Auf Feldeváye ist die Hölle los

Science-Fiction Schon wieder ein Epos von Dietmar Dath. Aber was für eines. Es geht um transgalaktische Krisen, Viren als Datenträger und um Kunst
Ausgabe 16/2014

Dietmar Dath bleibt ein Vielschreiber. Ein gutes Jahr, nachdem er mit Pulsarnacht eine opulente Weltraumsaga vorgelegt hat, folgt mit Feldeváye. Roman der letzten Künste nun ein weiterer Science-Fiction-Roman. Das Zukunftsgenre hat derzeit Hochkonjunktur. 2013 jagte im Kino ein hochkarätig besetzter Blockbuster den nächsten, in diesem Jahr setzt sich der Trend mit Jupiter Ascending und Edge of Tomorrow fort. Auch die Literaturverlage ziehen mit. In Margaret Atwoods Geschichte von Zeb und Colson Whiteheads Zone One werden postapokalyptische Pandemie-Szenarien durchgespielt, Guillermo Saccomannos kafkaesker Roman Der Angestellte spielt in einer futuristischen argentinischen Militärdiktatur, in der riesige Klonhunde Passanten in Stücke reißen und in Andrej Nikolaidis’ Die Ankunft bildet der drohende Weltuntergang mit Tsunamis in Holland und Erdbeben in Los Angeles das Hintergrundrauschen eines Endzeitkrimis. Dietmar Daths intensive Beschäftigung mit Science-Fiction ist also kein singuläres Ereignis. Aber mit Feldeváye – Roman der letzten Künste sprengt er die Dimensionen des Genres, wie es derzeit angewandt wird.

Daths 800-Seiten-Roman erzählt eine zukünftige Menschheitsgeschichte. Die Erde ist vor Jahrhunderten verlassen worden. Die Menschen haben neben anderen Spezies in weit entfernten Sonnensystemen zahlreiche Planeten besiedelt und per Terraforming ihren Bedürfnissen angepasst. Diese transgalaktische Welt ist hoch technologisiert: Gigantische Datennetze verbinden interplanetarische Gesellschaften, Verkürzerports ermöglichen Reisen durch die Galaxis, designte Viren fungieren als Datenträger, Menschen interagieren per eingepflanztem Interkomm-Modul und Nanoroboter werden als Waffen und Überwachungssysteme eingesetzt.

Neben den Menschen bewohnen dieses Universum muschelartige Wesen, die Rengi heißen, sowie die aus fleischlichem Gewebe, Holz, Plastik und Metall bestehenden Storarier. Die mit grün-silbrig glänzendem Fell überzogenen Lapithen verfügen über außergewöhnliche Technologien und halten für die Mennesker, eine superintelligente, nie in Erscheinung tretende Spezies, den Kontakt zu Menschen, Rengi und Storariern. Neben dem Technologietransfer, der überhaupt diese transgalaktische Gesellschaft erst ermöglicht hat, besteht ihr Wirken vor allem darin, irdische Kunstwerke der Vergangenheit auf den Titel gebenden Planeten Feldeváye zu teleportieren.

Wo Aliens Mondrian zitieren

Feldeváye ist „ein gänzlich zivilisiertes, völlig gerechtes Gestirn“ und scheint mit seiner üppigen Natur eine Bilderbuch-Erde zu sein. Hierher bringen die Lapithen irdische Kunstwerke, denn in Daths Zukunftswelt gibt es keine Kunst mehr, sie wurde überwunden. Das entspricht Hegels These vom Ende der Kunst, deren Rolle einer Wahrheitsvermittlung von der Philosophie übernommen wird – bei Dath ist es die alles durchdringende Technologie.

In einer der zahlreichen Diskussionen über Kunst in diesem Roman zitiert ein Alien den niederländischen Maler Piet Mondrian: „In Zukunft wird die Verwirklichung des reinen Gestaltungsausdrucks in der greifbaren Realität unserer Umwelt das Kunstwerk ersetzen (…) Dann werden wir keine Bilder und Skulpturen mehr nötig haben, weil wir in der verwirklichten Kunst leben.“ Das klingt natürlich erst mal toll.

Die Kunstwerke werden auf Feldeváye von einer behördenartigen Institution ausgewertet und in musealen Komplexen der Bevölkerung in den gigantischen Metropolen zugänglich gemacht. Aber aus der Diskussion um die Bedeutung der Kunst erwächst eine kontrovers geführte gesellschaftliche Debatte und schließlich sogar eine Widerstandsbewegung. Deren Anführerin ist Katrin Ristau, die emblematisch widerständige Ikone Feldeváyescher Herrschaftskritik in Theorie und Praxis. „Die Menschheit hat die Künste überwunden. Damit aber muss etwas verloren gegangen sein, das die Mennesker und Lapithen nicht im Dunkel lassen wollen“, schreibt diese Kathrin Ristau in einem manifestartigen Text. Sie arbeitet bei der Auswertung, bevor sie eine Widerstandsgruppe gründet, die Contramuralen, abgekürzt Coms. Gleichzeitig kommt der Technologietransfer ins Stocken, eine transgalaktische Krise bricht aus.

Chiffre für Kommunisten?

Ob die Contramuralen eine Chiffre für Kommunisten sind, bleibt dahingestellt. Sie sprengen die Mauern und holen die Kunstwerke, die nur noch als Konsumartikel und Insignien politischer Macht dienten. Dath exerziert an der Bewegung die ganze Bandbreite des Gelingens und Scheiterns revolutionärer Geschichte durch. Die Coms spalten sich, Teile der Bewegung werden vom System absorbiert und in die Herrschaftslogik integriert, andere Teile vernetzen sich auf dem ganzen Planeten, werden aber auch unterwandert. Gleichzeitig reorganisiert sich die staatliche Macht, wird diktatorisch, Aufstände und Streiks werden niedergeschlagen, es kommt zu Umsiedlungen, Flüchtlingsströmen und Feldeváye versinkt in einem Bürgerkrieg.

Von der mitreißenden Action-Szene bis zur philosophischen Theoriedebatte bietet dieser Roman alles. Dem Leser wird es dabei nicht leicht gemacht. Erfundene technologische und philosophische Begriffe und umfangreiches Personal werden aufgefahren, um das transgalaktische Epos in Szene zu setzen. Neben Auswanderern nach Feldeváye, für die der Planet im Sinne einer Utopie „Fluchtname und Auswegweiser“ ist, tummeln sich hier ambitionierte Wissenschaftler, machtgierige Politiker und philosophierende Außerirdische. Außerdem beginnen Tiere zu sprechen, sie bilden Gemeinschaften mit Menschen und Schlangen erlernen das Fliegen.

Daths optionale Menschheitsgeschichte beinhaltet auch evolutionäre Aspekte. Ging es in seinem Roman Die Abschaffung der Arten (2008) um die Überwindung der Menschen in einer Gesellschaft von Tierhybriden, thematisiert er nun die Überwindung der Kunst und deren explosive soziale Kraft, als sie plötzlich zurückkehrt. In diesem Prozess wird unter anderem mittels Zeitreisen, sich selbst vervielfältigender Personen, evolutionärer Sprünge und einer untergehenden politischen Herrschaft aus Feldeváye genau das, was zu Beginn des Romans in einem ganz utopischen Sinn versprochen wird: „Das ist gar kein Ort, eigentlich (…) Feldeváye, das ist noch gar keine Welt. Daraus muss man erst eine machen. Genau das könnten wir tun. Zusammen.“

Feldeváye. Roman der letzten Künste Dietmar Dath Suhrkamp 2014, 807 S., 20 €

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