Modell Skandinavien Mit seiner unideologischen Arbeitsmarktpolitik könnte Schweden Vorbild sein. Dort hat man in zehn Jahren die Arbeitslosenquote um acht Prozent gesenkt
Die Schwedin Monica Robin-Svensson (64) muss sich noch ein Jahr mit ehrenamtlichen Tätigkeiten begnügen, um das erworbene Vorruhestandsgeld nicht zu gefährden. Dann kann die Power-Rentnerin loslegen: "Ich brauche nur ein Handy, ein geleastes Auto, einen Laptop und ein kleines Honorar." Als frühere Direktorin eines Landesarbeitsamtes weiß sie um die Marktnische: "Vor allem die kleineren Unternehmen kommen mit den Arbeitsämtern nicht zurecht. Fast alles läuft nur noch über die IT-Schiene." Zu vielen Unternehmen in den nördlichen Regionen macht sich kaum ein Arbeitsvermittler mehr persönlich auf. Die Nachfrage ist groß. "Arbeitsmarktpolitik ist ja nicht nur IT - es ist solides, qualifiziertes Handwerk!"
Sind das Probleme, hätte man hi
tte man hierzulande gerne mehr davon. Schwedens Bilanz der vergangenen Jahre ist schier unglaublich. Die Arbeitslosenquote liegt knapp über fünf Prozent, noch vor zehn Jahren stand sie bei etwa 13 Prozent, die Krise der IT-Branche zu Beginn des Jahrtausends brachte große Entlassungen in den Ballungsräumen Stockholm, Malmö und Göteborg. Vom gefeierten Star der Nachkriegsgeschichte geriet das "Schwedische Modell" zur ausgiebig verspotteten Zielscheibe neoliberaler Politik. Selten schien derart klar, dass es mit "dritten Wegen" nicht klappen kann. Fast hätte man in Schweden selbst daran geglaubt. Heute scheint das lange her. Das Wirtschaftswachstum 2005 lag bei 2,4 Prozent, für 2006 rechnet das Finanzministerium konservativ mit 3,5 Prozent und liegt damit wieder einmal klar über dem EU-Durchschnitt.Wahlen und ZahlenIst das nicht toll? Nein, denn am 17. September wird gewählt. Und da werden der aus einer Minderheit regierenden Sozialdemokratie angesichts knapper Umfragen schon mal die Füße kalt. Nicht nur die bürgerliche Opposition, auch die stillen Partner von Linkspartei und Grünen schauen auf Zielvorgaben. Die Arbeitslosenquote soll mittelfristig auf vier Prozent gesenkt werden. Doch dieses Jahr wird daraus nichts. Und so überweist die zentrale Arbeitsverwaltung den schwedischen Kommunen schon seit einigen Monaten zusätzliche finanzielle Mittel zur Umsetzung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Wenigstens die "4" vor dem Komma soll so im Sommer stehen. Die Opposition tobte ob derlei "Wahlgeschenke". Radikale Arbeitsmarktreformen anzukündigen vermeidet die Regierung tunlichst. Auch wenn vereinzelt aus Oppositionsreihen die Abschaffung der staatlichen Arbeitsverwaltung gefordert wird, so hat dies die herausragende Stellung der mit modernster Technik ausgestatten Arbeitsämter bisher nicht ernsthaft beeinträchtigen können. Doch die Schweden sind sich in puncto Arbeitsmarktpolitik ihres Vorsprungs vor anderen Ländern, namentlich Deutschland, gar nicht bewusst. Samuel Engblom, Chefanalyst der zentralen Arbeitsverwaltung AMS, zögert mit der Antwort auf die Frage nach der Betreuungsquote in den Arbeitsämtern: "Unsere Relation von 1:50 zwischen Frontline-Mitarbeitern und Arbeitslosen täuscht. Da muss man noch all diejenigen einbeziehen, die sich mit zusätzlichen Angeboten um die Leute kümmern." Unsicherer Blick, vielleicht wäre 1:40 korrekt, aber das hat noch keiner ausgerechnet. Warum auch, in vielen deutschen Ballungsräumen mit Arbeitsmarktproblemen liegen die Zahlen oft mehr als zwanzig mal so hoch, obgleich die Hartz-Reformen die Betreuungsquote auf 1:150 drücken sollten.Schweden hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Reformen durchgeführt, die zentrale Funktion einer dynamischen staatlichen Arbeitsmarktpolitik hat dabei nie gelitten. Schon das nach dem Krieg praktizierte "Schwedische Modell" sah eine höchst aktive Rolle von Arbeitsmarktpolitik vor und kombinierte sie ganz bewusst mit Tarifpolitik, arbeitsrechtlichen Regelungen, Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik: Die in zentralen Tarifverhandlungen festgelegte solidarische Lohnpolitik orientierte auf annähernd gleiche Lohnhöhen für gleiche Arbeit quer über verschiedene Betriebsgrößen und Branchen. Negative Konsequenzen waren einkalkuliert. Eher unrentable