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Im Gespräch Gregor Gysi (PDS) über die Ideenleere im Kanzlerkopf, über linke Bedenkenträger und unerschrockene Brückenbauer

FREITAG: Sieben Jahre nach einem zunächst hoffnungsvollen Start steht die rot-grüne Bundesregierung vor einem Scherbenhaufen. Haben Sie eine Erklärung für diesen Selbstmord auf Raten?
GREGOR GYSI: Gerhard Schröder hat offenbar tatsächlich daran geglaubt, dass er einen wirtschaftlichen Aufschwung hinbekommt, wenn er die Konzerne unterstützt. Steigende Gewinne und sinkende Kosten bringen mehr Arbeitsplätze - das war vermutlich seine große Illusion. Außerdem waren und sind Schröder, Clement und andere überzeugt, dass die von ihnen vorgenommenen Kürzungen von Sozialleistungen dringend nötig sind und immer noch angemessen im Vergleich zu dem, was die Konservativen wollen. So ungefähr müssen sie sich das vorgestellt haben. Dass die Abstriche bei Rentnerinnen und Rentnern, Kranken, Arbeitslosen und Lohnabhängigen auch volkswirtschaftlich unsinnig sind, weil sie die Kaufkraft schwächen, hat die Bundesregierung dagegen kaum beachtet.

Im nachhinein kann man allzu deutlich erkennen, dass die führenden Sozialdemokraten weder Konzepte noch den Mut hatten, bestimmten Interessen entgegen zu treten.
Ich habe auch festgestellt, dass der Bundeswirtschaftsminister häufig das verkündet, was gewisse Verbände kurz zuvor gesagt haben. Eine eigenständige Wirtschaftspolitik, die bereit ist, mächtigen Interessen zu widerstehen, hat es nicht gegeben. Viele Menschen haben völlig zu Recht den Eindruck, dass an dem Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft so manches nicht stimmt.

Welche Lehren ziehen Sie selbst aus dem Scheitern von Rot-Grün?
Wenn man in die Regierung geht, muss man eine Idee haben. Bei Kohl wusste man, der will die europäische Integration, der will die deutsche Einheit. Kohl war berechenbar. Ich glaube, ein Kanzler oder auch eine Kanzlerin braucht tatsächlich als erstes eine Idee, damit die Leute wissen, wofür er oder sie steht. Und darüber hinaus sind Konzepte nötig. Der SPD hätte es gut angestanden, sich wenigstens für eine internationale soziale Marktwirtschaft einzusetzen. Wer ein solches Konzept hat, der kann es unter den Leuten bekannt machen und dafür streiten. Der gewinnt dann auch an Glaubwürdigkeit. Selbstverständlich wird man nie alles durchsetzen können, aber Schritt für Schritt Wirkungen erzielen. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass Präsident Bush, der nun wirklich unverdächtig ist, ein Linker zu sein, nach dem 11. September 2001 zum ersten Mal von einer Regulierung der Finanzmärkte sprach. Warum? Weil die Terroristen auch noch reich geworden waren. Sie waren die Einzigen, die wussten, welche Aktien nach einem Anschlag an Wert gewinnen und welche verlieren. Durch entsprechende Kaufhandlungen konnten sie sich entsprechend darauf vorbereiten.

Das ging Bush offenkundig zu weit. Das heißt, so tragisch das Ereignis ist, es gibt Ereignisse, bei denen selbst Konservative merken, dass eine vollständige Deregulierung zu Katastrophen führen kann. Bei Gerhard Schröder habe ich keine Ideen gesehen, die mir zu erkennen geben, wofür er steht.

Sind Sie sicher, dass die PDS die von Ihnen angemahnten Ideen und Konzepte anzubieten hat?
Schon, aber man sollte sich selbst nicht überschätzen. Die PDS oder ein linkes Bündnis haben zunächst vor allem eine Korrekturfunktion, auch hinsichtlich einer Schieflage in den öffentlichen Debatten, denen wir ausgesetzt sind. Da muss man eine Stärke und eine Schwäche der PDS sehen. Ihre Stärke besteht darin, dass sie, wenn es um Ost-Themen geht, gehört wird. Das wird auch von den Medien thematisiert, weil sie als kompetent für den Osten gilt. Aber wenn wir Alternativen zum neoliberalen Zeitgeist anbieten, werden wir viel weniger wahrgenommen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass unser Gewicht in den Altbundesländern zu gering ist, um diesbezüglich ausreichend ernst und wahrgenommen zu werden - von anderen Parteien und von den Medien. Wenn ein Linksbündnis zustande käme und dieses auch im Westen nennenswerte Stimmenanteile erhielte, würden wir viel stärker in die Reformdebatten eingreifen können, ohne freilich tonangebend zu werden. Wir verkörpern weder jetzt noch in näherer Zukunft eine Mehrheit. Aber wir können vermutlich dazu beitragen, dass auch in anderen Parteien wieder kontrovers über die zentralen Themen diskutiert wird. Vor allem die SPD braucht offenkundig solche Anstöße von außen.

