Die Dinge kommen in Bewegung, aber es ist mehr als das. Als verändere sich das Verhältnis zu deiner Umgebung.“ Wir sitzen in Brents Bungalow in West Adams. Die Gegend in South Los Angeles, in der – wie Brent – viele Afroamerikaner und Latinos wohnen, erlebt gerade einen Schwung. Häuser wie dieses, gebaut in den 1930er Jahren im spanischen Kolonialstil, sind begehrt. Doch wir reden nicht über Veränderungen der Nachbarschaft, sondern darüber, wie es ist, wenn die Erde bebt. „Ein paar Sekunden, danach siehst du alles mit anderen Augen. Wände, Decken, Boden, du denkst, das ist solide Materie – dann biegt es sich wie Gummi.“
9.000 Verletzte
In Los Angeles hat jeder sein Quake-Erlebnis zu erzählen. Vernon war auf einer Party, als es losging. „Der Gastgeber reichte einen Aperitif. Kurz darauf wurde uns komisch. Wir dachten, es wären die Drinks, bis wir die schwingende Deckenlampe bemerkten.“ Es war ein kleines Beben um Stärke 4 auf der Richterskala, wie sie hier häufiger vorkommen. Mittelschwere Beben bis Stärke 5,9 sind viel seltener. Und Starkbeben wie das 1994 im 30 Kilometer entfernten Northridge mit einer Magnitude von 6,7 hat es im Los-Angeles-Becken seit Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr als 16 gegeben. Northridge kostete 57 Menschen das Leben, mehr als 9.000 wurden verletzt, der Sachschaden belief sich auf über 30 Milliarden Dollar. Das Beben hatte einige Gesetzesänderungen zur Folge. Krankenhäuser, Brücken und die Gasversorgung sollten von nun an erdbebensicher sein. Weil die meisten Versicherungen für Schäden infolge von Beben nicht länger aufkommen wollten, wurde die privat finanzierte California Earthquake Authority ins Leben gerufen. Das 1991 gegründete Southern California Earthquake Center und das Seismo Lab am California Institute of Technology in Pasadena verstärkten ihre Bemühungen bei der Erforschung der heiklen kalifornischen Geologie zwischen der pazifischen und der nordamerikanischen Platte. Fördergelder flossen, um ein Erdbeben-Frühwarnsystem für Kalifornien auf den Weg zu bringen, wie es in Japan bereits seit 2007 existiert. 2012 konnte ein Verbund aus staatlichen und wissenschaftlichen Institutionen, darunter die Universitäten Berkeley, Washington und Oregon, die Beta-Version von ShakeAlert präsentieren. Erst Ende März wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Notwendigkeit des Systems auch für den pazifischen Nordwesten feststellt.
Die Nachricht kam deshalb wie ein Stoß und verbreitete sich rasend schnell unter den beteiligten Wissenschaftlern: Der erste vollständige Haushaltsentwurf für 2018, den die Regierung Trump vergangenen Dienstag in Washington vorstellte, sieht die Streichung der staatlichen Gelder für die Entwicklung des Erdbeben-Frühwarnsystems ShakeAlert vor. Die vom United States Geological Survey (USGS), einer dem Innenministerium unterstellten Behörde, ausgegebene Förderung für die regionale Überwachung, Einstufung und Erforschung von Beben sowie für die Risikobewertung und Aufklärungsarbeit wird eingeschränkt. Wird der Entwurf umgesetzt, fehlen den Seismologen an der erdbebengefährdeten Westküste demnächst rund 9,5 Millionen Dollar.
Das wäre das Ende des Frühwarnsystems, ließ John Vidale, Direktor des Pacific Northwest Seismic Network, bereits verlauten. Und Lucy Jones, in Los Angeles eine Art Popstar der Seismologen mit Sendungsbewusstsein und Beratervertrag vom Bürgermeister, meinte in der L.A. Times, sie sei schwer enttäuscht. Das Budget zu streichen, bedeute auch, die bereits investierten 23 Millionen zu verschwenden. Die am Projekt beteiligten Wissenschaftler würden sich neue Jobs suchen, Wissen und Erfahrung mitnehmen. Im Katastrophenfall könnten wichtige lebensrettende und geldeinsparende Maßnahmen nicht anlaufen.
Kostbare Zeit
Erdbeben-Frühwarnsysteme, bei denen Sensoren im Erdboden seismische Wellen registrieren und die Daten blitzschnell weiterleiten, gibt es in Mexiko, Taiwan, Japan und der Mongolei. Ihr Prinzip ist einfach. Ein Beben bewegt sich mit Schallgeschwindigkeit durchs Gestein, langsamer als heutige Datenübertragung. Ein Beben der Stärke 7,8, das sich in einer Entfernung von 150 Meilen von Los Angeles über die San-Andreas-Verwerfung ausbreitet, benötigt rund eine Minute, um das Stadtzentrum zu erreichen. Kostbare Zeit, um das Gas abzudrehen, den Fahrstuhl, das Gebäude zu verlassen, das Entgleisen eines Zuges zu verhindern oder heikle Arbeits- oder Produktionsprozesse zu stoppen. Schulen, Kliniken, Labore, Wasser- und E-Werke sowie Chiphersteller im Silicon Valley hätten großes Interesse an dem Frühwarnsystem, erklärt Jones. Sollte Trump wirklich den Geldhahn zudrehen, ist es damit erst einmal vorbei.
Und dann? Im Fall des Falles unter den Tisch kriechen? „Wenn der Tisch stabil ist“, meint Vernon und macht vor, was die Kinder hier in der Schule als Drop, Cover and Hold On lernen, also auf den Boden legen, sich bedecken und an etwas Stabilem festklammern. Er selbst favorisiere das Triangle of Life: „Kauere dich gegen ein massives Möbelstück, einen Schrank oder ein Sofa. Kommen die Wände runter, legen sie sich über das Möbel und bilden ein Dreieck, eine Art Schutzraum, in dem du Luft hast und vor Trümmern sicher bist.“
Aus dem Innenministerium hieß es inzwischen, die Überwachung von Erdbeben auf dem Gebiet der USA sei weiter gewährleistet. Und Seismologen wie Lucy Jones veranstalten weiter Exkursionen entlang der San-Andreas-Verwerfung und warnen vor „The Big One“.
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