Aura des Marktes

Zäsur Die G20 wollen nicht nur die Rohstoffe Afrikas, sondern auch billige Arbeitskräfte – von ausgewählten Staaten
Ausgabe 27/2017
Afrika for sale: Statt zu helfen, wollen die reichen Industriestaaten Geschäfte machen
Afrika for sale: Statt zu helfen, wollen die reichen Industriestaaten Geschäfte machen

Collage: der Freitag; Material: iStock, Getty Images

„Underpolluted“ – für den Amerikaner Larry Summers war es nur eine interne Notiz, doch wurde seine Sentenz zum Sinnbild des Zynismus, mit dem der Westen zuweilen auf Afrika schaut. Giftmüll ließe sich in Afrika am besten lagern, rechnete der damalige Chefökonom der Weltbank 1992 vor, da der Kontinent doch noch „unterverschmutzt“ sei, eben „underpolluted“.

Ein Vierteljahrhundert später scheint es weiter so zu sein, dass jeder, der Afrika allein wirtschaftlicher Logik unterwirft, unausweichlich in die gleiche Richtung denkt. So wie Stefan Liebing. „Statt wie bisher nur die schwächsten Länder zu unterstützen, sollte sich Entwicklungszusammenarbeit auf Länder konzentrieren, die Modernisierungsmotoren für den Kontinent sein können“, schrieb der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Er verlangte damit nichts weniger als das Ende bisheriger Entwicklungspolitik. Besser als in der Hilfe für die ärmsten Staaten sei das Geld in Industrieparks und Sonderwirtschaftszonen aufgehoben. Dort, wo mittelständische Unternehmen mit Aussicht auf Gewinne in Infrastruktur und produzierendes Gewerbe investieren könnten, so dass Arbeitsplätze vor Ort entstehen. „So gesehen“, meint Liebing, „kann der deutsche Mittelstand einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise leisten.“

Liebing verweist darauf, dass Flüchtlinge, die teure Schleppertarife bezahlen, oft aus den afrikanischen Staaten kämen, in denen die Wachstumsdaten nach oben weisen, und der deutsche Mittelstand dort die Vorteile günstiger Arbeitskosten nutzen sollte.

Summers und Liebing antizipieren damit den politischen Diskurs ihrer Zeit: Niemand wollte Anfang der 1990er noch toxischen Müll vor der eigenen Haustür lagern. Und niemand ist heute noch bereit, Migranten aus Afrika aufzunehmen, wenn sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gelten. Doch um Menschen von einem Ausweichen nach Europa abzuhalten, bedarf es einer cleveren Geschäftsidee, die man nun gefunden zu haben glaubt. Das Zauberwort heißt „Wirtschaftsdiplomatie“.

Sieben Pilotländer

Stefan Liebing forderte sie schon länger, nun geht es Schlag auf Schlag: Im Mai regten EU-Parlament und Europäischer Rat „neue Impulse für die Partnerschaft Afrika-EU“ und einen „strukturierten Dialog mit dem europäischen und dem afrikanischen Privatsektor“ an. Einen Monat später gab es in Berlin die erste große Konferenz zur deutschen G20-Initiative. Beim „Compact with Africa“ trafen Regierungschefs, Manager und internationale Organisationen aufeinander. Man wollte, so Finanzminister Schäuble, „gemeinsam daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern“. Nun wird auf dem G20-Gipfel in Hamburg ein Pakt der großen Industrienationen mit sieben afrikanischen Pilotländern – Marokko, Tunesien, Senegal, die Elfenbeinküste, Ruanda, Ghana und Äthiopien – besiegelt.

„Dieser Vorstoß der deutschen G20-Präsidentschaft kann die Kooperation zwischen Europa und Afrika tatsächlich erneuern“, glaubt Abdou Salam Fall, Leiter eines Thinktanks an der Universität Dakar. „Aber nur, wenn die Investitionen nicht wie bisher in die Rohstoffindustrie fließen.“ Dann werde der Kontinent nicht vom „Fluch der Rohstoffe“ erlöst. Dass der neue Ansatz der G20 nicht nur globalen Rohstoffhunger stillen soll, zeigt sich schon daran, dass keiner der sieben Staaten exponierter Ressourcenlieferant ist. Birgt das Risiken für die Abnehmer?

G20-STaaten in Afrika

China
Rohstoffsicherheit

Der sino-afrikanischen Kooperation ist der karitative Paternalismus westlicher Afrika-Politik fremd. China will Versorgungssicherheit bei Energieträgern, deckt derzeit 35 Prozent seines Erdölbedarf in Angola, Nigeria und im Sudan, und ist auf Märkte für den eigenen Exportsektor aus.

Indien
Nachholbedarf

Im Ölgeschäft rivalisieren die Inder mit China, engagieren sich sonst aber mehr in Servicebranchen wie Gesundheit, Filmwirtschaft und Telekommunikation (Mobilfunkmulti Bharti Airtel). Es gibt Nachholbedarf im Handel. Profitiert wird von der indischen Diaspora in Ost- und Südafrika.

Deutschland
Stabilitätsgebot

Deutsche Afrika-Politik soll für strukturelle Stabilität sorgen, damit durch failed states nicht lokale Kriege, Staatszerfall und Flüchtlingsströme zunehmen. Daher die Militärpräsenz in Mali. Wirtschaftlich setzt man innerhalb der EU auf Freihandelsverträge mit ausgewählten Staaten.

