Aufbrechende Paare

Kehrseite Jana redet über Fußball. Vermutlich ist ihr neuer Freund ein Kickerexperte und Kreisklassenchampion wie Pavel, ihr Ex-Mann. Jana scheint vergessen zu ...

Jana redet über Fußball. Vermutlich ist ihr neuer Freund ein Kickerexperte und Kreisklassenchampion wie Pavel, ihr Ex-Mann. Jana scheint vergessen zu haben, dass mich Fußball nicht interessiert. Das halte ich ihr vor. Sie fragt trotzdem, ob ich das Spiel gestern im Fernsehen verfolgt habe. Sie sollte immerhin noch wissen, dass ich keinen Fernseher habe. Bundesligagucken in der Kneipe gehörte zu Janas Wochenendprogramm vor mir und so auch zu den Phasen vorübergehender Trennungen von mir. Die Begleiter nach mir waren "die Jungs". Genauer wurde Jana an dieser Stelle selten. Einmal erzählte sie aber, im Backstage, einem Eintrachtlokal im Nordend, mit einem Schriftsteller gewesen zu sein, der im selben Verlag wie ich veröffentlicht und schon vor seinem Debüt im Haus als zweitgrößte Nachwuchshoffnung galt. Er war der letzte junge Autor, den der Hausherr vor seinem Ableben noch persönlich zur Kenntnis nahm ... ein Konkurrent, der mich kaum als Kollegen wahrnimmt, so weit steht er über mir in der Hierarchie des Hauses. Er fühlte sich auch von Jana vorgeführt und tat das kund in einem Stadtmagazin. Ich wüsste gern, was sie ihm über mich erzählt hat. Mir sagte sie, er sei für sie nicht wichtig gewesen.

Sie war mit ihm im Backstage, während ich mit einem Bandscheibenvorfall im Krankenhaus lag.

"Hast du dein Lächeln verschluckt?" fragt Jana. Das heißt wohl, stell dich nicht so an.

Jana ist schon so sehr in ihren neuen Verhältnissen, dass sie kaum bemerkt, wie sie mich mit Anspielungen darauf verletzt. Jetzt hat sie aber doch mitgekriegt, dass ein Fußballgespräch von meiner Seite nur zu neuem und altem Unglück führen kann. In unserer Dreieckszeit hatte sie Pavels Fußballkompetenz mit einer erotischen Dimension ausgestattet, mit so einer ostdeutsch gewendeten Irisch-Moos-Männlichkeit. Das brachte mich auf das Duschgelmotiv. Rasierwasser kommt auch in Frage. Im Weiteren gehört dazu die Lust, auf einen Beifahrersitz zu sinken, während der Mann die Heckklappe niederschlägt.

Jana verbreitet sich über ihre Ausdauer. Mit ihrem Freund sah ich Jana am Main entlang laufen. Auf dem Hohlbeinsteg streckte das Paar seine Glieder über die Brückenbrüstung. Ich fand diese Dehnungen eklatant. Noch in der Ära meiner Ahnungslosigkeit hatte mir Jana von Dauerläufen in Berlin erzählt. Die synthetischen Sportsachen ihres Freundes raschelten schon im Text. Mit Pavel war Jana nie gelaufen, deshalb zählte ich bis vor ein paar Monaten die gemeinsamen Runden mit ihr zum Bestand unserer Geschichte, zu dem, was daran nicht austauschbar zu sein schien.

Verzweifelt lote ich das Ausmaß ihrer Unempfindlichkeit aus, während Jana ihre Hände an einem Glas voll heißer Milch wärmt. Sie wirkt arglos.

Jana kann überhaupt nichts sagen, ohne von ihrem Freund anzufangen. Ich ahne einen starken Wunsch: Jana möchte, dass ich ihn in den Kanon unserer Gemeinsamkeiten, als den Restposten unserer Zweisamkeit aufnehme. Ich frage mich, ob mich nur Eifersucht davon abhält. Das erwägend, beobachte ich eine besonders lahmarschige Bedienung. Ich habe das Café ausgewählt. Die erste nachträgliche Besprechung von Angesicht zu Angesicht, im konventionellen Rahmen des Abwicklungshinundhers einer gescheiterten Beziehung, aber immerhin erst fünf Monate und neun Tage nach ihrer Beendigung am Telefon, wollte ich uns an einen Ort führen, der für Jana und mich keine Rolle spielte, und in meinem Leben ohne Jana auch nie eine Rolle spielen wird.

Selbst diese kleine Rechnung ging nicht auf. Jana kennt das Café mit irgendwelchen Zusatzbedeutungen der Feststellung und findet es sogar "pautzig". Mit diesem Wort lobte sie einmal ein holländisches Liebesnest und erzählte, als Studentin mit einer Kommilitonin eine ebenso "pautzige Butze" in Leipzig bewohnt zu haben.

Immer wieder prüft Jana die Wirkung ihrer Worte. Sie will nicht verletzen, sie muss mir nur einiges deutlich machen. Sie vermutet taktische Manöver, wenn ich aus Empfindlichkeit zögerlich bin. Wir verstehen uns nicht mehr.

