Aufbruchstimmung

Deutliche Lohnerhöhung Setzt der Tarif-Abschluss in der Metallindustrie auch für andere Branchen ein Zeichen?

Endlich mal wieder ein relativer gewerkschaftlicher Erfolg: Der zweistufige Metall-Abschluss in Baden-Württemberg brachte in dieser Branche die größte Lohnsteigerung seit der staatlich gesponserten deutschen Vereinigungskonjunktur vor 15 Jahren. Im "Gute-Laune-Frühling" (Bild) ging der Tarifpoker fast kampflos über die Bühne. Denn die besonders hochgradig exportorientierte Metallindustrie konnte sich die aktuell blühende globale Nachfrage angesichts der Konkurrenzlage nicht durch einen Streik verhageln lassen. Der politische und mediale Aufschwung-Populismus tat ein übriges, um ein günstiges Klima für Lohnzugeständnisse ohne Arbeitskampf zu erzeugen. Damit ist allerdings noch keine grundsätzliche Trendwende beim Preis der Ware Arbeitskraft absehbar. Die über einen langen Zeitraum vollzogene Absenkung der Reallöhne (auch durch Kürzungen beim Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich) wurde durch diesen Abschluss bei weitem nicht auf die Schnelle ausgeglichen.

Es muss sich zeigen, wie weit dieser Pilotabschluss trägt, vor allem über die Metallindustrie hinaus. Dabei ist die argumentative Anbindung von Lohnforderungen an den Konjunkturfrühling äußerst zweischneidig. So war es schon vor 15 Jahren; und man weiß, was daraus geworden ist. Das gewaltige Schwungrad des pazifischen Defizitkreislaufs hat die Weltkonjunktur über alle Erwartungen hinaus angetrieben und seit 2006 auch Europa erfasst. Aber der Katzenjammer könnte ebenso kommen wie nach der hiesigen Vereinigungskonjunktur, nur in einer viel größeren Dimension. Schon wird versucht, das Übergreifen der Lohnzugeständnisse auf andere Branchen zu stoppen. Der Einzelhandel mit seinen 2,7 Millionen Beschäftigten soll unter Verweis auf die immer noch schwächere Binnenkonjunktur wesentlich niedriger abschließen. Und in der Bauindustrie wurde die bereits erzielte keineswegs üppige Einigung auf 3,1 Prozent wieder kassiert, weil sich ein Teil der Arbeitgeberverbände sperrt. Es droht eine weitere Aufspaltung des Lohnniveaus zwischen Export- und Binnenökonomie.

Während die Aufschwung-Populisten noch gönnerhaft den "Schluck aus der Pulle" für die Metaller feiern, wird für den Fall eines Absturzes der globalen Defizit-Konjunktur bereits an einer Dolchstoß-Legende gebastelt; dann sollen nämlich die "zu hohen" Lohnabschlüsse schuld gewesen sein. In den "Expertenkommentaren" wird wieder die alte Platte von der Lohn-Preis-Spirale aufgelegt. Tatsächlich lauert das inflationäre Potenzial in der "Vermögensinflation" der Finanzblasen-Ökonomie, soweit hier ein Recycling in die Realökonomie stattfindet (etwa im Immobilienbereich, einem der großen Risikofaktoren). Der Druck auf das Lohnniveau im Prozess der Globalisierung bleibt erhalten; die allzu eilfertig propagierte "Rückkehr zur Normalität" birgt schon den Rückschlag in sich.

Es ist keineswegs zufällig, dass der relativ gute Metall-Abschluss einher geht mit dem Versuch der Telekom, 50.000 Beschäftigte in den Niedriglohn-Bereich auszulagern. Auch das ist ein Pilot-Projekt. In der Metallindustrie liebäugelt man angesichts des Abschlusses, der von der derzeitigen Export-Auftragslage erzwungen wurde, ebenfalls mit einer weiteren Aufweichung des Flächentarifs in Richtung von Betriebsvereinbarungen. Es wird auf "Erfolgsabhängigkeit" gepocht, das globale Konkurrenz- und Konjunkturrisiko soll auf die Beschäftigten abgewälzt werden.

Es kommt jetzt darauf an, ob die weltkonjunkturelle Atempause dazu genutzt wird, auf breiter Front die allgemeine Niedriglohn-Tendenz zurückzuschlagen. Dazu gehört nicht nur die Unterstützung der Telekom-Beschäftigten und ein ausreichend hoher Mindestlohn, sondern auch eine grundsätzliche Orientierung an den Lebensbedürfnissen statt an der Konjunkturlage der Ware Arbeitskraft. Wenn der "Gute-Laune-Frühling" vorbei ist, kann sich deren Preis-Situation schnell wieder dramatisch verschlechtern.


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Geschrieben von

Robert Kurz

Publizist und Journalist

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