Eigentlich sind Ausstellungen ja eine zutiefst poststrukturalistische Angelegenheit. Je nachdem, von welcher Seite man beginnt, die Exponate zu betrachten, verschiebt sich auch ihr Sinn; werden Bilder zu Appetizern oder Rausschmeißern. Das ist auch in der Berliner Kunstbibliothek nicht anders, wo zur Zeit die Ausstellung Botschafterinnen der Mode - Starmannequins der fünfziger Jahre gezeigt wird. Zwar stehen hier die Fotografien der drei damaligen "Supermodels" Denise Sarrault, Susanne Erichsen und Elfi Wildfeuer eindeutig im Mittelpunkt des bunt gestalteten Raumes, doch wenn man die ganze Bilderschau einmal von hinten aufrollt, dann kann schon ein kleiner Absacker zum sinnstiftenden Foto werden.
Renate Stindt vor den Ruinen Berlins ist zum Beispiel ein solches Bild. Irgendwo an d
ches Bild. Irgendwo an den Rand der umfangreichen Moderetrospektive gedrängt, und von den Ausstellungsmachern vermutlich nur als Fußnote gedacht, ist mit diesem Bild eigentlich schon alles gesagt. Dabei ist es sicherlich die unspektakulärste Modefotografie, die man sich vorstellen kann: Model vor Trümmerlandschaft wäre denn auch ein passenderer Titel für diese triste Aufnahme aus dem Jahr 1947. Es ist ein Bild aus den Zeiten, in denen die Fotoansichten der Bundesrepublik noch von grau bis dunkelgrau verliefen; und das nicht, weil der Farbfilm noch nicht erfunden gewesen wäre, sondern weil die Wirklichkeit jenseits von Marken und Marketing eben noch blass oder schwarzweiß gewesen ist.Zu sehen ist ein Model aus den Zeiten, in denen diese noch Mannequins hießen. Und doch ist es wie ein Archetyp aus der deutschen Kahlschlagära. Denn was hier noch gezeigt wird, das wird auf den anderen Modefotografien in der Kunstbibliothek fast krampfhaft zu übertünchen und wegzuretuschieren versucht: der Scherbenhaufen einer Stadt nämlich, unter dem nicht nur Menschen und Träume verschwunden waren, sondern ebenso der Modemythos der Golden Twenties. Und diese Renate Stindt - sie ist alles andere als das, was man sich unter einem Model vorstellt. Noch keinen Hauch von New Look am Körper, erinnert sie eher an die weiße Frau auf den Persil-Emailleschildern, denn an den bald schon weltweit gefeierten Stil Christian Diors.Dabei sind die gefeierten Mannequins Susanne Erichsen und Elfi Wildfeuer eigentlich nur das fashionable Äquivalent zur zugeknöpften Trümmerfrau. Nicht nur, dass diese Damen Deutschland wieder angezogen haben, sie sind auch auf subtilere Art mit einander verwandt. Denn Wohnung und Kleidung, hat Marshall McLuhan einmal geschrieben, sind fast wie Zwillinge. Wie jedes Medium nämlich eine Körperprothese ist, so handelt es sich bei diesen beiden um eine Erweiterung der menschlichen Haut. Und Dickhäutigkeit war bekanntlich für die Wunderkinder aus der Ära Wohlstand-für-alle durchaus von Nöten - weniger auf Grund der zugigen Wohnverhältnisse, als vielmehr auf Grund der zurückliegenden Jahre.Wenn es also eine Pose gibt, die auf den meisten Fotos dieser Zeit zur Körpersprache der Mode wird, dann ist es noch nicht das Stretching der siebziger oder das Walking der achtziger, sondern schlicht und ergreifend das Augen-weit-auf-und-nach-vorn-geguckt. Schließlich ging es in der Nachkriegsmode vor allem um die Suche nach dem bundesdeutschen Idealkörper. Die erste Miss Germany des Jahres 