Unternehmen hatten die Wahl zwischen einschneidenden Produktivitätszuwächsen durch Kosteneinsparungen oder Betriebsaufgabe. Arbeitsrechtliche Hindernisse für die vielen Freisetzungen gibt es bis heute wenig, die maximale Kündigungsfrist sind sechs Monate für zehn Jahre Betriebszugehörigkeit, es werden relativ geringe Abfindungen gezahlt. Die Gewerkschaften akzeptieren dies bis heute nur deshalb, weil Arbeitslosen eine relativ hohe Unterstützung gezahlt wird und nachweislich enorme Anstrengungen unternommen werden, sie anderswo wieder in Lohn und Brot zu bringen. Unternehmerische Flexibilität ja, aber nur bei sozialer Absicherung, das ist Flexicurity.Auch in den krisenreichen neunziger Jahren waren die Arbeitsmarktreformen von den zahlreichen Deregulierungen nur beschränkt betroffen. So wurden die in den achtziger Jahren abgeschafften Karenztage wieder eingeführt. Wer gekündigt wurde, muss seitdem mit fünf Karenztagen rechnen, bevor er Arbeitslosengeld beziehen kann. Wer selbst kündigt, erhält nach wie vor eine 40-tägige Sperrzeit. Auch an der Lohnersatzquote des Arbeitslosengeldes wurde gedreht: Zwischen 1991 und 1994 wurde sie von der bürgerlichen Koalition von 90 auf 80 Prozent gesenkt, von den Sozialdemokraten zunächst nochmals auf 75 Prozent. Seit 1998 gibt es wieder 80 Prozent. Da die Arbeitslosenversicherung bis heute fast ausschließlich durch Steuern finanziert wird, fallen die seit 1995 festgelegten "Mitgliedsbeiträge" der Beschäftigten für ihre Arbeitslosenkasse von circa zehn Euro pro Monat nicht ins Gewicht.Angebot "Aktivitätsgarantie"Die Bezugsdauer blieb jedoch unverändert: Offiziell erhält man längstens 300 Tage Arbeitslosengeld, in vielen Fällen können sich daran weitere 300 Tage anschließen, wenn der Betroffene nach wie vor eine Chance auf Reintegration hat. Falls dies aus Sicht der Arbeitsämter nicht mehr ohne zusätzliche Unterstützung realistisch scheint, schließt sich seit einigen Jahren die so genannte "Aktivitätsgarantie" an. Um diese Arbeitslosen kümmert sich die Behörde intensiv und zugleich macht sie ihnen klar, dass ab diesem Zeitpunkt kein Leistungsbezug ohne Mitwirkung mehr möglich ist. Gruppen von 15 bis 20 Personen absolvieren dann ein möglichst individuell zugeschnittenes Vollzeit-Aktivitätsprogramm, Unterstützung gibt es in Höhe des Arbeitslosengeldes. Das dauert so lange, bis ein Arbeitsplatz für mehr als sechs Monate gefunden ist, eine reguläre Ausbildung aufgenommen werden kann oder man selbst ausscheiden will. Eine Rückkehr in einen "normalen" Arbeitslosengeldbezug gibt es nicht mehr. Schwedische Arbeitsämter können unbarmherzig sein, gerade weil sie viele Angebote machen.Strukturelle Reformen zur besseren Passfähigkeit der staatlichen Angebote gab es reichlich. Die 20 Landesarbeitsämter mussten ihr Personal um bis zu 80 Prozent (!) reduzieren. Daneben wurde das staatliche Monopol der für die Arbeitsverwaltung tätigen Bildungsdienstleister aufgehoben, seither erhalten auch viele private Bildungsunternehmen, Hoch- und Fachschulen Aufträge der Arbeitsämter.Auch in Schweden ist seit 2002 eine "Missbrauchsdebatte" im Aufwind. Um ihr zu begegnen, prüft seit 2004 ein neu geschaffenes Aufsichtsamt mögliche Missbrauchsfälle beim Bezug von Arbeitslosengeld - zum Beispiel nicht deklarierte Nebeneinkünfte oder falsche Berechnungen der Kassen. Zugleich steht die Institution auch für den Versuch, einem Generalverdacht auf Missbrauch gegenüber allen Arbeitslosen den Boden zu entziehen. Ob diese Rechnung in der konservativ-liberal dominierten Printmedienlandschaft aufgeht, ist freilich offen.Schwedens Arbeitsmarktpolitik, so könnte ein Fazit im Wahljahr lauten, hat kaum gravierende Reformen zu befürchten, weil sie all die Jahre letztlich erfolgreich auf der Höhe der Zeit war, anstehende Veränderungen mit vollzogen und ihren professionellen Standard gehalten hat. Und wenn es im Herbst tatsächlich einen Regierungswechsel geben sollte? Monica Robin-Svensson zuckt nur kurz mit den Schultern: "Wenn es so wird wie 1991 bis 1994, dann werden es tolle Jahre. So viel Geld wie damals hat der Staat nie wieder für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben." Verrücktes Land!
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