Wir brauchen eine soziale Regierung in Deutschland. Es ist an der Zeit, vorhandene gesellschaftliche Mehrheitspositionen zu bündeln und Druck auf die Mitte-Links-Parteien auszuüben. Angesichts der strukturellen Schwäche der Parteien links der Union ist die Sammlungsbewegung Aufstehen eine Chance auf eine Mehrheit für soziale Politik. Für die Partei Die Linke kann sich eine Machtperspektive eröffnen.
Der Rechtsruck ist nur zu bekämpfen, wenn sich die Politik in diesem Land ändert. Dafür braucht es eine Mehrheit links von der Union. Diese Mehrheit gab es 2005 und 2013. Sie blieb ungenutzt – ein schwerwiegendes politisches Versagen der Mitte-Links-Parteien. Die Hauptverantwortung dafür trägt die Führung der Sozialdemokratie. Wenn Mitte-Links die Mehrheit für einen Regierungs- und Politikwechsel genutzt hätte, gäbe es die Rechtsentwicklung hierzulande in dieser Form nicht. Rot-Rot-Grün steht heute für viele eben auch für diese historische Unfähigkeit. Vielfach wurden Hoffnungen enttäuscht, zuletzt nach dem Hype um Martin Schulz. Rot-Rot-Grün fehlt es (mit den Ausnahmen in Thüringen und Berlin) bundesweit an Rückhalt, der auch nicht entstehen kann, wenn diese Option – inhaltlich untersetzt – nicht bei den Akteuren im Schaufenster ihres politischen Angebots steht. Trotz Erneuerungsrhetorik ist eine veränderte Haltung in dieser Frage nicht in Sicht.
Zahlreiche Akteure aus dem rot-rot-grünen Spektrum haben in den letzten Tagen ihre Kritik an der Sammlungsbewegung mit dem Hinweis begründet, ihre jeweiligen Parteien seien bereits erfolgreiche Sammlungsprojekte. Das ist offenkundig nicht der Fall. Die Parteien links der Union gewinnen zwar geringfügig Mitglieder hinzu. Aber Zuwächse in der Mitgliedschaft ersetzen nicht die Verluste in der Wählerschaft. Acht Millionen Menschen haben Mitte-Links seit 1998 den Rücken zugekehrt. Die SPD hat dabei verloren wie keine andere Partei. Bei den Grünen geht es seit Jahren trotz des aktuellen Zugewinns mal bergauf, mal bergab. Und zur Wahrheit der Linken gehört die Stagnation in der politischen Zustimmung. Eine Machtperspektive ist außer Reichweite.
Höhere Steuern für Reiche
Dabei wäre es so bitternötig, einer desolaten Großen Koalition, die selbst kaum noch eine Mehrheit hat, ein linkes Reformprojekt entgegenzustellen, das in zentralen Punkten Mehrheitspositionen in diesem Land abbildet. Die Bevölkerung ist mehrheitlich für höhere Steuern für Reiche, für höhere Löhne und sichere Renten, einen starken Sozialstaat, bessere Schulen, bezahlbare Wohnungen, bessere Pflege und eine friedliche Außenpolitik. Es gibt jedoch nur eine Partei, die diese Forderungen vertritt: Die Linke. Aber sie allein hat keine Machtoption. Das bremst den Zuwachs, weil die Attraktivität und Mobilisierungsfähigkeit einer Partei, die die Politik nicht substanziell ändern kann, begrenzt ist.
Und selbst wenn Die Linke auf 12 oder 15 Prozent käme, änderte sich an dieser grundlegenden politischen Situation nichts. Eine Sammlungsbewegung, die diejenigen zusammenbringt, die die Die Linke niemals wählen würden, jedoch deren Kernanliegen teilen, kann die Durchsetzungsperspektive, die Wirkmächtigkeit, letztlich die Attraktivität linker Politik insgesamt erhöhen. Das Wählerpotenzial der Linken – all diejenigen, die sich vorstellen können, Die Linke zu wählen – liegt bei etwa 18 Prozent aller Wahlberechtigten. Gleichzeitig sind jedoch Linken-Kernforderungen Mehrheitspositionen. Diese Kluft ist ohne Weiteres nicht überbrückbar. Und das ist ein gravierendes Problem: Denn diese Kluft führte in eine Sackgasse, in der das Land aufgrund der politischen Machtlosigkeit der Linken immer weiter nach rechts rückt. Die Sammlungsbewegung ist der Versuch, aus dieser Sackgasse herauszukommen. Und dieser Versuch ist es wert. Denn falls dies nicht gelingt, droht 2021 auf Bundesebene eine Rechtsregierung wie in Österreich.
Sanders, Corbyn und Mélenchon
Es ist bedauerlich, wenn nun bestehende soziale Bewegungen gegen Aufstehen ins Feld geführt werden. Diese Bewegungen sind wichtig, aber sie stellen keine Option auf eine andere Regierung dar, sie streben diese auch gar nicht an. Bei allen Unterschieden: Sanders, Corbyn und Mélenchon haben gezeigt, dass eine Machtoption – die Aussicht auf eine andere Regierungspolitik – für ein linkes Programm notwendig ist, um gesellschaftlich breit zu mobilisieren. Eine Sammlungsbewegung, die nicht auf ein politisches Einzelanliegen gerichtet ist, sondern für eine neue, soziale Regierung kämpft, kann auch hierzulande Erfolg haben. Der Einwand, so etwas könne nur "von unten" ausgehen, überzeugt nicht. Auch Sanders, Corbyn und Mélenchon haben schließlich ein politisches Angebot unterbreitet (wenn man so will, "von oben"), das dann auf Zustimmung stieß und Hoffnung machte, weshalb sich viele engagierten. Ohne die drei Personen und ohne die jeweilige Machtperspektive in den politischen Systemen wären diese Erfolge nicht denkbar gewesen. Es ist ein Wechselverhältnis, in dem beide Seiten – von oben und von unten – zusammenkommen müssen. Aber ohne ein politisches Angebot entsteht nichts, was an politische Mehrheiten heranreicht.
Im Übrigen: Müsste nicht Rot-Rot-Grün auch ein Projekt "von unten" sein? Davon entfernen sich alle drei Parteien leider immer weiter, denn sie verlieren an Zustimmung insbesondere bei den Menschen, denen es nicht gut geht: bei den Verlierern neoliberaler Politik der letzten 20 Jahre und in der abstiegsbedrohten, verunsicherten Mitte. Deshalb sollten auch nicht diejenigen, die bereits für Rot-Rot-Grün streiten oder darin aktiv sind, voreilig den Daumen über dieses Projekt senken, sondern denen eine Chance zur Meinungsbildung geben, die sich bislang nicht von diesen Parteien vertreten fühlen. Denn es ist eine kreuzgefährliche Entwicklung, dass gerade die AfD in diese Vertretungslücke hineinbricht. Für linke Reformpolitik ist es unerlässlich, dass die politische Linke beim unteren Drittel der Gesellschaft wieder hegemonial wird: bei Niedriglöhnern, Armutsrentnern, Alleinerziehenden und Arbeitslosen. Das schafft die Partei Die Linke offenkundig nicht allein. Gerade in Zeiten eines gefährlichen Rechtsrucks muss es darum gehen, denjenigen Hoffnung auf eine andere Mehrheit und eine soziale Regierung zu machen, die sich politisch abwenden, nicht zuletzt weil sie sozial abgeschrieben wurden. Insofern kann Aufstehen auch einen Dienst an der Demokratie leisten.
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