Langsam reicht´s. Als die Journalistin Barbara Spinelli in der italienischen Tageszeitung Stampa Anfang November auf den jüngsten Brief Oriana Fallacis reagiert, spricht ihre Analyse eine deutliche Sprache. "Wer solche Meinungen vertritt", kommentiert sie, "weiß, wie man Kriege führt und polizeiliche Ermittlungen, aber wenig darüber, wie Frieden zustande kommt und das Zusammenleben unterschiedlicher Menschen."
Die Wut der so öffentlichkeitsscheuen wie sprachlich ungehemmt dreinschlagenden Autorin scheint ununterbrochen zu wachsen, parallel zum erstaunlichen Erfolg, den ihr Buch La Rabbia e l´Orgoglio in Europa gefunden hat: In Italien ist der zornige Essay mehr als eine Million mal verkauft; in Frankreich stand er wochenlang auf der Bestseller-Liste, und
r Bestseller-Liste, und auch in Deutschland konnte der List-Verlag (nach der Weigerung zweier großer Verlage, den Text zu publizieren) mit der deutschen Übersetzung unter dem Titel Die Wut und der Stolz "sensationell verkaufen".Dabei hätte es ja bleiben können. Eine vehemente, von Hass befeuerte Offensive gegen den Islam und den dem Westen so jämmerlich unterlegenen, im Mittelalter stehen gebliebenen Orient; der Aufruf "Okzident, erwache!", der vor allem ein lahmes, zersplittertes Europa in seine politisch-moralische Pflicht zu rufen versucht und ihm mit kräftiger Mama-Schelte die patriotische Einmütigkeit der USA zum Vorbild hinhält. Aber nichts da. Dem eigenen Versprechen untreu, dies sei kein Bruch, nur ein Unterbruch ihres Schweigens gewesen, findet Fallaci vor allem nach dem ersten Jahrestag von "9/11" neue Adressaten für ihre wilden Anklagen.Befremdlich und symptomatisch zugleich, dass ihr ein Teil der italienischen Presse je länger je mehr den roten Teppich ausrollte. Seit sie am 6. November, drei Tage vor dem "Europäischen Sozialforum" der Globalisierungsgegner, im Corriere della Sera dazu aufrief, die Türen zu verrammeln und die Kinder nicht zur Schule zu schicken und so "der Welt das traurige Spektakel einer beleidigten, verletzten, verratenen und dennoch stolzen Stadt" zu bieten, war sie zur heimlichen Integrationsfigur der Gegner des Treffens geworden; als dann die dramatisch Angekündigten ("Sie respektieren Saddam Hussein, sie lieben bin Laden") die Genitalien des Michelangelo-David doch nicht beschmierten, als der Sturm auf Florenz ausblieb, kommentierte sie: "Wer ein bisschen Hirn hat, wird nicht glauben, dass aus den No Globals plötzlich Pfadfinder geworden sind. Warten wir auf das nächste Mal ..." Im Exklusiv-Interview, das sie der Zeitschrift Panorama Ende November gab bewirft sie vor allem das "beschämende Paar", den Bürgermeister von Florenz und den Präsidenten der Region Toskana, mit Dreck: dafür, dass sie die "No Globals" in Florenz nicht zur zugelassen, sondern dem Treffen politische Wichtigkeit beigemessen haben. Nun sind sie alle in einem Topf gelandet: "Rambo"-Bürgermeister und die von ihm eingeladenen "Papa-Söhne", die ja wiederum Anhänger der "Söhne Allahs" sind. Die devote Art, in der die italienische Presse der Diva in Interviews schmeichelte, belegt, dass diese "Extremistin der Mitte" (Spinelli) einer im Zeichen des Berlusconi-Rechtsrucks immer unfreier werdenden Presse gerade recht kommt; sie, die die Verteidigung der traditionellsten, biedersten bürgerlichen Werte plötzlich mit der Aura von Kühnheit und Radikalität versieht und sich nicht einmal scheut, eine Parallele zum antifaschistischen Widerstand herzustellen. In Diskussionen findet sich schnell jemand, dem sie "aus der Seele spricht". Sie bietet Sündenböcke und Ventile für ein unklares politisches Unbehagen; außerdem das Loblied auf den auch moralisch sauberen Kapitalismus. In Fallacis USA-verzückter Sprache erscheint der hohe Standard des