und wertvoll für die Existenz des kleinen Festivals. Dennoch entschieden sich die Organisatorinnen, die Preisverleihung offiziell abzusagen, „aus Solidarität mit den Angehörigen und um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich bei dem Unglück nicht um einen Unfall, sondern ein Massaker handelt“, wie das offizielle Statement auf der Facebook-Seite lautete.

„Vagina Wolf“

Dabei hatte alles so unbeschwert begonnen. Eine große Gala gab am 8. Mai den Startschuss für das bunte Festivalprogramm, in dem bereits andernorts gefeierte Filme wie Rebecca Zlotowkis Beitrag Grand Central und Valeria Golinos Drama Miele zu finden waren. Zwei Tage später beteiligten sich gut 20 Teilnehmerinnen – Festivaldirektorinnen, Regisseurinnen und Journalistinnen aus aller Welt – an einer angeregten Diskussion zum Thema „Women in Cinema and Gender“ und erörterten etwa die Frage, welcher Weg zur Förderung von Frauen im Filmgeschäft einzuschlagen sei.

Der Verlauf dieser Veranstaltung spiegelte die im Festivalprogramm unübersehbare Politisierung der filmschaffenden Frauen wider: kaum ein Film, der sich nicht gesellschaftspolitischen Fragen widmete. Eine der wenigen Ausnahmen bildete Anna Margarita Albelos lesbische Romantic Comedy Who’s Afraid of Vagina Wolf (hierzulande ab dem 20. Juni auf DVD erhältlich), die sich als betont heiteres und schrilles Werk deutlich von den übrigen Beiträgen abhob.

Etwa von Inês Oliveiras Film Bobô, in dem sich die portugiesische Regisseurin subtil mit weiblicher Genitalverstümmelung auseinandersetzt, ohne den Stoff für ein tränenreiches Drama zu benutzen. Emotionaler gestaltet sich die Inszenierung von Claudia Sainte-Luce. Ihr Film Der wundersame Katzenfisch, der in Deutschland am 1o. Juli ins Kino kommen wird, erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die überraschend Teil einer chaotisch-herzlichen, aber auch von Schmerz gezeichneten Familie wird, in der die Aids-Erkrankung der Mutter allen Mitgliedern einiges abverlangt.

Tränengasschwaden

Wie ein Großteil der in Ankara präsentierten Filme handeln Bobô und Der wundersame Katzenfisch von weiblicher Solidarität; „Gemeinsam sind wir stark“ stand als unausgesprochenes Motto über dem Festivalprogramm. Dass solcher Gemeinsinn mehr als ein Klischee ist, zeigten die selbsternannten Hexen vom Flying Broom Festival durch zahlreiche kostenlose Filmvorführungen und das Konzept eines „solidarischen“ Ticketverkaufs. Der ermöglicht es, Eintrittskarten für interessierte, aber finanziell schlechtergestellte Gäste zu bezahlen, die dann für „unbekannt“ am Tickethäuschen hinterlegt und dort abgeholt werden können.

Verliehen wird der FIPRESCI-Preis am Ende doch, wenn auch in kleinem Kreise. Während die Jury ein letztes Mal tagt, ziehen Tränengasschwaden am Kino vorbei. Direkt um die Ecke hat es Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gegeben. Die Entscheidung fällt auf Mira Fornays Drama My Dog Killer, das im März in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen war (Freitag vom 20. März). Ein Film, der von der Wiederkehr der immer gleichen Gewalt handelt.

Sophie Charlotte Rieger war Mitglied der FIPRESCI-Jury. Sie bloggt unter filmosophie.com

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