Auf der Achterbahn

Katalonien Im Wahlfieber driften die Unabhängigkeitsparteien merklich auseinander
Ausgabe 45/2017

Ein Präsident im Exil, sein halbes Kabinett in Haft, eine vom Zentralstaat außer Kraft gesetzte Regionalregierung – und Bürger, die seit Monaten auf die Straße gehen. Seit sich Katalonien als europäischer Krisenherd etabliert hat, geht das mit einer Achterbahnfahrt der katalanischen Politik einher, die sich angesichts der von Madrid dekretierten Regionalwahl am 21. Dezember neu ausrichten muss. Doch wollen in die Wagen dieser Achterbahn manche Bürger nicht mehr einsteigen. Viele sind der steten Mobilisierungen ebenso leid wie des nicht abreißenden Lärms der Polizeihubschrauber, die der Staat über ihren Köpfen kreisen lässt. Der Unabhängigkeitsfuror bleibt, aber er wirkt erschöpfter als im Oktober. Im Alltag verheißt der Wille zu mehr Selbstbestimmung Frustration und Stress – in der politischen Sphäre Repression.

Überreizte Atmosphäre

Die Atmosphäre der Überreiztheit beeinflusst notgedrungen die Parteien und ihre Kampagnen. Nachdem er vor kaum zwei Wochen Kataloniens virtuelle Unabhängigkeitserklärung mittrug, steht der konservative Partido Demócrata Europeo Catalán (PDeCAT) besonders unter Druck, seinen Kurs zu bestimmen. Als sich Carles Puigdemont nach Brüssel absetzte und die Regierung von Premier Rajoy die Kontrolle Kataloniens übernahm, schien es zunächst so, als entschieden sich die Konservativen für das, was intern bereits angekündigt war: Sollte der Unabhängigkeitsprozess misslingen, werden wir einen Kandidaten aufstellen, der lediglich mehr Autonomie für Katalonien in Spanien fordert. Eine solche Distanzierung von der Souveränität Kataloniens hätte eine alte Tradition des PDeCAT bedient, mit den spanischen Staatsparteien wie dem regierenden Partido Popular (PP) zu paktieren und sich im Gegenzug mit Geldern und Regionalkompetenzen ausstatten zu lassen.

Santi Vila, Minister des Puigdemont-Kabinetts und vor der Unabhängigkeitserklärung aus Protest zurückgetreten, wäre die Idealbesetzung gewesen, um diesen pragmatischen Katalanismus wiederzubeleben. Die Unabhängigkeit sei bloß innerhalb „eines legalen Rahmens“ möglich, genauso wie in Schottland, so Vila. Kurzum: Der PDeCAT schien gewillt, fortan weniger auf die Unabhängigkeit als vielmehr auf den Unabhängigkeitsprozess zu setzen. Auf viele Jahre verteilt, ohne Eile, ohne Wagnisse.

Doch Puigdemont vereitelte aus Brüssel – zumindest fürs Erste – eine derartige Neuausrichtung. Der Ex-Präsident verlangte, dass alle Kräfte, die für ein souveränes Katalonien einstehen, beim Votum am 21. Dezember mit einer Einheitsliste antreten und sich „für die Freiheit der politischen Gefangenen und für die Republik“ aussprechen. Allerdings kommt eine Neuauflage der Unabhängigkeitsallianz Junts pel Sí, in der während der vergangenen Legislatur der PDeCAT mit der sozialliberalen Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) kooperierte, Letzterer ungelegen. Die ehrwürdige, 1931 gegründete ERC möchte endlich Kataloniens stärkste Kraft werden (Umfragen prophezeien ein Ergebnis um die 30 Prozent), um eigenständig über Inhalte, Tempi und Personalien des Unabhängigkeitsprozesses zu entscheiden. Und auch die ERC kann Märtyrer vorweisen. An erster Stelle Parteichef Oriol Junqueras, der seit Anfang November in Untersuchungshaft sitzt. Umso mehr soll er die ERC-Liste anführen. Es wäre eine symbolische Geste, die zudem historisches Gedächtnis bemüht. Denn nach dem Bürgerkrieg saß Kataloniens damaliger Präsident Lluís Companys, ein Politiker der ERC, ebenfalls in Haft. Anders als Companys mit seinem tragischen Ende (er wurde auf Betreiben der Franco-Diktatur am 15. Oktober 1940 hingerichtet) könnte Junqueras das Gefängnis als Kataloniens neuer Präsident verlassen .

Die Aussicht auf Macht dürfte die ERC verleiten, autonom anzutreten und mit anderen Parteien nur in einigen Programmpunkten auf Gemeinsamkeit Wert zu legen. Etwa „Freiheit und Ende von 155“ zu fordern, also jenes Verfassungsartikels, der gerade die Intervention Madrids in Katalonien legitimiert.

Für eine nur bestimmten Inhalten geltende Koordination der Wahlkampagne plädiert auch eine andere Formation, von der noch vor kurzem erwartet wurde, dass sie die Vorherrschaft der Unabhängigkeitsparteien brechen kann: Catalunya en Comú (Gemeinsames Katalonien). Ende 2016 aus alten und neuen linken Parteien entstanden, ist diese Allianz vorrangig eine Folge der Kooperation von Ada Colau, Barcelonas charismatischer Bürgermeisterin, mit der Podemos-Führung in Madrid. Nur leider führte bei Catalunya en Comú der Dirigismus des Colau-Zirkels zu Unmut und dem Vorwurf: Die Exekutive wurde per Fingerzeig nominiert, Kritik verdrängt. So weigerte sich die Podemos-Filiale in Katalonien unter Albano Dante Fachin, an Catalunya en Comú teilzunehmen. Ein Unding, da es bei den Linken darauf ankam, die Reihen zu schließen, um die Polarisierung zwischen Separatisten und Antiseparatisten aufzubrechen. Inzwischen wurde Fachin zum Rücktritt gezwungen.

Podemos im Zwielicht

Catalunya en Comú hat nun bis zum 21. Dezember Zeit, um den Balanceakt zu versuchen, solidarisch gegenüber den Opfern der Repression zu sein, aber Kritik am bisherigen Unabhängigkeitskurs zu üben; die Notwendigkeit eines neuen breiten Fundaments der Unabhängigkeitsbewegung zu betonen, aber Spaniens Verfassung nicht derart zu attackieren, dass in Madrid wie Barcelona die Zusammenarbeit mit den Sozialisten Schaden nimmt; ein Referendum für Katalonien zu verlangen, aber dabei die vielen sozialen Konflikte des Landes nicht aus den Augen zu verlieren. Ob das Kunststück gelingt, all dies zu einem so kohärenten wie mitreißenden politischen Narrativ zu verdichten? Letzte Umfragen sagen Catalunya en Comú höchstens 15 Prozent voraus. Damit wäre man weit entfernt vom Resultat bei den gesamtspanischen Parlamentswahlen im Juni 2016, als Podemos in Katalonien zur ersten Kraft wurde. Um wieder aufzusteigen, wäre es ratsam, alles Nationalpathos beiseite zu lassen und sich stattdessen, ganz unprätentiös, wieder mehr den Sorgen der Bürger und ihren schlaflosen Nächten zuzuwenden.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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