Fast anderthalb Jahre sind seit der "orangenen Revolution" vergangen, die dem Land jedoch nicht die erhoffte politische und wirtschaftliche Stabilisierung gebracht hat, sondern neue Krisen in Politik und Wirtschaft heraufbeschwor. Was sich verbessert hat, ist zumindest das internationale Image der Ukraine. Außerdem hat sich die Ukraine zu einem Land entwickelt, in dem die Pressefreiheit weitgehend zur Realität geworden ist. Eine Meinungsumfrage ergab, dass immerhin 56 Prozent der Bevölkerung die Meinung teilt, dass die Medien erheblich freier, ausgewogener und professioneller über politisch wichtige Themen berichten, als dies vor der orangenen Revolution der Fall war.
Die ukrainischen Journalisten sehen ihre Arbeit und Situation jedoch durchaus differenzierter. Ein erste
Ein erster, wichtiger Schritt hin zu mehr Pressefreiheit war zweifellos die Abschaffung der Kontrolle durch die Kutschma-Administration, die mit Hilfe so genannter "Tjemniki", also Themenanweisungen und Instruktionen, die aus dem Präsidialamt an die Medien und Journalisten ergingen und zu befolgen waren, ausgeübt wurde. Auch Prozesse wegen angeblicher Verleumdung, die früher gegen missliebige Medien mit drastischen finanziellen, existenzbedrohenden Sanktionen geführt wurden, gehören der Vergangenheit an. Darin ist man sich einig.Valery Iwanow, Präsident der Akademie der Ukrainischen Presse, einer 1991 in Kiew gegründeten unabhängigen Nichtregierungsorganisation, die sich für Demokratie und Pressefreiheit einsetzt, übt aber auch scharfe Kritik an der Arbeit der Journalisten: "Die positiven Veränderungen der jüngsten Zeit haben die Gedankenwelt der Mehrzahl der Journalisten nicht erreicht. So kann ich auch der Rede von einer journalistischen Revolution, die in der Ukraine stattgefunden haben soll, nicht zustimmen. Die Journalisten in ihrer überwiegenden Mehrzahl haben keine Revolution gemacht. Sie haben früher gehorsam den Machthabern gedient und tun dies heute ebenso." Leider hätten viele Journalisten die Veränderungen in den Machtstrukturen nur als eine Änderung der Namen der agierenden Helden verstanden. Noch zu viele arbeiteten wie gewohnt mit Lobpreisungen, jetzt von Juschtschenko anstelle von Kutschma, meint der Soziologe und Journalistikprofessor.Bereits im Jahr 2001 wurde die Ukrainische Journalistische Ethikkommission gegründet. Sie sollte als Selbstregulierungsorgan das Ziel verfolgen, eine Diskussion über die ethischen Standards der Presse- und Medien-Arbeit in der Ukraine herbeizuführen. Der Mitbegründer dieses Selbstkontrollorgans, Taras Kusmow, erläutert die damalige Situation so: "Das war ein Jahr nach der bis heute unaufgeklärten Ermordung unseres Kollegen Juri Gongadse. In den Jahren 1996-1997 waren darüber hinaus unter dem Druck der Regierenden die ukrainischen Medien zum blinden Propagandainstrument verkommen. Heute müssen wir uns deshalb vor allem um grundlegende ethische Probleme unserer Berufsausübung kümmern und versuchen, das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen." Die Kommission verabschiedete einen Ethik-Kodex und richtete einen Rat mit 22 Mitgliedern ein, der sich mit Beschwerden befasst.Relativ optimistisch beurteilt Juri Durkot, freier Journalist und Produzent aus Lviv, die Lage: "Viele Journalisten haben die Revolution in Orange als einen Befreiungsschlag empfunden und die Prinzipien der journalistischen Ethik für sich wiederentdeckt. Zuletzt hatten die ukrainischen Medien ihre gesellschaftliche Rolle nicht mehr wahrgenommen und waren zu einem Propaganda-Instrument geworden. Diese Zeit ist endgültig vorbei, die ukrainische Gesellschaft hat sich zu stark verändert." Für Dorkut ist die Trennung von Geschäft und Politik besonders wichtig, da es bisher oft so gewesen sei, dass Privatmedien nur als Sekundärgeschäft für einen Geschäftsmann oder Politiker eingespannt wurden und vor allem der Aufgabe dienten, seine Interessen zu schützen. Ansonsten werde es wohl noch Versuche geben, die Medien zu kontrollieren, und zwar von beiden Seiten, sowohl vom Staat als auch von den privaten Besitzern. Die ukrainischen Medien müssten sich ihre Rolle als vierte Gewalt erst noch erkämpfen - in harten und nicht einfachen Auseinandersetzungen, so die Meinung des Publizisten.Wachtang Kipiani, einer der bekanntesten jüngeren Fernsehjournalisten des Landes, der für private Sender und als Kolumnist arbeitet, ist zwar der Meinung, dass es inzwischen eine große Anzahl guter, kritischer Journalisten gebe, deren Arbeit sei jedoch fast wirkungslos. "Wir sind keine vierte Gewalt im Lande, wir sind überhaupt keine Gewalt oder Macht, sondern Unterhaltungskünstler für die Bevölkerung mit unseren mehr oder weniger interessanten Geschichten. Als Journalisten arbeiten wir westlich, doch diejenigen, die die wirkliche Macht haben, lässt unser Tun unberührt. Sie agieren immer noch wie zu Sowjetzeiten."In der Tat sind viele Hoffnungen der engagierten, kritischen ukrainischen Journalisten bisher unerfüllt geblieben - auch wenn jetzt im Wahlkampf die konkurrierenden Parteien und Kandidaten gleichermaßen fairen Zugang zu den Medien haben und keine Informationsblockaden mehr bestehen.Schon seit längerem laufen heiße Diskussionen über die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks anstelle des einen landesweiten staatlichen Fernsehsenders. Doch zu einer solchen Gründung ist es bisher nicht gekommen. Nach Meinung von Präsident Juschtschenko ist es dafür noch zu früh - direkt nach seiner Wahl hatte er einst genau das Gegenteil verkündet. Ob sich nach den Parlamentswahlen hierfür der politische Wille findet, ist zur Zeit eine offene Frage.Auch die strukturellen Probleme im Printmedienbereich, der oft von den Behörden noch kontrolliert und mitfinanziert wird, konnten bisher nicht beseitigt werden. Nicht selten tritt ein Gebiets- oder Stadtparlament oder eine Bezirksverwaltung als Mitherausgeber einer Zeitung auf, eine Situation, in der keine wirkliche Unabhängigkeit erwartet werden kann. Ukrinform ist weiterhin die große staatliche Nachrichtenagentur. Und der Mord an dem Journalisten Juri Gongadse, einem vehementen Kritiker des Kutschma-Regimes, in den höchste Regierungskreise verwickelt waren, ist immer noch ungeklärt.