Frankreich
Traditionspflege

Einst von einer Afrika-Zelle im Elyseé koordiniert, konzentriert sich französische Afrika-Politik besonders auf einstige Kolonien, ist um den Erhalt eines Geflechts aus Militärbasen und -verträgen in Westafrika bemüht und um Rohstoffgarantien, etwa durch Zugriff auf Uranvorrräte in Mali und Niger.

USA
Geringe Priorität

Unter Trump ist der afrikanische Kontinent auf der Liste der US-Prioritäten noch weiter nach hinten gerutscht. Er will Entwicklungshilfe kürzen und ein Gesetz abschaffen, das den Handel mit Blutmineralien unterbindet. Zudem kämpfen US-Soldaten in Somalia gegen die Al-Shabaab-Miliz.

Um sich günstig Rohstoffe zu verschaffen, können die Industriestaaten weiter verfahren wie bisher: den Afrikanern Handelsverträge abringen, den eigenen Konzernen freie Hand lassen, gleichzeitig die Korruption anprangern, die diese Verträge erst ermöglicht, und verschweigen, dass die Schmiergelder zumeist aus den Kassen dieser Konzerne stammen. Und wenn doch ein Staat ausscheren sollte, werden die Menschenrechtslage sowie Demokratiedefizite beanstandet, flankiert von der Drohung, Entwicklungshilfe zu kürzen, fasst Abdou Salam Fall die übliche Taktik zusammen.

Enormes Humankapital

Afrikanische Staatsführer scheuen sich nicht, die Europäer stets auf das größte Potenzial ihres Kontinents hinzuweisen: die schnell wachsende Bevölkerung. Ob das eine Drohung sein oder neue Chancen für Investitionen aufzeigen soll? Einer der G20-Staaten macht es schon vor, was mit dem Compact with Africa beabsichtigt ist. Wirtschaftsdiplomatie gilt als tragende Säule der chinesischen Afrikapolitik mit den Vektoren: investieren in die Infrastruktur, arbeitsintensives Gewerbe nach Afrika verlagern, Exportprodukte besonders im Lebensmittelsektor herstellen.

In den vergangenen drei Jahren, die der britische Politikberater Mark Weston in Tansania verbracht hat, konnte der Autor etlicher Afrika-Studien erleben, wie schnell Straßen, Häfen und Bahntrassen unter chinesischer Bauleitung entstanden. Sie bilden das infrastrukturelle Gerüst, um Billiglohnproduktion von Asien nach Afrika zu verlagern. „Was immer China beabsichtigt“, so Weston, „wenn es Afrika als Arbeitskräftereservoir nutzt, ist das schon ein Gewinn für den Kontinent – der erste Schritt auf dem Weg, den zuvor asiatische Tigerstaaten erfolgreich beschritten haben.“

Im nun erwachten Bemühen Europas um Afrika sieht Weston eine Antwort auf das Engagement Chinas. Nicht unbedingt die Flüchtlingsfrage bewege westliche Unternehmer, ihre Regierungen zu gezielter Wirtschaftsdiplomatie aufzurufen. Vielmehr sei die Sorge im Spiel, angesichts eines enormen Humankapitals und der Erschließung neuer Märkte zu spät zu kommen. Ob Afrika davon letztlich profitieren wird, hängt vor allem davon ab, ob die EU ihre Zoll- und Subventionspolitik verändert. Dafür aber sieht Weston angesichts „der politischen Macht der Agrarlobby und anderer Wirtschaftszweige keinerlei Anzeichen“.

Dass Chinas Präsenz die Hegemonie einstiger Kolonialmächte in Afrika aufbricht, davon ist Abdou Salam Fall überzeugt. Zugleich gebe es negative Effekte, weil chinesische Billigware die einheimische Kleinindustrie behindere. Sollte deshalb der afrikanische Markt abgeschottet werden? Der senegalesische Forscher plädiert dafür, dem innerafrikanischen Handel Priorität einzuräumen. Dessen Anteil am Außenhandel der afrikanischen Staaten betrage nur 17 Prozent. Man brauche regionale Märkte und eine kontinentale Solidargemeinschaft. „Nur dann können wir der Globalisierung, die uns wenig gebracht hat, etwas entgegensetzen“, sagt er.

Das klingt eher wie eine ferne Zukunft. Ferner noch als die „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union, wonach in knapp 50 Jahren auf einem Kontinent, den heute Kriege, Flucht und Vertreibung beherrschen, ein gemeinsamer Markt existiert, den Staaten tragen, die sich durch Good Governance, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszeichnen.

Wofür der G20-Gipfel auch immer Wege ebnet – die asymmetrischen Handelsabkommen, besonders mit der EU, haben weiter Bestand. Dennoch: Wer Afrikanern raten würde, besser gar nicht erst zu versuchen, an der Weltökonomie und deren Wohlstandsfrüchten teilhaben zu wollen, würde ebenso unter Zynismusverdacht stehen wie die Apologeten der Wirtschaftsdiplomatie. Für den senegalesischen Philosophen Cheikh Moctar Ba gleicht der Kontinent einem Spiegel. Jeder, der hineinschaue, erkenne stets nur sich selbst. Dies zu ändern, darin sieht Moctar Ba, der in Dakar Philosophie lehrt, „die zivilisatorische Mission Afrikas in der globalisierten Welt“.

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