Die Werbung hat in unserer Welt eine Allgegenwart angenommen, die gerade deshalb kaum mehr als solche bemerkt wird. Man muss schon in ein Land mit völlig anderer Sprache oder Schrift kommen, um sich für einen Moment des bewussten Nichtverstehens wieder darüber klar zu werden, wie viel man täglich liest, sieht, hört, wie viel man wahrnimmt ohne richtig wahrzunehmen, automatisch, fast unbewusst, weil zum einen das Lesen eine jener seltenen Fähigkeiten ist, die man, einmal erlernt, nicht mehr lassen kann. Und zum anderen weil die menschliche Intelligenz so beschaffen ist, dass sie der Reizüberflutung durch gnadenloses Aussortieren Herr zu werden versucht. Nur was neu ist, hat die Chance, ins Bewusstsein vorzudringen.
Vertrautes wieder fremd erscheinen zu lass
en zu lassen, dieses Verfahren haben die russischen Formalisten zu Beginn des letzten Jahrhunderts als eines der wesentlichen Methoden der Kunst offengelegt, in der es immer wieder darum geht, die Automatisierung der Wahrnehmung zu durchbrechen, den Blick, das Bewusstsein wieder zu öffnen. Heute würde man sagen, Aufmerksamkeit zu erregen oder eben auch: zu provozieren.Die Werbung steht der Kunst in dieser Hinsicht in nichts mehr nach, ja, hat sie im Grunde darin überholt, indem die Verfahren der Deautomatisierung von Wahrnehmung von jeglichen inhaltlichen Verbindungen gelöst wurden und nun als reine, pure Werbestrategien ganz im Mittelpunkt stehen. Wo früher noch Eigenlob, die Anpreisung der Vorzüge eines Produkts vorherrschte, dominiert heute die Provokation um jeden Preis, auch um den, dass oft nur noch schwer auszumachen ist, für welches Produkt eigentlich geworben wird.»Wenn man mit einem Plakat etwas bewirken will, muss man heute auch provozieren«, sprach der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit anlässlich der Vorstellung der neuen Plakatkampagne der Stiftungsinitiative für das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin und hat damit werbestrategisch vollkommen Recht. Dieses vorrangige Ziel der Initiatoren, die Provokation, wurde denn auch sehr schnell erreicht. Dem wahren PR-Profi nämlich ist der Inhalt einer Debatte in den Zeitungen, sind Zustimmung oder Ablehnung gleichgültig, allein die Masse an Aufmerksamkeit zählt. Frei nach dem Motto: Es gibt keine schlechte Werbung, es gibt höchstens langweilige, über die niemand spricht.Aus dieser Perspektive gesehen, ist es auch nichts weiter als eine Spitzfindigkeit, eine für den Erfolg der Kampagne unerhebliche Differenzierung, wenn Michel Friedman in seiner Kritik am Plakat und dem Folgestreit bemerkt, dass mehr über das Wie als über das Was diskutiert würde. In der Tat wird weniger über die offene, intendierte Ebene der Provokation gesprochen, darüber, dass hier mit einer Aussage geworben wird, die, im entsprechenden Kontext geäußert, Strafverfolgung nach sich ziehen kann. Auf dem Plakat sorgen Anführungszeichen und Kleinschreibung dafür, dass der verfemte Satz als Zitat ausgezeichnet erscheint. Auf diese Weise vorbereitet, dringt der aufmerksame Leser zum Kleingedruckten vor, das dann klar macht, dass es bei der ganzen Provokation nicht um den Plakatleser, also um ihn selbst, sondern um die »anderen« geht, um die »vielen, die das immer noch behaupten«, und von denen es in 20 Jahren noch mehr geben könnte.Mehr als diese mit pädagogischem Hintersinn inszenierte, von der Stiftungsinitiative und der jüdischen Gemeinde abgesegnete Provokation scheint die Gemüter die Tatsache zu erregen, dass für das Mahnmal-Projekt Werbemethoden in Dienst genommen werden, die man bislang nur aus der Strickwarenbranche