bürgerlichen Wohlstands für einmal ohne "ja, aber"; stattdessen als Ziel der Zivilisation, in dem das Schöne, Gute und Wahre endlich zusammen gefunden haben.Vor allem einer bot ihr die Stirn: Dass man den Islam unheimlich, fremd, gewaltbereit und Jahrhunderte von uns Westlichen entfernt finden kann, geschenkt, das sieht er auch so. Aber dann? Tiziano Terzani, Florentiner und Reporter wie sie und durch 30 Jahre Asien-Korrespondenz für den Spiegel mit der anderen Hälfte der Welt vertraut, äußerte seine erste Reaktion auf den 11. September bereits zwei Wochen vor ihr ebenfalls im Corriere della Sera. "Die Katastrophe von New York gibt uns Gelegenheit, alles zu überdenken. Sie stellt uns vor neue Entscheidungen. Die erste: ob wir die Gründe, aus denen der islamische Fundamentalismus besteht, verstärken oder beseitigen werden ..." Wo Fallaci zum Aufrüsten ruft, ruft er zunächst zum Erinnern. An die Bombenangriffe der USA nach 1983 in Libanon, Libyen, Iran und Irak. An die Millionen vor allem ziviler Toter: Haben wir geglaubt, dieses Sterben hätte keine - New York vergleichbare - Wut erzeugt? "Es ist wichtig, die Verbindung zwischen der einen und der anderen Wut zu verstehen." Das Streben nach Glück, zitiert Terzani die amerikanische Verfassung, ist des Menschen Auftrag auf Erden, aber gilt dies nicht etwa für alle Menschen? Ist Glück teilbar? Das Interesse, die Welt als Zusammenhang zu begreifen, deren einer Teil nicht weggedacht und weggemacht werden kann, ist das, was ihn vor allem von Fallaci unterscheidet, die in ihrem Brief La Rabbia e l´Orgoglio Terzanis Reflektionen zurückweist. Er wiederum hält ihr vor, sie unterschlage eine Grundqualität der Intellektuellen: das Zweifeln. Statt nach den Gründen der Katastrophe des 11. September zu fragen und in den vielfältigen Verwicklungen der USA in Kriege einen Grund der Verhärtung und Verzweiflung kamikazebereiter Jugendlicher zu erkennen, erteile sie der Jugend, die ihr nun europa- und weltweit zuhöre, eine "brillante Lektion in Intoleranz".Terzani schreibt in den folgenden vier Monaten Briefe aus Pakistan, Afghanistan und Indien: Aufzeichnungen von Begegnungen, die seine anfängliche Vermutung bestätigen, es würde schwer für die USA werden, diesen Krieg als einen gegen den Terrorismus zu verkaufen und nicht als Krieg gegen den Islam. Wo Fallaci nur den Neid der Besitzlosen sieht, den sie nicht müde wird, mit Hohn und Spott zu bedenken, nimmt er eine andere Kultur und Identität zur Kenntnis, die sich zunehmend sowohl der Würde dieser Identität beraubt sieht als auch der Freiheit, sich für das Eigene zu entscheiden. Weit entfernt davon, Lösungen anzubieten, steht Terzani für Qualitäten wie Differenzierung einerseits, Mitgefühl andererseits; Qualitäten, die Oriana Fallaci nun definitiv ihren populistischen Tiraden geopfert hat. Fallaci eine Renegatin? Schon als sie vor 30, 40 Jahren die Welt schreibend bereiste, machte sie aus ihrer Fassungslosigkeit über den Frauen verachtenden Islam keinen Hehl, ebenso wenig aus ihrer Verwurzelung in westlicher Kultur. Aber dies schloss Offenheit, Humor und ein Hinterfragen dieser Kultur nicht aus. "Die ganze Welt ist ja bereits verdorben", sagt die Frau Anfang Dreißig, nachdem sie Kalkutta verlässt. "Mit dem Fortschritt haben wir unser einziges Instrument gegen die Langeweile zerstört; jenen köstlichen Defekt, der Phantasie heisst, schrieb sie 1965 in ihrem Buch Das unnütze Geschlecht. Vielleicht ist es das; einen solchen Satz kann man sich in der an Stereotypen und Gemeinplätzen, an litaneiartigen Wiederholungen reichen Sprache der jetzigen Fallaci nicht mehr vorstellen. Es ist unheimlich, dass sie mit ihrer hasserfüllten Stimme von heute so großen Erfolg hat.
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