Auf Tuchfühlung

BULGARIEN/RUMÄNIEN Der Wille zur Westintegration dominiert die Entscheidungen zugunsten der NATO-Kriegsführung

Auf Ersuchen des Brüsseler Hauptquartiers haben die Regierungen in Sofia und Bukarest der NATO Überflugrechte für Militärmaschinen zugestanden. Diese Entscheidungen stehen im Widerspruch zu einer eher pro-serbischen Stimmung in Bulgarien und Rumänien und nähren Befürchtungen, in einen Krieg hineingezogen zu werden, der neben militärischen Risiken auch eigene ethnische Konflikte forcieren könnte.

Beide Staaten haben seit mehr als zwei Jahren NATO-freundliche Regierungen; die eine, die bulgarische unter dem Präsidenten Peter Stojanow, sitzt relativ fest, die andere, die rumänische des im Vorjahr ins Amt gekommenen Premierministers Radu Vasile (*), wacklig im Sattel. In beiden vorwiegend orthodoxen Ländern ist die öffentliche Meinung pro-serbisch, und in beiden wird die Stimmung von der Opposition genutzt. In Bulgarien geschieht das eher verhalten; die Sozialisten unter ihrem moderaten Vorsitzenden Georgi Parvanov sind vorsichtig, auch wenn die BSP schon seit Beginn der neunziger Jahre gute Kontakte vor allem zur Partei Vereinigte Jugoslawische Linke (JUL) von Mirjana Markovic´ pflegt, der Ehefrau von Slobodan Milosevic, und sich mehr an der russischen Position zu Ex-Jugoslawien orientiert hat. Die regierende konservative Union der Demokratischen Kräfte (UDK) indes sympathisiert als vehementer Befürworter einer NATO-Mitgliedschaft Bulgariens mit der Bombardierung Jugoslawiens.

Noch 1993 hatte das bulgarische Parlament während des Bosnien-Krieges eine Deklaration verabschiedet, die gegenüber allen Konflikten in Ex-Jugoslawien zu strikter Neutralität aufforderte. Schon damals kursierte die Befürchtung, die türkische Minderheit im Rhodopengebiet könnte sich ebenfalls zu sezessionistischem Aufbegehren hinreißen lassen. Denn ähnlich den Serben und Mazedonierern verzeichnen auch die Bulgaren seit Jahren einen anhaltenden Geburtenrückgang, während in der türkischen Bevölkerungsgruppe ein genau entgegengesetzter Trend zu beobachten ist. Damit stellt sich auch für Bulgarien die Frage nach den identitätsstiftenden Faktoren der Nation.

In Rumänien wird dahingehend zur Zeit tüchtig in die Fanfare geblasen: Die Rechtsradikalen von der Großrumänien-Partei (România Mare/PRM) des Corneliu Vadim Tudor, die sich ohnehin über einen kräftigen Popularitätszuwachs freuen können, haben ein weiteres dankbares Thema, und man muß kein Pessimist sein, um zu befürchten, daß nach der nächsten Wahl (1996 kam die PRM auf 4,5 Prozent) ohne sie nichts mehr geht.

Nach der Enttäuschung in Bukarest über die Zurückweisung bei der ersten Runde der NATO-Osterweiterung wird heute mehr denn je an einer Bewerbung um die Mitgliedschaft im westlichen Integrationssystem (NATO/EU) festgehalten. Präsident Emil Constantinescu wird nicht müde, sein Land als einen Hort der Stabilität zu preisen, der zusammen mit Slowenien und Ungarn die Funktion eines Riegels gegenüber der Bundesrepublik Jugoslawien wahrzunehmen hätte. Wenn Rumänien der NATO inzwischen seinen Luftraum zur Verfügung stellt, dann soll das wohl auch heißen, wir verhalten uns in diesem Krieg wie ein NATO-Staat auf Abruf und sind nicht schlechter als das Neumitglied Ungarn. Angesichts der bisherigen Bevorzugung Budapests durch die Allianz fühlt sich Rumänien in seinem Prestige schwer getroffen und vertritt ohnehin den Standpunkt, bei einer Anpassung der eigenen Streitkräfte an die Strukturen des Paktes gäbe es eindeutige Vorteile gegenüber Ungarn und Tschechien - nur die Polen seien da weiter.

Einer Beschwörung der Solidarität der orthodoxen Länder untereinander, aus der sich die pro-serbische Stimmung im Lande nicht unwesentlich speist, versucht die Regierung mit dem Argument zu parieren, die Kirchen hätten grundsätzlich keine außenpolitische Rolle wahrzunehmen - in Kriegszeiten schon gar nicht. Für die Großrumänen Vadim Tudors, die sich dabei in einer gewissen Nähe zum ehemaligen Präsidenten Ion Iliescu von der postkommunistischen Partei der Sozialen Demokratie (PSDR) befinden, ein weiterer Grund, dem Kabinett Vasile den Verrat nationaler Interessen vorzuwerfen.

Der Westen hat Rumänien und Bulgarien gegenwärtig nicht viel zu bieten außer dem Spruch, daß faschistische oder nationalkommunistische Ideen »auf Dauer keine Perspektive« haben. Die Negativ-Evaluierung beider Länder bei der NATO- und EU-Osterweiterung hat die Auffassung genährt, daß eine europäische Perspektive ebenso wenig existiert. Die EU wird ihr Geld künftig brauchen, um Flüchtlinge zu versorgen und Jugoslawien wieder aufzubauen; für die vergessenen Nachbarn in der östlichen Hälfte der Balkan-Halbinsel wird kaum ein Euro übrigbleiben. Empfindungen der Solidarität und der Verantwortung für die gequälten Albaner schließlich, wie sie im Westen die Politik dominieren, sind in ganz Südosteuropa kaum auszumachen; hier ist jedes unglückliche Volk ganz mit sich selbst beschäftigt. Um die Region zu destabilisieren, muß Slobodan Milosevic nicht viel tun. Alles geht auch so seinen Gang.

(*) Vasile führt ein rechtsliberales Kabinett aus Christdemokratischer Nationaler Bauernpartei (PNTCD), Nationaliberaler Partei (PNL) und Ungarnverband (UDMR)

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