Bis Ende dieses Jahres hätten sie die Chance, einen großen Wurf zu landen – doch SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine RessortkollegInnen aus den Ländern verständigten sich Anfang Februar lieber auf ein „Kompromissmodell“: Die Grundsteuer ist in ihrer heutigen Form verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2018 und verlangte eine Reform bis Ende 2019; andernfalls darf die Steuer nicht mehr erhoben werden. Stein des Anstoßes sind die „Einheitswerte“, die die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer bilden. In Westdeutschland stammen sie aus dem Jahr 1964, in Ostdeutschland von 1935, was zu erheblichen Verzerrungen führt. Ein Grundstück an der Berliner Mauer etwa, das 1964 unattraktiv war, gehört heute zu den Filetstücken der Hauptstadt, besteuert wird es aber weiter auf Grundlage jahrzehntealter Werte.
Lernen von der Eisenbahn
Die Grundsteuer ist eine klassische Kommunalsteuer, das heißt, die Einnahmen fließen ausschließlich den Gemeinden zu. Über einen Hebesatz kann jede Kommune selbst das Steueraufkommen beeinflussen. Abgeführt wird die Steuer von den Hauseigentümern, in Mietshäusern wird sie auf die Nebenkosten umgelegt, weswegen die Steuer letztlich von den Mietern getragen wird. Mit zuletzt 14 Milliarden Euro ist das Steueraufkommen relativ gering. Dies erklärt auch, weshalb es um die Grundsteuer jahrelang ruhig gewesen war. Die großen Steuerdebatten kreisen um ganz andere Fragen, etwa um die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer, die Abschaffung des Solis oder neuerdings um eine Digitalsteuer für Tech-Konzerne.
Das ist verwunderlich, denn historisch betrachtet bietet die Grundsteuer viel Konfliktpotenzial, gelten Erträge aus Grund und Boden doch als die Urform leistungsloser Einkommen. Schon der britische Ökonom John Stuart Mill schrieb Mitte des 19. Jahrhunderts: „Grundeigentümer werden im Schlafe reich, ohne zu arbeiten, ohne zu riskieren, ohne zu wirtschaften.“ Mill war der Meinung, dass die Wertzuwächse beim Boden, soweit sie auf der Erbringung öffentlicher Leistungen beruhen, nicht einem einzelnen Individuum, sondern der Allgemeinheit zugutekommen sollten.
In den 1870er Jahren dann beobachtete der Ökonom und Sozialphilosoph Henry George beim Eisenbahnbau in den USA, dass dort, wo die Gleise verlegt wurden, die Bodenpreise explodierten und die soziale Ungleichheit zunahm. Weil der Boden an Wert gewinne, ohne dass dessen Besitzer etwas dafür tun müsse, schlug er vor, ebendiese Erträge komplett abzuschöpfen.
Hierzulande ist George recht unbekannt, im angelsächsischen Raum und vor allem bei seinen Zeitgenossen war er aber sehr populär. Progress and Poverty, sein Hauptwerk von 1879, hat sich mehrere Millionen Mal verkauft: eines der erfolgreichsten wirtschaftspolitischen Bücher überhaupt.
Eine Anhängerin von Henry George war Elizabeth Magie Phillips, die Erfinderin des Gesellschaftsspiels Monopoly, das Georges Gedanken „einfachen“ Leuten zugänglich machen sollte: Wer zuerst die Schlossallee, die Parkstraße und ähnliche Lagen kauft, Häuser baut und teure Mieten verlangt, kann ein großes Vermögen aufbauen, während Mitspieler pleitegehen.
Im Zuge der Grundsteuerreform hat sich in Deutschland ein Bündnis formiert, das sich auf Henry Georges Ideen bezieht: Die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ schlägt vor, die Grundsteuer in eine Bodenwertsteuer umzuwandeln, bei der nur noch der Boden besteuert wird. Keine Rolle soll die Art der Bebauung spielen. Die Initiative wird von Adressen unterstützt, die man üblicherweise nicht unter einem Dach findet, etwa dem Deutschen Mieterbund, dem Naturschutzbund Deutschland, der Deutschen Umwelthilfe, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die Befürworter der Bodenwertsteuer gehen davon aus, dass der Wert eines Gebäudes im Wesentlichen durch den Grund und Boden bestimmt wird, auf dem es steht. So hat etwa ein Einfamilienhaus im Zentrum Münchens einen ungleich höheren Wert als ein exakt baugleiches Haus im Bayerischen Wald. „Die hohen Mieten und Preise kommen nicht zustande, weil in den Städten der Beton, die Stahlträger, der Mörtel oder die Bauarbeiter so viel teurer sind als im Rest des Landes, sondern wegen der hohen Bodenrenten und Bodenpreise“, sagt Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier.
