Auf ewig ein Paria?

NACH DEM SCHEITERN VON RAMBOUILLET Plädoyer für eine radikale Umkehr des Westens und eine Politik der bedingten Integration Jugoslawiens

Wie oft und wie grausam muß eine Politik scheitern, bis man sie ändert? Druck auf Belgrad, mehr Druck auf Belgrad: das ist seit mittlerweile fünf Jahren die einzige Antwort, die man bekommt auf die Frage, was denn nun zu tun sei im jeweils aktuellen Konflikt. Nach den gescheiterten Verhandlungen von Rambouillet - einem phantasielosen Remake der Dayton-Klausur von 1995 - steckt der Karren tief im Dreck. Wie tief, merkt man, wenn man daran rüttelt: Er fährt sich nur immer tiefer fest.

Die »Unterbrechung« bis zum 15. März ist kaum mehr als der Versuch, das Scheitern nicht allzu offenbar werden zu lassen. Man muß schon sehr naiv sein zu glauben, daß nun 14 Tage lang gepflegt über die albanische Haltung zum Rambouillet-Abkommen debattiert würde. 14 Tage lang haben nun diejenigen freie Bahn, die kein Abkommen wollen; ein paar Provokationen reichen, um auch den Gemäßigten die Unterschrift unmöglich zu machen. Das Volk im Kosovo will den Frieden, aber es wird natürlich nicht gefragt. In Prishtina hat sofort eine lobenswerte Kampagne gegen den inzwischen zurückgetretenen Adem Demaci begonnen, den Hauptschuldigen an der albanischen Starrköpfigkeit, angestrengt von dem überragenden, verantwortlich denkenden und handelnden Veton Surroi. Die Extremisten in der UCK haben als Antwort am Wochenende eine Polizeistation überfallen. Sie haben die Waffen und damit das Gesetz des Handelns. Und sie sind nicht einmal verrückt: Sie müssen nur die Logik der westlichen Politik weiterdenken, um zu dem Schluß zu kommen, daß die NATO irgendwann (nach ein paar 10.000 Toten vielleicht) die Unabhängigkeit des Kosovo herbeibombt.

Die stundenlangen Sitzungen von Madeleine Albright mit Herrn Hashim Thaci (29) aus Genf, der durch einen verhängnisvollen Regiefehler der westlichen Unterhändler zum albanischen Verhandlungsführer erkoren wurde, und ihr vergebliches Telefonat mit Adem Demaci in Ljubljana hatten schon gar nicht mehr den Zweck, ein Abkommen zu erreichen. Sie sollten der NATO nur noch freie Hand zum Bombenwerfen geben. Die radikalen Albaner, unter ihnen Demaci, haben inzwischen erklärt, daß NATO-Luftangriffe sie gar nicht besonders interessieren. Der maximale Druck auf die eine Seite nötigt der anderen nur noch ein Schulterzucken ab. Kann man der westlichen Kosovo-Politik ein schlimmeres Zeugnis ausstellen? (Übrigens: Demaci hat in einem Interview erklärt, er sei extra zum Telefonieren auf Wunsch von Albright nach Ljubljana gereist. Das ist gelogen: Er war sowieso dort, um sich wegen seiner Diabetes behandeln zu lassen. Es sollte wenigstens so aussehen, als wäre der Herr aus Prishtina den Amerikanern ein bißchen entgegengekommen. So erbärmlich geht es zu!)

Selbst wenn die Albaner doch noch unterschreiben sollten, rückte der Friede im Kosovo keinen Schritt näher. Vor lauter »Ultimaten«, »letzten Chancen« und sonstigen dilettantischen Dramatisierungen ist fast in Vergessenheit geraten, daß in Serbien nicht bombardiert werden kann - bis 1.000 OSZE-Beobachter evakuiert sind. Es gibt nicht einmal einen überzeugenden Evakuierungsplan! Seit eine Brücke an der Grenze zu Mazedonien vermint ist, bleibt der Landweg versperrt, und der Luftweg ist viel zu risikoreich. Aber selbst wenn dieses technische Problem gelöst werden könnte: Militärisch können Luftschläge die serbische Kontrolle über das Kosovo nicht lockern, und politisch können sie es schon gar nicht. Belgrad müßte schon eine bisher ungekannte Einsicht zeigen, wenn es doch noch eine Stationierung von Truppen auf seinem Territorium zulassen würde. Mit Luftschlägen bekommen wir bloß ein irakisches Szenario: jahrelang mal Bomben, mal wieder nicht - und die endgültige Verwilderung eines außer Kontrolle geratenen Konflikts. In Bagdad sitzt noch immer Saddam, weniger gefährdet denn je, und wenn er mal wieder zu weit geht, fliegen wie gerade jetzt ein paar Bomben. So werden wir demnächst auch in Europa kommunizieren.

