Aufbruch nach Osten

Deutschland Außenminister Frank-Walter Steinmeier setzt sich von Angela Merkels Kurs ab. Hat die SPD Mut zu einer neuen Entspannungspolitik?
Ausgabe 48/2014
Steinmeier mit seinem russischen Counterpart Sergei Lavrov
Steinmeier mit seinem russischen Counterpart Sergei Lavrov

Foto: Vasily Maximov/Getty Images

Was läuft an der Heimatfront? Wenn auch mit einiger Vorsicht, so lässt sich doch sagen: Die Vernunft hat noch nicht kapituliert in Sachen Russland und Ukraine, sie erzielt den einen oder anderen Geländegewinn gegen die politisch-mediale Übermacht der Kalten Krieger.

Finden also hinter der Vorhut der Kalten Krieger tatsächlich Absetzbewegungen statt? Sollte es wahr sein, dass die Partei Willy Brandts ihr entspannungspolitisches Erbe endgültig wiederentdeckt? Auf den ersten Blick spricht einiges dafür: Kaum hatte Angela Merkel vor einigen Wochen die harten Töne gegen Wladimir Putin ausgepackt („… stellt die europäische Friedensordnung insgesamt infrage“), da besuchte ihr Außenminister, der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier, den russischen Präsidenten und bekräftigte fast umgehend seine Meinung, dass die Ukraine nicht in die NATO gehöre.

Mehr noch: Zum ersten Mal seit langem fanden diejenigen, die vor fortgesetzter Provokation gegen Russland warnen, ein Medienecho, das wenigstens nicht ausschließlich aus Häme bestand – siehe nur den Auftritt des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck bei Günther Jauch.

Natürlich sollte niemand sich Illusionen machen. Noch können auch eingefleischte Merkel-Astrologen nicht sagen, was hinter ihrer harten Rhetorik steckt. Poltert sie nach außen, um die Dialogbereitschaft mit Russland, die sie ja immerhin stärker als die osteuropäischen und transatlantischen Partner gezeigt hat, gegenüber diesen Hardlinern abzusichern? Oder zeichnet sich da ein Kurswechsel ab zu einer noch härteren Haltung als jener, die sie trotz zahlreicher Gespräche mit dem russischen Präsidenten von Anfang an zeigte?

Sicher ist jedoch eines: An einer konsequenten Entspannungspolitik, wie Platzeck und andere sie zu skizzieren versuchen, ist das Merkel-Lager nicht interessiert. Wenn jemand bestimmt, ob und wie mit Putin geredet wird, dann soll das die Kanzlerin sein. Und sie ist es, die dafür sorgen wird, dass jeder Versuch einer friedlichen Lösung seine Grenzen an den ökonomischen und strategischen Interessen findet, die EU und NATO in der Ukraine verfolgen.

Wie sehr die Kalte-Krieger-Fraktion das Aufbrechen der Fronten fürchtet, zeigt sich auch daran, dass eine schwarz-grüne Koalition aus Konrad-Adenauer- und Heinrich-Böll-Stiftung daran arbeitet, Platzecks deutsch-russisches Forum durch Neuformierung des „Petersburger Dialogs“ an den Rand zu drängen. Und wenn nicht alles trügt, ist das jedenfalls nicht gegen den Willen von Angela Merkel geschehen.

Sollte das die Linie sein, die sich durchsetzt, dann stecken wir bald noch tiefer in den Mustern des Kalten Krieges. Zu ihnen gehörte es ja vor allem, jede Dialogbereitschaft mit dem Vorwurf zu diskreditieren, sie sei aus Sympathie mit der Gegenseite gespeist. Nichts anderes meint das üble Wort von der „Putinversteherei“: Es diffamiert jeden, der Putin zwar als weithin antidemokratischen Machtpolitiker erkennt, aber dennoch mit Moskau über Russlands Interessen reden will, als Freund des Autokraten. Das ist die alte, längst überwunden geglaubte Logik des „Geh doch rüber“. Hat also die Sozialdemokratie den Mut, in der Tradition der Brandt’schen Entspannungspolitik die Vision einer umfassenden Wiederversöhnung mit dem Osten einschließlich Russland zu wagen? Sollte sie sich besinnen auf ihr Grundsatzprogramm von 1989? „Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktion zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren“ – so klang damals SPD.

So schön es sein mag, dass Frank-Walter Steinmeier eine andere Linie verfolgt als seine Chefin – nach einem Aufbruch zu neuer entspannungspolitischer Größe sieht das noch nicht aus. Der Außenminister hat womöglich verstanden, dass das Problem mit NATO-Manövern und Drohungen nicht zu lösen ist. Aber das ist zunächst nichts weniger und nichts mehr als akutes Krisenmanagement. Die Suche nach einer Ordnung, in der sowohl Kiew als auch Moskau ihre Interessen gewahrt sehen könnten, ist es noch nicht. Zu loyal steht Steinmeier zur Großen Koalition, als dass von ihm der Mut zur offenen Debatte zu erwarten wäre, und das trifft auf den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel genauso zu.

Dabei wäre dringend zu wünschen, dass ein entspannungspolitischer Aufbruch im Geiste Brandts von gewichtigeren und mächtigeren Sozialdemokraten als Matthias Platzeck getragen würde. Auch von geschickteren, muss man sagen: Fast tolpatschig hatte sich der Brandenburger aufs Glatteis begeben und musste mühsam dem Eindruck entgegentreten, er habe für eine völkerrechtliche Anerkennung des russischen Anspruchs auf die Krim plädiert.

Es ist gut, dass es in der Russland-Politik überhaupt noch Mut zu abweichenden Meinungen gibt, und es ist gut, wenn sie immer stärker Gehör finden. Aber Matthias Platzeck, Egon Bahr und ein paar andere werden nicht genügen, um Deutschland oder gar ganz Westeuropa zur Besinnung zu bringen.

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