Aufs Glatteis gelegt

Stammzellenforschung in den USA Der Markt lenkt und Bush denkt - an seine christlich-konservativen Wähler

George W. Bushs schon lange in Aussicht gestellte Entscheidung zur embryonalen Stammzellenforschung lässt noch immer auf sich warten. Es dauere, weil der Präsident mit sich selber ringe, Bush habe sogar Ethiker zu Rate gezogen, heißt es. Er lese viel zum Thema. Viel. Und derweilen schafft der »freie Markt« Tatsachen, die weit über das hinausgehen, was im Weißen Haus zur Diskussion steht.

Ganz ungeachtet der angeblichen Seelenqualen des ehemaligen texanischen Gouverneurs: Bush steckt in einer selbstgebauten Zwickmühle. Einerseits regiert im Hause Bush der Markt ohne große Regierungsvorschriften, andererseits muss der Präsident auf seine Freunde, die christlichen Konservativen, Rücksicht nehmen. Sollte Bush den »Mord« an »embryonalen Menschen« zulassen, brüskiere er »seine wichtigsten Wähler, die Lebensschützerbewegung«, warnte die Christliche Verteidigungskoalition. Die rechten Christen feiern zwar auch den Markt, bemängeln aber zunehmend, dass dort leider auch Unmoralisches, Verwerfliches, Pornografisches, und eventuell eben auch die Forschung an »embryonalen Menschen« schlecht gezügelt werden könnten.

Worüber Bush nachdenkt: Bill Clinton hatte in seinen letzten Amtsmonaten Richtlinien zur staatlichen Finanzierung der Forschung an embryonalen Stammzellen vorgelegt, die in amerikanischen Fruchtbarkeitskliniken »übrig« geblieben sind (Angeblich lagern dort etwa 100.000 tiefgefrorene Embryonen). Clinton musste dabei Haare spalten: Hatte der Kongress doch 1996 verboten, staatlicher Mittel auszugeben, um menschliche Embryonen zu zerstören oder zu Forschungszwecken herzustellen. Den Richtlinien zufolge müssten nun privat finanzierte Techniker die Stammzellen »ernten«. Zur Forschung an diesen Zellen dürften dann staatliche Gelder verwendet werden.

Bush hat diese Vorschriften erst mal auf Eis gelegt. Obwohl alle führenden Wissenschaftsverbände und selbst Gesundheitsminister Tommy Thompson dafür sind. Vor allem die römisch-katholischen Bischöfe machen Druck (Bush war gerade eben beim »sehr beeindruckenden« Papst), und die Führer der konservativen Evangelikalen lassen keinen Platz für Kompromisse: Sein Lebensschützerimage stehe auf dem Spiel. Die Stammzellenentscheidung sei Bushs »Charaktertest«, warnte der Chefethiker der Baptisten. Und erinnert den Präsidenten an Wahlversprechen, dass er »die Vergabe öffentlicher Gelder zur Stammzellenforschung« ablehne, bei der »lebende menschliche Embryonen zerstört werden«. Und zu den »lebenden« zählen nach Ansicht der Konservativen eben auch die tiefgefrorenen.

Allerdings stehen die rechten Reihen bei der Stammzellendebatte nicht so fest wie bei der Abtreibungsdiskussion. Vereinzelte prominente Abtreibungsgegner - so die republikanischen Senatoren Connie Mack und Orrin Hatch - räumen inzwischen ein, dass die Stammzellenforschung große medizinische Fortschritte verspräche, und Embryonen auf Eis ohnehin keine »Lebenschance« hätten. Eine Umfrage des Fernsehsenders ABC ergab: 60 Prozent der Amerikaner befürworten eine staatliche Finanzierung der Stammzellenforschung. Selbst 49 Prozent der Republikaner und 50 Prozent der weißen Evangelikalen seien für Stammzellenforschung. Nach Auskunft des Verbandes der biotechnologischen Industrie kämen die Grundlagenforscher ohne staatliche Mittel nicht weiter. Der Privatsektor finanziere schließlich nur Forschungsprojekte, bei denen sich »praktische Gewinne« abzeichnen würden.

In der Tat geben in den USA gegenwärtig private Einrichtungen und die Industrie das Tempo vor. Es hat sich eine regelrechte Cowboykultur durchgesetzt - gibt es doch kaum Regierungsvorschriften für den privatwirtschaftlichen Wettlauf um Patente und Profite. Drei Firmen haben in den vergangenen Wochen verlauten lassen, sie wollten menschliche Stammzellen zu Forschungszwecken herstellen. Geron in Menlo Park (Kalifornien) kauft übrig gebliebene Embryonen auf und gewinnt Stammzellen. Advanced Cell Technologies in Worcester (Massachusetts) führt Experimente durch, um aus Eizellen menschliche oder »menschenähnliche« Embryonen zu züchten. Und das Jones Institute für Reproduktionsmedizin in Norfolk (Virginia) hat »Forschungsembryonen« aus eigens dazu gekauften Ei- und Spermazellen hergestellt.

Diese Experimente beim Umgang mit dem »Rohstoff« embryonale Stammzelle beunruhigen selbst einige Forschungsbefürworter. Das Züchten von Embryonen zur Stammzellengewinnung unterstreiche, dass der Staat regulierend eingreifen müsse, erklärte eine Koalition von Wissenschaftler- und Patientenverbänden. Die Regierung könne aber nur glaubwürdig handeln, wenn sie Mittel für akzeptable Forschungsprojekte bereitstelle. In Ermanglung verbindlicher nationaler Richtlinien droht in den USA darüber hinaus ein Sammelsurium an möglicherweise widersprüchlichen Forschungsgesetzen einzelner Bundesstaaten. Und das macht Wissenschaftler sehr nervös.

So harrt man der Entscheidung des Mannes im Weißen Haus. Und es wird spekuliert. Bei der Klimapolitik sei Bush dem Rat sehr weit rechts stehender Interessenverbände und Berater gefolgt, obwohl selbst viele Parteifreunde den Kyoto-Prozess begrüßten. Manche Zyniker mutmaßen jedoch, dass Bush sich in punkto embryonale Stammzellenforschung schon lange zu Gunsten des Marktes entschieden habe, und mit seinem »Ringen« jetzt Kritikern das Wasser abgraben wolle. Alles Theater? Cheney hat noch nichts gesagt.

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