Wie kommen wir da wieder heraus? Verweigern die Albaner die Unterschrift, ergibt sich wenigstens die Chance, die Aufstellung grundsätzlich zu ändern. Die westlichen Unterhändler müssen zurückkehren zur diplomatischen Äquidistanz und können auf die eine Seite nur soviel Druck ausüben, wie sie es zur Not auch auf die andere könnten. Das wird für diejenigen, die jetzt monatelang immer wieder an der Schraube gedreht haben, ein hartes Ankommen sein, aber es hätte unmittelbar segensreiche Wirkung. Die große Mehrheit der Serben will keinen Krieg im Kosovo: Soviel Überdruß, soviel Apathie, soviel Ekel vor dem ganzen Thema hat es in Belgrad, Novi Sad oder Nis noch nie gegeben. Die Sanktionen und besonders die Angriffsdrohungen haben Slobodan Milosevic´ immer nur stärker gemacht, und nichts deutet darauf hin, daß dieser Effekt sich je umkehren würde. Nicht die Krise muß der jugoslawische Präsident fürchten, sondern die Normalität. Scheitert das Kosovo-Abkommen an den Albanern, müssen die Sanktionen aufgehoben werden. Das mag nach sieben Jahren ein unerhörter Gedanke sein. Aber daß die Sanktionen kein einziges positives Ergebnis hatten, ist fast ebenso lange schon klar. Natürlich muß das Waffenembargo bestehen bleiben.

Daß man Jugoslawien irgendwann zurückholen muß in die »Völkerfamilie«, ist wenigstens den europäischen Politikern schon lange klar. Bloß wann? Erst mußte das Daytoner Abkommen erreicht, dann noch muß das Kosovo-Problem gelöst werden, erst noch muß Milosevic´ weg, erst noch die Autonomie für die Vojvodina, für den Sandschak durchgesetzt werden ... Wann also? Nie - die vielen »erst nochs« sorgen dafür. Der Karren rutscht, wir sagten es schon, immer tiefer in den Dreck. Es wäre ja in der Tat das Beste, wenn man es schaffen könnte, eine multinationale Friedenstruppe im Kosovo zu stationieren. Aber wenn man es nicht schafft, kann man es nicht erzwingen. Es wird Zeit vergehen, während der im Kosovo wieder Menschen umgebracht werden. Aber es gibt wenigstens einen Zwang zur Umorientierung und damit wieder eine Perspektive.

Die Extremisten unter den Albanern würden eine Zeitlang wild attackieren, aber die Sympathie ihrer Landsleute hätten sie bald verloren. Den Kriegstreibern in Belgrad - wo man ja selbst in Regierungskreisen über das Kosovo längst nicht einer Meinung ist - wäre auf längere Sicht der Boden entzogen. Zunächst dürften die Hardliner sich bestätigt fühlen, das ist wahr; aber eine Politik, die solche Effekte von außen verhindern könnte, ist noch nicht erfunden. Wer Demokratie will, muß ein Grundvertrauen in das Volk haben. Jugoslawien ist auch nach sieben Jahren Krieg und Sanktionen ein durch und durch europäisches Land; daß es nach Moskau blickte oder nationalbolschewistisch orientiert wäre, ist einfach nicht wahr. Natürlich wird das Land autokratisch regiert, wird die Verfassung umgangen, und im Winter 1996/97 wurde auch an Wahlergebnissen gedreht. Aber nebenan in Kroatien ist das alles nicht besser, und dort verfolgt Europa vernünftigerweise eine Politik der bedingten Integration. Nur Jugoslawien wird behandelt wie der Irak - bis es ihm eines Tages ähnlich ist. Und drumherum liegt dann der Mittlere Osten.

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