Aufklärend abwiegeln

SPENDENAFFÄRE Der Kölner Klüngel und die Diktatur des Marktes

Der Skandal in Köln könnte den Ausgang der nächsten Wahlen durchaus beeinflussen. Zwar mag es der SPD noch vor dem Urnengang in Sachsen-Anhalt gelingen, das Publikum für die Frage zu sensibilisieren, ob nicht auch nordrhein-westfälische CDU-Politiker in den Skandal verwickelt sein könnten. Jürgen Rüttgers, der Landesvorsitzende der NRW-CDU, hat ja schon (vergeblich) versucht, seinen Bundesgeneralsekretär Meyer davon abzuhalten, die Angelegenheit als Geschoss im Bundestagswahlkampf zu verwenden. Auch die CDU-nahe FAZ ist vorsichtig und übt sich in volksparteilicher Solidarität: Nun sehe man doch, schreibt sie, dass nicht nur die CDU, sondern auch die SPD vom Spendensumpf betroffen und Politik - "Politik in der Demokratie"! - eben überhaupt "das Regelwerk" sei, "mit dem unterschiedliche legitime Interessen zu einem für alle annehmbaren Ausgleich gebracht werden können". Aber wenn es der CDU auch nur gelingt, den sozialdemokratischen Eifer bei der Aufklärung der Spendenaffäre Kohl zu dämpfen, hat sie schon allerhand erreicht. Denn diese Affäre war der eigentliche Grund für den langen Umfragen-Höhenflug der SPD in der zu Ende gehenden Legislaturperiode.
Die SPD wehrt sich noch dagegen, auf das moralische Niveau der CDU herabgezogen zu werden. Es wird nichts helfen. Dass so etwas in der SPD möglich sei, habe er sich nicht vorstellen können, tönt Franz Müntefering, als hätte seine Partei nicht zwei Bundestagswahlen der achtziger Jahre auch deshalb verloren, weil es den Korruptionsskandal des gewerkschaftseigenen Unternehmens Neue Heimat gab. Wenn es auf diesem Feld einen Unterschied zwischen den "Volksparteien" gibt, dann höchstens den, dass der CDU Skandale des Gegners stets glücklich im Vorfeld der Wahlentscheidung zugute kommen, während die SPD immer zur Unzeit auftrumpft - so auch einst bei der Flick-Affäre. Nein, lassen wir uns nicht mit der privat-subjektiven Seite der Sache abspeisen. Ob Helmut Kohl und ein Herr Rüther von der Kölner SPD bestechlich sind und wie andere ihre Kontrollpflichten wahrnehmen oder vernachlässigen, das ist gewiss nicht unwichtig. Aber sehr viel interessanter ist die Müllverbrennungsanlage, um die es dem Kölner Klüngel ging. Ökologisch schädlich und auch sonst ganz überflüssig - wegen der Auslastung muss Müll aus Neapel importiert werden -, wurde die Anlage gegen starken Widerstand durchgedrückt. Man schlug den Rat von Umweltministerin Bärbel Höhn in den Wind und brachte mit Verfahrenstricks ein Bürgerbegehren zu Fall. Dafür strich die Kölner SPD über 500.000 Mark ein; der Schatzmeister fand Wege, das Schmiergeld illegal zu verbuchen. Politik in der Demokratie?
Es dürfte ruhig demokratischer zugehen. Wenn wir einen freien Markt hätten, wie immer behauptet wird, wäre es Sache der Kölner Bürger-Konsumenten gewesen, über die Methode der Müllentsorgung zu entscheiden. Im Prinzip kann man sich auch vorstellen, dass die Konsumenten eine Partei einsetzen, die Kölner SPD zum Beispiel, damit diese den Konsumenten-Willen politisch artikuliert und umsetzt. Man sieht aber: In der Realität funktioniert dergleichen nicht. Die "Volksparteien" vertreten nicht die Konsumenten, sondern stützen die Marktdiktatur der Anbieter, wie sie im Kölner Fall den Großunternehmer Hellmut Trienekens gestützt haben. Deshalb bedarf es anderer Mechanismen, die Konsumfreiheit zu erreichen. Solange der Markt unfrei ist, nützt es eben wenig, Bürger von der ökologischen Schädlichkeit gewisser Projekte zu überzeugen, was manchmal - wie auch beim Atomstrom, Braunkohleabbau oder der intensiven Landwirtschaft - ja durchaus gelingt. Als isolierter Einzelner kann niemand sein demokratisches Recht zur Geltung bringen, auf dem Markt so wenig wie in der Entscheidung darüber, wer Bundeskanzler sein soll. In der Demokratie dürfen die Einzelnen ihre Stimmen aber summieren. Die Lösung - mag sie noch so wenig opportun erscheinen - liegt also auf der Hand: Wie es Bundestagswahlen gibt, müsste auch jedes strukturbestimmende Großprojekt des Marktes einer Bürgerwahl unterworfen sein.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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