kannte. Von Benetton und dem Werbestrategen Oliviero Toscani war in diesem Zusammenhang viel die Rede. Toscani hatte einst die Idee, mit spektakulärer Nachrichtenphotografie für die Benetton-Produkt-Palette zu werben. Empörung lösten damals weniger die Bilder selbst aus, als vielmehr der Zusammenhang: dass Benetton mit dieser aufrüttelnden Photografie ja »nur« Pullover verkaufen wollte, war der Vorwurf. Und obwohl das Pullover-Verkaufen im Kapitalismus keine illegale Handlung darstellt, und auch das Zeigen des Elends dieser Welt auf großen Photos nicht, galt die Verbindung als wirklich frech. Toscani war damit der Vorreiter einer neuen Werbephilosophie, die in der Tat der Kunst näher steht als der Produktanzeige: ran ans Leben, an die Aktualität, an den Puls der Zeit (selbst ein Werbespruch), egal wie hässlich oder abstoßend es da ist. Die Werbung wurde wichtiger als das Produkt, das heutzutage fast nur noch als das Anhängsel eines Image, einer »Corporate Identity« erscheint. Der Mut zur Hässlichkeit, zum Abstößigen, der mit Toscanis Photos in die schöne Welt der Werbung kam, entpuppt sich so nur als weiteres Verfremdungsverfahren, das der Automatisierung der Wahrnehmung entgegen wirken will und eben nichts anderes als Aufmerksamkeit erregen soll.Wie das mit den schrecklichen Bildern eigentlich gemeint sei, konnte man im Fall der Benetton-Werbung nicht wirklich beantworte. Beim Plakat der Stiftungsinitiative, mit dem zu Spenden für das Mahnmal für die ermordeten Juden angeregt werden soll, ist das ganz anders. Was gemeint ist, steht unmissverständlich im Kleingedruckten. Die Aufmerksamkeit für das Kleingedruckte soll allerdings durch ein offensichtliches Missverständnis erhöht werden. Zwar reden die Initiatoren der Kampagne davon, es gäbe einen Kontrast zwischen Schrift und Bild, der zitierten Aussage »den holocaust hat es nie gegeben« und der idyllischen Berglandschaft, in Wirklichkeit aber verstärkt das eine das andere in zugegebenermaßen unheimlicher Weise. Die Alpenlandschaft stellt eine Idylle dar, und Idyllen liegen in einer anderen Welt als der Holocaust.Werbetechnisch gesprochen steht die Bergwelt für Unschuld, für Natürlichkeit und das Einfache, beworben werden mit ihr im allgemeinen so grundlegende Dinge wie Käse, Milch und Schokolade. Mentalitätsgeschichtlich steht die Begeisterung für solche Bergpanoramen für (verlogene) Idyllensehnsucht, für die Idealisierung archaischer Wirtschafts- und Gesellschaftsformen und genau den kleinbürgerlichen Größenwahn, der so empfänglich für die Ideologie des Faschismus war. Nicht umsonst lautete denn auch die erste Assoziation zur Bergidylle des Plakats: Obersalzberg.Nimmt man die erregte Aufmerksamkeit als Gradmesser, ist die Provokation gelungen. Die Initiatoren haben von den Methoden der Werbung gelernt, ein wesentliches Mediengesetz erfolgreich angewandt. Ein anderes wurde dabei leider übersehen: die Verführung zur Nachahmung, die jeder großen Medienaktion innewohnt. Gute wie schlechte Taten finden medial verbreitet gleichermaßen Nachahmer. Was einmal in den Medien berichtet wird, wird vielfach wiederholt und verstärkt, dabei gibt es keine Anführungsstriche und keine Kleinschreibung mehr, sondern nur noch den wiederholten Satz, oft ohne den nötigen Kontext. Nachdem die erste Aufregung vorbei ist, wird auch ein so provokatives Plakat wie das der Stiftungsinitiative immer beiläufiger beachtet, immer »automatischer« gelesen werden. Mit halber Aufmerksamkeit wahrgenommen aber verkehrt es seinen Sinn ins ganze Gegenteil.
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