Auf der Straße nach Bagdad

Frank Schirrmachers Unfall Die "Neue Weltordnung" des "Kindskopfkaisers" hat versagt

Ein Jahr ist das nun her. Am Mittwoch vor Ostern 2003 opferte Frank Schirrmacher nahezu die gesamte Aufmacherseite seines FAZ-Feuilletons (Ausgabe vom 16. April 2003) für einen farbigen "Atlas der Erreichbarkeit", für: Die Straße nach Bagdad. Sie führe in 40 Autostunden von Berlin, Bundeskanzleramt, bis in den Irak, ja, so freute er sich: "Der Horizont der neuen Weltordnung ist nicht mehr mit Brettern vernagelt."

Der Weg, in 74 Stationen und Abzweigungen penibel aufgezeichnet ("1. Folgen Sie der Straße Unter den Linden für 233 Meter") führte durch Länder, die - so Frank Schirrmacher - noch bis vor kurzem als undurchdringbar galten. Jetzt stünden sie offen. Schon deshalb gebe es Grund zu "triumphaler Freude" über den Fall des Diktators Saddam Hussein. Wer dieser Wegbeschreibung folge, könne erkennen, dass die Amerikaner im Irak etwas für Europa ausgefochten haben - nicht gegen Europa. Kein Meer liege zwischen uns und Bagdad, keine Abgründe. Und Schirrmacher erinnerte an den Plan zum Bau einer Bagdad-Bahn, den das Kaiserliche Deutschland genau 100 Jahre zuvor verkündet hatte. Jetzt, endlich hatte der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland die Wegweiser für die vierzigstündige Autofahrt von der Reichshauptstadt Berlin nach Bagdad aufgestellt. Schirrmacher ganz unbekümmert: "Hier ist ein Navigationssystem angewandt worden, um das Streckennetz einer neuen Weltordnung abzubilden." Wir aber hätten noch "die Karten der Breschnew-Zeit" im Kopf. Zeit zum Neuanfang: "Ehe wir Deutschen ganz und gar und für immer in die Irre gehen, sollten wir den Raum schleunigst neu vermessen." - Und so geschah es. Im Feuilleton der FAZ.

Das war am Mittwoch vor Ostern im vergangenen Jahr.

Am Mittwoch vor Ostern in diesem Jahr hatte die triumphale Freude auf der Straße nach Bagdad ein Ende, der "Atlas der Erreichbarkeit", Schirrmachers Autorouter versagte: Zwei deutsche GSG-9-Beamte, die einen Botschaftskonvoi begleiteten, starben einen gewaltsamen Tod. Und auch sonst scheint die neue Weltordnung im Irak - Saddam hin, Saddam her - kaum durchsetzbar.

Nun mehren sich auch im eigenen FAZ-Haus Stimmen einer Unzufriedenheit. Am Ostersamstag echauffierte sich Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier über den "Kindskopfkaiser" und seine "Lügengeschichten", über sein "Ich - eine Nullstelle". Angeblich schrieb er über Peer Gynt in der Inszenierung des Berliner Ensembles. Doch jeder FAZ-Redakteur weiß, wer gemeint ist.

Ach ja, das Unglück war vorhersehbar. Selbst Schirrmacher muss etwas geahnt haben. Seine "Straße nach Bagdad" führte gar nicht, wie verheißen, direkt in die Hauptstadt des Irak. Sie endete schon dort, wo die Probleme begannen, an der 74. Station: "Den Grenzort Semdlini erreichen Sie nach 3.918 km. Nun betreten Sie den Irak."

Von da gibt es noch einige 100 Kilometer im Irak bis nach Bagdad, über die Schirrmachers Navigationssystem schwieg. Macht nichts. Gleich nach dem Osterfest testet die eigentlich zuständige Technikseite der Frankfurter Allgemeinen ein neues, für deutsche Zwecke besser geeignetes Navigationssystem. "Vor der Haustür steht ein starkes Stück Amerika: der Jeep Grand Cherokee. Für den Geländewagen gibt es zum Glück ein Navigationssystem mit Radio und CD-Spieler. Wir müssen uns also um den richtigen Weg und gute Unterhaltung nicht kümmern." Man lernt aus Fehlern, für die Straße nach Bagdad hatte man nicht alle Umstände eingeplant. Jetzt aber, "für die Fahrt nach Hannover wählen wir eine dynamische Route unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse", alle "Stau-Infos" werden ausgewertet und "im Klartext auf dem Farbdisplay" angezeigt. "Wir finden auf Anhieb unser Hotel... Alles in allem gibt es hier nichts zu meckern."

Schönheitsfehler hat aber auch der neue Router, sie könnten Schirrmacher missfallen, sollte er sich nun in Hannover zur Ruhe setzen: "Die Daten des Hannoveraner Golfplatzes müssen wir per Hand eintragen. Da bietet die Konkurrenz mittlerweile mehr."n

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