Hat die PDS das intellektuelle Format, um für solche Anstöße zu sorgen?
Nach 1989 sind die Eliten der DDR in gewisser Weise in die Nähe der PDS gedrückt worden. Der Westen wollte sie nicht, und wir waren ihre einzigen Vertreter. Deshalb war das intellektuelle Niveau in der PDS über Jahre hinweg auch besser als das anderer Parteien im Osten. Aber davon lässt sich nicht ewig zehren. Nur ist der Zugang zu den neuen Eliten nicht so einfach zu bekommen. Mit der Vereinigung der Linken könnte sich dies ändern.

Würde aus Ihrer Sicht für ein Zusammengehen mit der WASG vor allem das Prinzip gelten: Wer sich vereinigen will, muss sich verändern?
Durchaus. Warum sollte uns das nicht gelingen? Weshalb sollen wir weiter bei jeder Bundestagswahl zittern, weil wir im Westen nur auf ein Prozent kommen? Wir müssen heraus aus diesem strategischen Dilemma, aber ohne die Ost-Kompetenz zu verlieren, die wir uns in 15 Jahren erarbeitet haben. Wir müssen unsere kritische Sicht auf den Vereinigungsprozess bewahren. Uns in dieser Hinsicht dem Zeitgeist anzupassen, wäre völlig falsch. Aber zu Veränderungen müssen wir bereit sein. Was jetzt zu tun ist und was vielleicht erst in zwei Jahren auf der Tagesordnung steht, sollen die entscheiden, die im Moment verhandeln.

Wie schätzen Sie mögliche Widerstände in der PDS ein?
Das Wichtigste kann jetzt nur sein, die Basis davon zu überzeugen. Es mag sein, dass mancher Mandatsträger in der PDS die Annäherung an die WASG nicht sonderlich gut findet. Aber auch die Bedenkenträger kommen ja um die Grundfrage nicht herum: Wie verschaffen wir den Linken substantiell soviel Einfluss, dass daraus politisches Gestaltungsvermögen wird? Kompromisse sind nötig. Das gilt im Übrigen umgekehrt auch für die WASG. Angesichts des Zeitdrucks, unter dem wir stehen, ist ja auch nicht an eine sofortige Vereinigung gedacht, sondern an eine glaubwürdige Annäherung, die eine Vereinigung einleitet.

Um dies als Mobilisierungsschub für die Wahl zu nutzen?
Auch. Journalisten sagen mir, dass eine Alternative zum herrschenden Zeitgeist doch lieber eine linke sein sollte und nicht das, was da in Sachsen zum Vorschein gekommen ist. Auch dieses Interesse kann die Aufbruchsstimmung, in die wir geraten sind, unterstützen.

Wie effizient kann denn in politischer Hinsicht die Tuchfühlung zwischen PDS und WASG zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt sein?
Man organisiert sich nicht zur Selbstbefriedigung in einer Partei. Auch die WASG hat leider den Fehler gemacht, zu viel Zeit für die eigene Selbstfindung zu verschwenden. Wenn jetzt beide Parteien durch Austausch und Annäherung politischer werden, wäre das ein doppelter Gewinn. Die Widersprüche, die es natürlich auch später in einer möglichen Fraktion geben wird, muss man dann eben aushalten und austragen. Auch Oskar Lafontaine und ich sehen die Welt nicht völlig gleich. Entscheidend ist, dass etwas Bereicherndes und nicht etwas Lähmendes zustande kommt. Die uralte Tradition der Ausgrenzung, die Linke untereinander gern pflegen, kann vielleicht gerade jetzt durch eine konstruktive, rationale Zusammenarbeit überwunden werden.

Warum sind die kulturellen Ressentiments, mit denen man sich im Osten und Westen begegnet, eigentlich nach wie vor so groß?
Es war ja kein Zufall, dass es die Montagsdemonstrationen im Spätsommer 2004 vorwiegend im Osten - nicht im Westen - gab. Leider ist es gelungen, vielen Leuten einzureden, dass ihre soziale Situation vom Verhältnis Ost-West abhängt. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Dann kommt unsere spezifische Geschichte hinzu, und auch die mangelnde Bereitschaft des bürgerlichen Zeitgeistes - und damit auch des westdeutschen - die Geschichte der SED und der DDR als deutsche Geschichte anzunehmen. Für die Westdeutschen ist das eher sowjetische Geschichte, mit der sie nichts zu tun haben wollen. Ich kann mich darüber furchtbar ärgern - nur ändern kann ich es nicht. Letzteres sage ich nun wieder in meine Partei hinein - also ist ein Bündnis, später eine Vereinigung, eine Chance.