Einladung zur Spekulation
Auf dem Papier hat solch eine Bodenwertsteuer gleich mehrere Vorteile. Sie lässt sich relativ einfach erheben, weil die Bodenrichtwerte, die die Bemessungsgrundlage bilden, bereits bekannt sind. Dies ist insofern von Belang, als es sich bei der anstehenden Grundsteuerreform um eine Mammutaufgabe handelt. Insgesamt 35 Millionen Grundstücke mit den dazugehörigen Gebäuden sind neu zu bewerten. Ferner würde eine Bodenwertsteuer den Mietwohnungsbau begünstigen und den Bodenspekulanten Sand ins Getriebe streuen. Denn bei der Bodenwertsteuer werden unbebaute Grundstücke und Einfamilienhäuser stärker belastet, Mehrfamilienhäuser und Geschosswohnungen entlastet. Die derzeitige Regelung hingegen bezeichnet Löhr als „eine Einladung zur Spekulation“.
Der Pferdefuß bei der Bodenwertsteuer: Ob eine Prachtvilla oder ein Bretterverschlag auf dem Grundstück steht, spielt bei der Ermittlung der Steuerschuld keine Rolle. Dafür mag es rein wissenschaftlich betrachtet gute Gründe geben. Auf der politischen Bühne macht dieser Umstand die Steuer aber schwer vermittelbar. Vermutlich darum stand die Bodenwertsteuer beim Treffen der Finanzminister Anfang Februar gar nicht mehr zur Debatte.
Nun soll es auf ein Modell mit Gebäudekomponente hinauslaufen: entweder werteunabhängig, also nur an der Boden- und Gebäudefläche orientiert, oder wertabhängig, was einer aktualisierten Variante der heutigen Einheitsbewertung entspräche. Die Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“ nennt dies „höchst widersprüchlich und immer noch viel zu komplex“. Dirk Löhr schrieb auf seinem Blog: „Der Berg kreißte und gebar … ein Kompromissmodell.“
Kommentare 19
Werfen wir einen Blick auf das Problem aus der Sicht der klassischen Volkswirtschaft, die drei Produktionsfaktoren kennt: Boden, Arbeit, Kapital. Das knappste Gut, das nicht beliebig vermehrt werden kann, ist der Boden. Es liegt nahe, dass man der Privatisierung dieses Produktionsfaktors entgegenwirkt, da mit ihm auch das Grundbedürfnis Wohnen befriedigt wird.
So gibt es nach wie vor die Möglichkeit der Erbbaupacht. Das Grundstück wird nicht ge(ver)kauft, sondern für 99 Jahre gepachtet. Danach fallen Gebäude und Grundstuck an den Pachtgeber. Und das sollte der Staat, vornehmlich die Kommune, sein. Damit könnte der Spekulation mit Grund und Boden ein Stein in den Weg gelegt werden.
>> Damit könnte der Spekulation mit Grund und Boden ein Stein in den Weg gelegt werden. <<
Müssten dazu die existierenden Grundstücksbesitzer enteignet werden?
Erst mal dürfte kein Quadratzentimeter, der noch in öffentlichem Eigentum mehr verhökert werden.
Eigentümer, die ihr Eigentum zum Schaden der Allgemeinheit einsetzen (wie z. B. die "Deutsche Wohnen") können nach GG Artikel 14 / 15 enteignet werden. Dabei ist zu beachten, dass eine Enteignung kein Kauf ist: Eine Entschädigung, falls überhaupt eine bezahlt wird, müsste mit dem Allgemeinwohl kompatibel sein.
>> Erst mal dürfte kein Quadratzentimeter, der noch in öffentlichem Eigentum mehr verhökert werden. <<
Liesse sich das ohne Gesetzesänderungen in die Wege leiten? Wenn nicht, gäbe es politische Mehrheiten dafür?
Was die Wählermehrheit angeht, die dürfte allmählich aufgrund der zunehmend bitteren Erfahrungen mit dem Mietwucher zur Zeit gerade entstehen.
Ein Ausführungsgesetz zum GG 14 wäre wahrscheinlich nötig, nicht erst seit heute. Regierungen sollten ja Verstösse gegen das GG nicht einfach folgenlos abnicken dürfen.
Die vielen Konjunktive deuten an, dass Sie entsprechende Realisierungen in den nächsten 20 Jahren nicht erwarten, oder missverstehe ich Sie?
>>Müssten dazu die existierenden Grundstücksbesitzer enteignet werden?<<
An diese dürfte man ohne GG-Änderung nicht drankommen. Aber bei Umwidmungen, z.B. Wiesen in Bauland oder in Gewerbegrundstücke, könnte man schon was machen, um der Spekulation entgegenzuwirken.
Na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sehr optimistisch bin ich für die nähere Zeit nicht, das stimmt schon.
