Auf der anderen Seite

Partnertausch Wie verändern sich die Rollen zwischen Frau und Mann, wenn für einen Abend alles erlaubt ist? Zu Besuch in einem Swinger-Club

Der Ort befindet sich tief im Westen der Republik, aber jeden Samstag nach 22 Uhr legt der DJ irgendwann die CD mit dem alten City-Hit "Am Fenster" ein – die lange Version, mehr als eine Viertelstunde. Auf der Tanzfläche drängen sich Paare, die schwarz, spärlich oder gar nicht bekleidet sind. Die jüngsten von ihnen wurden vielleicht zehn Jahre nach dem großen Erfolg des Liedes geboren, die ältesten sind mit dem Lied und der Sehnsucht, von der es erzählt, aufgewachsen.

Die Tanzfläche gehört zu einem SwingerClub. Würde man zu Beginn des Abends direkt vom Eingang hinüber in den Barbereich gehen, hielte man das Lokal wohl für einen normalen Club. An der Bar stehen Menschen unterschiedlichen Alters mit Cola-, Sekt- und Weingläsern in den Händen. Auf der Tanzfläche wiegen sich ein paar Frauen, in Sitzecken unterhält man sich in kleinen Gruppen oder zu zweit.

Aber man gelangt nicht auf direktem Weg in den Barbereich, man passiert zuerst den Umkleidebereich. Hier wechselt jeder seine Kleidung – und damit seine Rolle und seine Welt. Draußen sind sie Lehrer, Heizungsmonteure, Sachbearbeiter, Eltern, Fußballfans oder Kleingartenbesitzer, hier drinnen werden sie zu Liebhabern und Verführern – jedenfalls ist das die Absicht, wenn sie Jeans und T-Shirt gegen schwarzen Lack und Reizwäsche wechseln. Die Alltagsidentität soll mit der Alltagskleidung abgestreift werden.

Dass sie jedoch bleiben, wie sie sind, verrät schon ein genauerer Blick auf das Outfit: Während die Frauen das erotische Spiel des Zeigens und Verbergens zum großen Teil perfekt beherrschen, erscheinen viele Männer wenig überraschend in schwarzem Shirt, mehr oder weniger knapp sitzender Hose und – in Badelatschen. Allerdings ist das Angebot an verführerischer Bekleidung für Männer in Fachgeschäften auch eher gering, während Frauen eine riesige Auswahl zur Verfügung steht. Erotisch wirkendes Schuhwerk für den Herrn gibt es praktisch nicht, während die Dame in jedem Schuhgeschäft aus einem Überfluss an High Heels und Lackstiefeln wählen kann.

Ein Ort der Frauen

Aber nicht nur wegen des Schuhwerks ist jeder Swingerclub ein Ort der Frauen. Wer emanzipierte, selbstbestimmte Frauen erleben will, sollte einmal dorthin gehen. "Ich genieße die Blicke und die Berührungen, wenn ich tanze. Dann weiß ich, dass ich schön bin", sagt eine schwarzhaarige Frau. Sie ist knapp vierzig Jahre alt. Sie habe lange auf einer Baustelle gearbeitet, erzählt sie. Irgendwann an diesem Abend geht sie hinüber zu der verchromten Stange, die am Rand der Tanzfläche vom Boden bis zur Decke reicht. Die Schwarzhaarige zieht sich hinauf, schlingt ihre Beine um die Stange und lässt sich fallen. Sie ahnt, wie viele Männer jetzt zu ihr hinübersehen. Sie hat keine "Traumfigur" – aber die hat hier niemand. Das Spiel der Verführung funktioniert auch ohne Idealmaße.

Ein Paar um die 50 sitzt an der Bar: "Wir sind hier wegen uns selbst. Du kannst hier einfach machen, worauf du Lust hast. Meistens bleiben wir zu zweit", sagt er. Sie fügt hinzu: "Hier haben wir mehr Möglichkeiten als in unserem Schlafzimmer. Und ich brauche nicht darüber nachzudenken, ob uns irgendwer hören kann."