Heißt das für Sie, auf diesem Wege könnte die Identität der PDS erweitert werden?
Ja, weil mehr Leute im Westen dann vielleicht sagen: Dieses Gebilde, das da entsteht, das kann ich wählen, das ist mehr, als das, was ursprünglich die PDS war, die sie nicht wählen wollten. Es geht um komplizierte Befindlichkeiten - ich bleibe auf jeden Fall optimistisch bis zum Ende der Verhandlungen.

Hatten oder haben Sie manchmal die Befürchtung, alles könnte scheitern?
Ich hoffe, dass sich inzwischen ein Maß an Besonnenheit ergeben hat, das eine solche Möglichkeit ausschließt. Natürlich spielt auch Oskar Lafontaine eine entscheidende Rolle, weil er dafür sorgen kann, dass ein solches Bündnis eine reale Chance besitzt und eine neue Qualität aufweist.

Das Gespräch führte Hans Thie


Times New Roman"">Der Parteienrechtler Martin Morlok von der Universität Düsseldorf gibt zu bedenken, dass auch der offenen Liste gewisse Grenzen gesetzt sind. »Man wird einer Partei nicht verwehren können, dass man um des Wahlerfolgs willen bestimmte Nicht-Mitglieder auf die Liste nimmt. Doch wo wäre die quantitative Grenze, bei der man sagen müsste, die Identität dieser Partei ist nicht mehr gewahrt?« Wären also beispielsweise im Westen auf einer Liste mehr WASG- als PDS-Mitglieder zu finden, gäbe es vermutlich ein Problem. »Dann könnte man sagen, dies wäre nichts anderes als eine Listenverbindung, bloß unter anderem Etikett«, sagt Morlok. Und noch ein weiteres Problem ergäbe sich seiner Ansicht nach, wenn man versucht, in die Praxis zu übertragen, was Führungszirkel sich ausgedacht haben: »Die Listenkandidaten müssen von der Partei gewählt werden. Ich sehe nicht unbedingt gewährleistet, dass die attraktiven Kandidaturen für den Bundestag an Nicht-Mitglieder gegeben werden. Wenn Parteimitglieder jahrelang Basisarbeit machen, wollen sie schließlich selbst auf die Listenplätze.« Die Fristen für das Einreichen von Wahllisten sind knapp, auch wenn der Bundeswahlleiter empfiehlt, im Falle einer vorgezogenen Wahl die Frist zur Einreichung der Landeslisten auf den 34. Tag vor der Wahl zu verkürzen. Fände die Wahl am 18. September statt, wäre also bis Mitte August Zeit.

Zusammen

Times New Roman"">Zur rechtlichen Situation
eines gemeinsamen Antretens
von PDS und WASG

Times New Roman"">

Times New Roman"">ETimes New Roman"">ine rechtlich sichere Variante für ein gemeinsames Antreten von PDS und WASG zu einer vorgezogenen Bundestagswahl gestaltet sich schwierig. Eine Listenverbindung lässt das Wahlrecht nicht zu und die Gründung einer neuen Partei oder auch die Variante der Fusion sind zumindest für eine Bundestagswahl im September terminlich nicht mehr zu schaffen. Zur Debatte steht demnach nur die Möglichkeit, dass WASG-Mitglieder auf offenen Listen der PDS antreten, die sich für diesen Zweck umbenennt – ein Risiko, denn eine Partei wird über ihren Namen identifiziert. Eine Umbenennung muss auf einem Parteitag von zwei Dritteln der Mitglieder beschlossen werden.

Times New Roman"">Wenn PDS und WASG nach der Bundestagswahl eine Fusion anstreben, müsste dies durch jeweilige Parteitage und Urabstimmungen der Mitglieder vonstatten gehen. »Es wäre wie im Unternehmensbereich auch, wenn zwei Firmen sich zusammentun. Die Rechtsverhältnisse der Mitarbeiter würden dann übergeleitet in die neue Partei. Das betrifft ja hauptsächlich die hauptamtlichen Mitarbeiter der PDS,« erklärt Morlok. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung der PDS könnte nach einer Parteienfusion vermutlich weiterbestehen, denn die Partei würde ja innerhalb eines größeren Zusammenhangs erhalten bleiben.
C.U.


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