Auf dem Weg zum Mars

Die Ratgeberin Unsere Autorin und geschulte Ideenverwirklicherin erklärt, wie man auch die abwegigsten Ziele erreichen kann
Ausgabe 22/2016
„Sorry, keine Zeit, muss los. Die Rakete glüht schon.“
„Sorry, keine Zeit, muss los. Die Rakete glüht schon.“

Foto: NASA/Getty Images

Wer wie ich in einer selbstgebauten Rakete zum Mars fliegen will, darf nicht auf Miesmacher und Bedenkenträger hören. So steht’s in allen Lebenszielerreichungsratgebern, die ich kenne. Wenn also gleich der Mann einwendet, dass ich nicht mal ein Fahrrad aufpumpen könne, schmettere ich das locker ab: „Eben deshalb nehme ich ja eine Rakete!“ Mit einer solchen Antwort trotze ich nicht nur dem sachunkundigen Gegenwind, sondern ziehe genau daraus eine Kraft, die ich vor der Begegnung mit dem Widersacher noch gar nicht hatte.

Auch Freunde reagieren oft besorgt auf große Ideen: „Zum Mars? Herrje, übernimmst du dich da nicht wieder? Lass uns lieber ein Bier trinken!“ Als geschulte Ideenverwirklicherin erkenne ich derartige Fallen und wehre sie elegant ab: „Später gerne, sobald ich vom Mars wieder zurück bin.“ Mit einer solchen Ansage wecke ich in mir eine wahnwitzige Willenskraft. Ich suhle mich darin, bis die Eltern anrufen. Bevor die sagen können: „Ach je, du lebst ja immer noch in deiner eigenen kleinen Fantasiewelt“, habe ich schon längst verkündet: „Sorry, keine Zeit, muss los. Die Rakete glüht schon.“ Und das klingt dann dermaßen überzeugend, dass das Kind, das zufällig dieses Telefonat mitgehört hat, in Tränen ausbricht, weil: „Mama, diese Dinger explodieren doch immer!“ Und so habe ich die Chance, durch eine filmreife Szene meinem Selbstbewusstsein noch einen weiteren Kick zu geben. Ich gehe in die Hocke, gucke das Kind durchdringend an und sage: „Ich will, dass du mir jetzt gut zuhörst. Ich fliege heil zum Mars und wieder zurück. Das verspreche ich dir. Sag, dass du mich verstanden hast!“ Das Kind nickt dann schwächlich. Fertig. Ich stehe wieder auf, vollkommen davon überzeugt, dass ich nicht nur zum Mars fliegen, sondern jegliches Ziel erreichen kann.

Das Schreiben eines Jahrhundertromans dürfte in diesem Zustand locker nebenbei zu schaffen sein. Eben. Ich muss nur erst in den besagten Zustand kommen, indem ich mutig den Miesmachern und Bedenkenträgern trotze. Mit diesem Vorsatz trete ich hinaus aus meinem Arbeitszimmer – hinein in die Küche, wo die Tochter den Kühlschrank durchsucht. „Deine Mutter schreibt jetzt einen Jahrhundetroman!“, erkläre ich unvermittelt. Sie schaut auf, hocherfreut: „Krass super! Wann ist er fertig?“ Öhm, sag ich und lenke mit einer Frage nach ihren Hausaufgaben ab. Ich rufe eine Freundin an, um daran zu wachsen, dass ich ihre Besorgnisse ignoriere. „Endlich!“, ruft sie aus. „Nichts anderes habe ich von dir erwartet. Das schaffst du locker!“ Leicht erschöpft frage ich: „Meinst du?“ – „Wer, wenn nicht du?“ – „Danke“, sage ich leise und lege auf. „Wer war das denn?“, will der Mann wissen. Warum ich so konsterniert aussehe. Das macht mir Hoffnung. Vielleicht lacht wenigstens er mich aus. „Na ja, ich überlege gerade, ob ich vielleicht einen Jahrhundertroman schreiben soll.“ – „Ja unbedingt! Mach das! Du bist doch ein Genie!“ Ich ächze auf. Das hat mir den Rest gegeben.

Gibt es denn keinen, der wenigstens ein bisschen an mir zweifelt, damit ich das nicht selbst übernehmen muss? Jemand, dem ich stolz entgegenhalten könnte: Haha, du wirst schon sehen! Dass ich! Zum Mars! Sonst macht das doch überhaupt keinen Spaß. „Na, was sagst du dazu, dass ich mir einbilde, einen Jahrhundertroman schreiben zu wollen?“, frage ich geknickt den Hund. Er wedelt ekstatisch. War ja klar, dass er auch zu denen gehört. Diese ganzen Motivierer können einen echt so was von demotivieren.

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