Als Grundregel der Swingerclubs steht auf deren Webseiten: "Alles darf, nichts muss." Ein jüngeres Paar, beide um die 30, steht am Tresen, er, mit einem Bierglas in der Hand, sagt: "Wir kommen alle paar Wochen hierher, unterhalten uns mit denen, die wir schon seit Jahren kennen, und warten darauf, dass was passiert. Meistens passiert nichts." Denn auch wenn hier keine Konventionen irgendwelche Grenzen setzen, fällt man doch nicht wahllos übereinander her. Das Fehlen von Konventionen wirkt hier auch in der Verweigerung – da alles erlaubt ist, ist es auch gestattet, zu allem Nein zu sagen. Auch zum eigenen Partner.

Nirgends ist der Mensch so auf sich gestellt wie unter den Bedingungen völliger Freiheit von den Vorgaben, wie "man" sich zu verhalten habe. Ein Swingerclub ist für niemanden Alltag, auch nicht für die, die jede Woche hier sind, denn sie treffen auf Menschen, die zum ersten Mal hierherkommen, und deren Reaktionen und Verhalten sie nicht vorhersehen können.

"Was geht und was nicht, kannst du niemals genau wissen", sagt eine kleine Frau, während sie sich von einem Kerl streicheln lässt, den sie zwei Stunden zuvor noch nicht kannte. Sie geht mit ihrem Mann zusammen alle paar Wochen in einen Swinger-Club, möglichst nur einmal im Jahr in denselben. Dafür nimmt das Paar lange Anfahrtswege in Kauf, hin und wieder dauert die Rückfahrt mehr als zwei Stunden. Aber sie wollen am Sonntagmorgen zu Hause sein, wenn die Kinder aufwachen.

"Manchmal spürst du, dass alles ganz einfach und selbstverständlich ist, das ist aber ein Glücksfall", sagt die kleine Frau. Die meisten hier gehen gelassen mit Überraschungen um. Trotzdem bleibt es für die Paare ein Grenzgang, wenn sie in die "Spielräume" des Clubs wechseln. Auch wenn hier niemand etwas mit sich machen lässt, was er oder sie nicht will, können die Erfahrungen, die die Clubbesucher hier machen, dennoch verstörend und auch schmerzlich wirken.

Ein großer Mann mit graumelierten Haaren erzählt: "Wenn du irgendwann im Laufe des Abends erlebst, dass deine Frau sich auch mal gern von anderen Typen verwöhnen lässt, dann kann dich das schon schockieren. Dann entdeckst du nicht nur völlig neue Seiten an ihr, sondern vor allem auch an dir selbst." Er und seine Frau haben auf der Rückfahrt nach ihrem ersten Besuch in einem Swingerclub ziemlich lange geschwiegen, das wissen sie heute, nach Jahren noch. Er gibt zu, dass er eifersüchtig war, auch wenn er "selbst es natürlich schön fand, andere Frauen anzufassen". "Heute reden wir darüber, aber nicht viel. Man muss nicht alles zerreden, wenn man sich liebt."

Die Kinder wissen nichts

Erzählen sie ihren Kindern, wohin sie fahren und was hier passiert? "Nein, auf keinen Fall, obwohl die quasi schon erwachsen sind. Aber das müssen sie nicht wissen, sie müssen ja nicht alles von ihren Eltern wissen."

Die Frage, ob sie glauben, dass ihre Eltern je in einem Swingerclub waren, beantworten die meisten an diesem Abend mit einem klaren Nein. Einer sinniert allerdings: "Wahrscheinlich würden meine Kinder diese Frage ebenso spontan mit Nein beantworten. Worüber man nie redet, das kann sich natürlich auch keiner vorstellen. Aber was weiß man schon wirklich über den Alltag der Anderen, der Freunde, der Eltern? Du redest über den Beruf, über die Schule, vielleicht übers Kochen oder den Garten."

Irgendwann gegen zwei Uhr morgens verschwinden die ersten Paare wieder in Richtung der Umkleide-Schließfächer, wo sie ihre Alltagssachen und ihre Alltagsrollen zurückgelassen hatten. Von dem, was sie hier getan haben, weiß da draußen niemand etwas. Dort sind sie wieder Sachbearbeiter, Monteure und Lehrer. Aber so, wie sie ihre Alltagsrollen im Club nicht völlig ablegen konnten, so ist es auch nicht vorstellbar, dass sie von dem, was sie in diesen Nächten sind, nichts mit in ihren Alltag nehmen.

Lara und Christoph Sonnabend haben sonntags bis freitags andere Namen. Sie haben diesen Text geschrieben, weil sie glauben, dass jeder Mensch auch eine andere Seite hat

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