<< [...] könnte man schon was machen, [...] >>
Ich kann den politischen Willen dazu nicht erkennen. Auch diese Änderungen wären schwierig & problematisch.
der beitrag zielt auf das zentrum: das privat-eigentum an boden.
der preis des privaten bodens richtet sich
nicht nur nach kommunalen/kollektiven bedürfnissen,
sondern erhöht sich durch kollektive/kommunale erschließung,
ausbau der infra-struktur, nähe von kultur-angeboten,
öffentlichen parks, verkehrs-anbindungen.....
und wie kommt man der verschwendung von landschaft
durch zer-siedelung bei?
und wie setzen sich kollektive/kommunale bedürfnisse
durch gewählte, lokal-verantwortliche um?
>>...wie kommt man der verschwendung von landschaft durch zer-siedelung bei?<<
Die in Deutschland am häufigsten vorkommende Wohnart ist die des Single-Haushalts. Mehr als 41 Prozent sind das. In den Städten liegt er über 50 Prozent. Diese Wohnform verbraucht die größten Ressourcen. Fasst man alle Wohnformen zusammen, lebt der Durchschnittsdeutsche auf 46,3 Quadratmetern. Nicht gerade wenig. Die Neubauwohnungen werden immer kleiner, um dem Trend zum Kleinhaushalt Rechnung zu tragen.
Man unterscheidet, ob mit dem Grund und Boden ein Geschäft verbunden ist, also eine Firma darauf gebaut ist, oder ob das Grundstück das Grundbedürfnis Wohnen befriedigt. Das wird von den Kommunen praktiziert, jedoch sind die Grundstücke bei Umwidmung von Brachland in Gewerbegebiete immer preiswerter als die Umwidmung in den angrenzenden Wohnarealen. Eigentlich müsste das umgekehrt sein. Und der Clou: In den Gewerbegebieten dürfen die Gewerbetreibenden auch noch privat wohnen, also ihre Ein- oder Zweifamilienhäuser errichten.
>> Diese Wohnform verbraucht die größten Ressourcen. <<
Sollte man mit dem Ziel Ressourceneinsparung grosse Wohngemeinschaften und Grossfamilien fördern? Das wär mal was!
da würden sich dann viele
lieber in ihren autos aufhalten. oda?
Ja, Stretchlimousinen wären auch ein Ansatz alternativen Wohnens :)
natürlich nur korrekt-immobilisierte, stationär zu verwendende
mit video-fenstern und eingespieltem motor-/wind-geräusch. :-)
Plus Sonnenenergiepanelen auf Dach und Motorhaube.
Wimdenergiemast auf der Anhängerkupplung.
Eine Neuregelung der Grundsteuer birgt erheblichen politischen Sprengstoff.
Erst einmal gibt es die Bodenrichtwerte als nützliche Grundlage. Sie können unmittelbar verwandt werden. Dann gibt es die lokalen Mietspiegel, mit denen der Wert der aufstehenden Immobilien mit einem Jahremietwert erfasst werden könnte. Daraus setzt sich dann der Wert einer Immobilie für die Besteuerung zusammen - und zwar mit einem realistsichen Zeitwert (für die Eigentümer auch interessant als Beleihungswert). Dies war das ursprüngliche Modell von Scholz. Und da Bodenrichtwerte in allen als auch Mietspiegel in vielen Kommunen bereits vorhanden sind kann im Computerzeitalter die Sache so kompliziert nicht sein.
Aber die ölonomischen Eliten haben den Braten längst gerochen. Kommt es zu einem halbwegs realsitischen Zeitwert, dann steht der Einbeziehung der Immobilien für eine Vermögensbesteuerung nichts mehr im Wege. Man erinnere sich, dass wegen der Einheitswerte die Vermögenssteuer für das BVerfGericht einstmals als nicht verfassungsgemäß ansahen.
Wie können nun Einfamilienhausbesitzer und Mieter vor unsozialen Belastungen geschützt werden? Nun, die Gemeinden haben das Recht Hebesätze zu bestimmen, die aktuell ein Mehrfaches des Einheitswertes als Grundlage haben. Da können sie steuernd verhindern, dass die heutige Grundsteuerbelastung nicht überschritten wird. Und die Mieter können dadurch entlastet werden, dass die Grundsteuer nicht mehr in Nebenkostenberechnung einfließt. Dann wirkt das Ganze wie ein vorgezogener Abschlag auf die Einkommenssteuer und hätte lediglich die Wirkung, dass sich der kommunale Anteil an der Einkommenssteuer erhöht zulasten der Länder und des Bundes.
Und endlich könnte eine verfassungskomforme Vermögensbesteuerung zugunsten der Länder eingeführt werden.
Dieser Spin "es ist ja alles so kompliziert" soll lediglich die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer verhindern. Die hier vorgeschlagene Regelung könnte auch dem land banking entgegenwirken. Leider hat Scholz den Schwanz eingezogen und die veröffentlichte Meinung macht da einfach mit - for the few not the many.
>>Leider hat Scholz den Schwanz eingezogen...<<
...und die Umfragewerte der "S"PD steigen wieder.