Wer Politik an der Qualität der Inszenierung misst, kann sich über die SPD in dieser Woche nicht beklagen: Der Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich mal wieder als begnadeter Regisseur erwiesen. Er brachte das Stück „Unser donnerndes Jein zur Agenda 2010“ auf die Bühne, und selbst der divenhafte Altstar Gerhard Schröder spielte mit. Wer allerdings Politik an der Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte misst, muss ergänzen: Der Text wird davon nicht besser.
Den Anlass, die Agenda noch mal auf den Spielplan zu setzen, bot der zehnte Jahrestag der Schröderschen Bundestagsrede zum „Reform“-Kurs seiner Regierung. Im Jargon der angeblichen Alternativlosigkeit, wie ihn Angela Merkel nicht besser beherrscht, verkündete der Kanzler damals den
amals den Abbau von Sicherungen für Arbeitslose, die Verschärfung der Zumutbarkeit für Jobsuchende, den gezielten Ausbau des Niedriglohn-Sektors und manches mehr. Es war der Tag, an dem die SPD ihre Glaubwürdigkeit als Partei der sozialen Gerechtigkeit für Jahre verspielte.Theoretisch der richtige KandidatDer Ausgang der Bundestagswahl 2013 wird davon abhängen, ob die Sozialdemokratie – und nicht nur ihr Kanzlerkandidat – diese Glaubwürdigkeit zurückgewinnt. Vergessen wir einmal Peer Steinbrücks Missgeschicke und seine meist unpopulären Anwandlungen von Originalität. Auch heute gilt noch: Er könnte, rein theoretisch, der richtige Kandidat sein beziehungsweise werden. Einer, der einerseits dazugelernt hat und ein eher „linkes“ Programm vertritt. Einer zugleich, dem auch jenseits der engeren SPD-Klientel Format und Sachverstand für eine Kanzlerschaft zugeschrieben werden.Dazu bedürfte es allerdings eines besseren Drehbuchs. Gabriels Text lautet kurz zusammengefasst: Das Schlechte war schlecht, aber alles zusammen war eigentlich gut. Gut war die angeblich durch die Agenda erreichte Senkung der Arbeitslosigkeit. Gut war die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Gut waren Ganztagsschulen und Bildungsoffensive.Da aber bis heute nicht einmal 30 Prozent der Wähler die Begeisterung zu teilen scheinen, räumt selbst Schröder „Fehler“ ein, und das sogar in seiner Lieblingszeitung Bild: „Man muss die Fehler nur erkennen und dann korrigieren. Und bei der Zeitarbeit besteht sicher Korrekturbedarf. Ein Zeitarbeiter darf nicht weniger verdienen als sein Kollege in der Stammbelegschaft.“ Dass andere den Fehler, im Gegensatz zu Schröder, schon erkannten, als er ihn machte, erwähnt er nicht. Und nicht etwa der Kanzler, sondern der Bundesrat war schuld, dass der gezielte Ausbau des Niedriglohnsektors damals nicht durch einen gesetzlichen Mindestlohn gelindert wurde, sagt Schröder. Was ihn allerdings damals keineswegs hinderte, sein Lohnsenkungsprogramm auch so zu verwirklichen. Wie zynisch muss es den Millionen davon Betroffenen erscheinen, wenn er heute verkündet: „Sie können nicht hergehen und einer Friseurin weniger als 4 Euro die Stunde geben.“ Das war der Friseurin auch vor zehn Jahren schon klar.Bausteine für eine Agenda 2020Gabriel sagte dieser Tage: „Unsere Zielgruppe sind die Menschen, die die Hoffnung schon aufgegeben haben, dass Wählengehen sich lohnt oder dass Politik überhaupt etwas ändern will.“ Um sie (wieder) zu gewinnen, wird er noch einiges nachlegen müssen, auch an Selbstkritik.Nun wäre es höchst unpolitisch, die SPD wegen des historischen Fehlers, den sie mit der Schröder-Agenda und der Steuersenkungspolitik gemacht hat, auf ewig abzuschreiben. Zu dringend ist die Notwendigkeit, Schwarz-Gelb abzuwählen, und zu viel Richtiges steht im SPD-Wahlprogramm. Es enthält viele Vorschläge, die als Bausteine einer „Agenda 2020“ geeignet wären: Mindestlohn, Korrekturen bei Einkommen-, Erbschaft- und Vermögensteuern, Mindeststandards gegen Steuerdumping, echte Finanzmarktregulierung und vieles mehr.Das sind gute Ansätze, aber leider ist es noch keine in sich schlüssige Alternative: Dem selbst gesetzten Anspruch – „Wir brauchen eine Neubegründung der Sozialen Marktwirtschaft“ – wird die SPD immer noch nicht gerecht. Sie traut sich nicht, dem neoliberalen Instrument der Schuldenbremse ein echtes Alternativ-Konzept zur Finanzierung von Zukunftsprojekten entgegenzusetzen. Sie laviert bei Streitthemen wie dem Rüstungsexport und fordert nicht mehr als eine Rückkehr zu den „restriktiven Exportrichtlinien der rot-grünen Regierungszeit“. Und entscheidende Zukunftsthemen, die einer linken Agenda würdig wären, finden so gut wie gar nicht statt: Zur Frage etwa, welche gesellschaftlichen Bereiche künftig (wieder) als staatlich zu leistende Daseinsvorsorge gelten müssten, finden sich nur vereinzelte und allgemeine Hinweise, etwa bei Stromnetzen und Wasser.So versucht die SPD, den Eindruck einer Alternative zu Schwarz-Gelb zu vermitteln – und lässt doch großkoalitionäre Schlupflöcher im Scheunentor-Format zu. Wie ihr der Mut zum klaren Schnitt mit der Schröder-Agenda fehlt, so fehlt ihr auch die Courage, der Kuschel-Rhetorik von Angela Merkel ein klares Reformkonzept entgegenzusetzen. Gegen solche Mutlosigkeit hilft auch die beste Inszenierung nicht.