An der Art, wie Jana mit mir redet, erkenne ich, wie sie über mich redet; wie man über mich redet in ihrem Freundeskreis. Sie kolportiert ein fremdes Unverständnis für meine Lage. Sie verstärkt ihre Position mit diesem Unverständnis.

"Wir sind beide verrückt", sagt sie.

"Wieso bin ich verrückt?" frage ich, obwohl ich schon weiß, dass Jana so die Einschätzung ihrer Freundinnen überliefert. "Der Teichmann ist doch verrückt."

In dieser Sphäre habe ich keinen Vornamen und auch das kränkt mich.

"Und was macht Mischa Ode beruflich?" frage ich.

"Er ist Buchhändler."

Das glaube ich keinen Augenblick. Jana ist viel zu ehrgeizig für einen Buchhändler. Mir fällt ein, dass ich einmal mit einem Sol Ode zu tun hatte. Seinen Namen hielt ich für ein Pseudonym.

"Das ist ein Bruder von Mischa", erklärt Jana belustigt. Sie deutet eine große Familie an, in die sie jederzeit einheiraten kann. Auch Pavel ist von Verwandten umstellt, so wie Jana selbst. Vor mir hatte Jana noch nie was mit einem Einzelkind.

"Weiß Mischa, dass du mich heute siehst?" frage ich.

"Das musste ich ihm doch sagen", entgegnet Jana.

"Wie oft hast du mir nichts gesagt."

Jana versteht meine Aufregung nicht.

"Ich hätte dir überhaupt nichts sagen müssen", sagt Jana.

"Das ist jetzt für uns beide nicht leicht", behauptet Jana.

Jana ist ein Bauernkind. Ein Großvater fand es nett, die Enkeltochter kleine Henne zu nennen. Wenn er sie an den Ohren zog, sollte sie das für eine Zärtlichkeit halten. Mir fällt ein Beispiel ihrer Kaltschnäuzigkeit ein: "Aus einem Hund, der sonst zu nichts taugt, kann man immer noch einen ordentlichen Muff machen."

Jana ist so groß wie ich. Sie misst sich mit mir. Niemals würde diese geborene Sportlerin einen Sieg verschenken.

Mir kommt es so vor, als hielte sie mir eine Kapitulationscharta unter die Nase. Die soll ich unterschreiben, um wieder als Underdog für Zuneigungsbeweise in Betracht zu kommen. Das Kleingedruckte ihres Angebots steht mit deutlich vor Augen: Für dich ändert sich doch nichts. Erst war Pavel wichtiger als du und nun ist das Mischa.

"Hast du Hunger?" frage ich.

"Ich guck mal auf die Karte."

Es erscheint mir immer noch unfassbar, dass sich Jana mit einem anderen Mann ebenso selbstverständlich verständigt wie gerade mit mir. Das ist absurd, war sie doch von Anfang an nie ausschließlich mir zugetan.

Sie entscheidet sich für griechisch angemachten Käse. Mir überlässt sie die Bestellung.

Sie wickelt sich in einen Schal, so lang wie für eine erkältete Giraffe, rekelt sich in ihren gekauften Stricksachen ... und möchte dann mit meinem Rumpsteak gefüttert werden. Wie auf eine geheime Losung hin füllt sich das Lokal in Minuten bis auf den letzten Platz. Unsere Ecke verwandelt sich in einen Rand. Da hocken wir bedrängt. Ich tunke einen Weißbrotkanten in die griechische Brühe auf dem Boden einer angeschlagenen Schale. In ihr könnte schon vor dreißig Jahren etwas aufgebacken worden sein. Plötzlich komme ich mir fremd vor. Mein Unbehagen teilt sich mit. Die Bedienung verschanzt sich hinter einer Zurückhaltung, die drastisch wirkt. Ich würde gern zahlen und gehen, fürchte aber, Jana zu keiner weiteren Einkehr überreden zu können.

Sie hat mir nie ein Angebot gemacht, das andere Männer ausschloss. Zu keinem Zeitpunkt war ich für Jana der Einzige. Aber es gab eine Zeit, in der mir das nicht klar war. Ich möchte den Zustand der Unklarheit überwinden. Tatsächlich erwarte ich eine Liste der Männer mit Liebhaberrollen in diesem Stück. Jana fühlt sich aber nicht auskunftspflichtig.

"Du kannst ohne mich nicht leben", sagt sie.

"Du meinst, friss Vogel oder stirb", sage ich.

Jana rückt ab und nimmt ihre Tasche auf den Schoß. Sie hält sich daran so fest, als sei sie ein Mädchen im Bus, traurig über Land fahrend. So wie sie die Dinge ansieht, verderbe ich alles. Ich bin nicht konstruktiv, da liegt der Fehler.

Jamal Tuschick wurde 1961 in Kassel geboren, er lebt seit 1987 in Frankfurt am Main als Journalist und Kellner.


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