Auf der Suche nach Arkadien

Ausstellung Vom Bruderbund bis zum Bauhaus - Die Ausstellung "Utopia Matters" in der Deutschen Guggenheim Berlin

Wer Visionen braucht, sollte zum Arzt gehen. Mit diesem, Helmut Schmidt zugeschriebenen Satz, begründen Pragmatiker gern ihre Abneigung gegen große Gesellschaftsentwürfe. Mit dem Spruch lässt sich auf Partys lässiger Zynismus demonstrieren. Aber hat ihn nicht auch die Geschichte beglaubigt? Vom Sozialstaat einmal abgesehen – was war das 20. Jahrhundert anderes als ein einziges Panorama blutig gescheiterter Utopien? Der Schatten der Antiutopie schwebt heute über jeder Rede zur Utopie.

Entsprechend ausgenüchtert streift man durch eine Ausstellung, deren Titel die Aktualität dieses entzündlichen Rohstoffs beschwört. Nicht, dass man nicht das Gefühl hätte, dass eine Gesellschaft ihn dringend benötigte, deren Utopie-Diskurs um die Frage kreist, wie man Sozialhilfeempfänger zum Schneeschippen bewegen kann. Aber ob die Antike als Vorbild taugt? Wenn man an der Armut die Schönheit des Einfachen schätzt, kann man natürlich Jean Brocs Ölbild Der Tod des Hyazinth von 1801 auch heute noch viel abgewinnen. Da stirbt der schöne Jüngling in den Armen seines Liebhabers Apoll. Die Gruppe der „Primitifs“, der Broc angehörte, zog sich Ende des 18. Jahrhunderts in ein Nonnenkloster am Rande von Paris zurück und träumte vom alten Griechenland. William Morris’ Arts-and-Crafts-Bewegung oder Walter Gropius’ Bauhaus boten da schon mehr. Ihre Utopie hatte nämlich einen ganz praktischen Nutzen: geschmackvolle Massenartikel, beispielhafte öffentliche Bauten und die neuartige, humane Organisation von (Qualitäts-)Arbeit.

Die kleine, aber hochkarätige Ausstellung verzichtet leider darauf, die historischen Beispiele ästhetisch angestoßener Gesellschaftsutopien mit zeitgenössischen zu konfrontieren, die es durchaus gibt. Immerhin gelingt es ihr, die Rezeptionsroutine aufzubrechen, die einen in Museen überfällt. Wer weiß schon noch, dass es Piet Mondrian nicht nur um bunte, abstrakte Bilder ging, sondern darum, eine universelle Formensprache zu kreieren, die jedermann verstehen und benutzen kann. Oder dass die scheinbar süßlichen Neoimpressionisten um Camille Pisarro anarcho-kommunistischen Überzeugungen anhingen. Ihre Bilder, auf denen Bauern und Landschaft in Harmonie vereint sind, bucht man heute schnell als vormoderne Illusion ab. Trotzdem lassen sich darin auch Elemente eines egalitären Arkadiens erkennen. Kunstbetrachtung ist eben immer auch Spurensuche.

Utopia matters kann man insofern als Antithese zu dem Vorurteil lesen, dass die Verquickung von Kunst und Gesellschaftsveränderung einem Missbrauchsdiskurs der Linken entspringt. Die Nazarener Friedrich Overbecks und Franz Pforrs warben mit ihren frommen Motiven und der plakativen Malweise genauso für eine neue Einheit von Kunst und Leben wie die russischen Konstruktivisten. Vom Teegeschirr bis zu Tatlins Stahl-und-Glas-Turm waren die „Künstler-Konstrukteure“ der Frühphase der Russischen Revolution zu Beginn des 20. den Neochristen des 18. Jahrhunderts aber deutlich überlegen. Gerade sie demonstrierten, dass es bei der Frage nach der Utopie nicht nur um abstrakte Konzepte geht, sondern um die Fähigkeit, sie konkret zu gestalten. Eine neue Utopie wird die Kunst selbst nicht durchsetzen. Aber ohne ihre besonderen Fähigkeiten wird sie auch nicht zu haben sein.

Utopia matters. Von Bruderschaften bis zum Bauhaus. Deutsche Guggenheim, Berlin, noch bis zum 11. April, Katalog 32

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