1950, Susanne Erichsen, brachte da alle notwendigen Qualitäten mit. Ein damenhaftes Gesicht, das für die prüde Heimatfilmästhetik der Fotografin Hedda Walther ebenso geeignet war, wie für die regressive Sissi-Pose, und eine leicht exotische Aura, die auch einen natürlicher gehaltenen Gypsielook noch glaubhaft rüber bringen konnte. Aus heutiger Sicht transportierte Susanne Erichsen somit wohl auch etwas von jenem Deutschlandbild, nach dem sich das Ausland am Ende des Zweiten Weltkriegs sehnte: guter Durchschnitt eben.So wirken besonders die in New York entstandenen späten Erichsen-Aufnahmen wie eine subtile Botschaft: Völker der Welt, schaut auf diese Frauen. Und die Völker schauten nicht nur, sie rissen sich drum. Starfotografen wie Erwin Blumenfeld und F.C. Gundlach holten sie für Vogue oder Jardin des Modes vors Objektiv, Modemacher von Chanel bis Givenchy zogen sie an und wieder aus und amerikanische Zeitungen schrieben Lobeshymnen, wie sie heute nur noch Der Spiegel hinkriegt: Susanne Erichsen, so das Time Magazine, sei das deutsche "Frollein Wonder". Für die Daheimgebliebenen konnte dies nicht ohne Wirkung bleiben. Zeigten die ersten Modefotografien der schicken Berlinerin lediglich, wie man sich in der neuen Republik einzurichten hätte, so weckten die letzten Aufnahmen schon einen ganz anderen Traum: Amerika. Die Heinz-Erhard-Fernsehwelt mit eigenem Käfer in der Eigenheimgarage war plötzlich zu klein geworden. Susanne Erichsen posierte für das Magazin Film und Frau vor der Skyline Manhattans, und plötzlich wusste jedes Mädchen, das es einmal Model werden wollte.Dass das nicht immer so war, das beweist die Ausstellung auch. Elfi Wildfeuer, das charmante Hutmodel mit der netten Pagenfrisur gewährt mit ihren Aufnahmen auch kurze Einblicke in die Mannequinzeit während des Zweiten Weltkriegs. Nun ist das sicherlich nicht Blut-und-Boden-Mode, was Wildfeuer für das Wiener Haus der Mode vor die Kamera bringt, doch auffällig ist eine Clownerie, die hier mit allem Fremden betrieben wird. Von Fes bis Schleier wird alles verballhornt, was nicht wirklich zur deutschen Kopfbedeckung gehört. Nach Ende des Krieges jedoch ist damit Schluss. Mit der Mode entdeckt man in der Bundesrepublik auch langsam wieder das internationale Aussehen. Das sieht auf den Aufnahmen zwar alles noch recht verspannt aus, doch ein Blick nach Frankreich konnte damals Wunder wirken.Dort nämlich posierte das Model Denise Sarrault. Weniger Dame, als vielmehr Diva und Vamp, sagte Helmut Newton einmal über diese, sie sei der Archetyp der französischen Frau. Auf Aufnahmen von James Moore, Jeanloup Sieff oder eben Newton, versteht sie es erstmals, Mode nicht nur zu tragen, sondern einen eigenen Mythos zu inszenieren. Lasziv wird da der Zigarettenrauch ins Objektiv geblasen und sehnsuchtsvoll in die ersten newtonschen Spiegelinszenierungen geschaut. Selbst hausbackene Modejournale wie Constanze knisterten da auf einmal vor Erotik. Aber so war das eben damals - während die deutschen Modebotschafterinnen fast bis zum Krampf posierten, kam aus Paris die alte Botschaft: La vie, l´amour.Botschafterinnen der Mode - Star-Mannequins und Fotomodelle der fünfziger Jahre. Kunstbibliothek Berlin. Matthäikirchplatz 8. Noch bis zum 29. Juli
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