Der Krieg gegen den Irak ist nicht erst völkerrechtswidrig, seit »Schock und Horror« im Desertstorm der irakischen Wüste rumballern. Von Anfang an bestand die amerikanisch/britische Absicht darin, notfalls an den Vereinten Nationen vorbei eine UN-Resolution im amerikanischen Interesse zu vollstrecken. In dem Moment, da diese Politik unzweideutig öffentlich wurde, hätte es für die sogenannte Völkergemeinschaft keine dringendere Aufgabe geben dürfen, als diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu verhindern. Nun klingt »völkerrechtswidrig« in Zeiten, da wir uns an das Marodieren von Killerschwadronen gewöhnt zu haben scheinen, ein wenig nach einem diplomatischen Kavaliersdelikt, nach der Missachtung einer internationalen
len Parkverbotsvorschrift. In Wahrheit ist hier aber ein Angriffskrieg gemeint, der nach den Vorstellungen des internationalen Rechts zu den schwersten Vergehen schlechthin gehört: Schließlich geht es um vorsätzlichen Massenmord - der auf eine bislang nicht bekannte Weise gegen das Votum der politischen Weltöffentlichkeit durchgeführt wird. Allerdings ist klar, dass solche Wahrheit zur Zeit von niemandem politisch geschultert werden kann. So versteckt die Politik ihre Lebenslügen hinter diplomatischen Sprachregelungen, welche sich in der medialen Zurichtung der Welt als grotesker Eiertanz fortsetzen.Scheinbar sind unsere Journalisten schlagartig mit »Ausbruch« des Krieges hyperkritisch geworden. Verzweifelt ahnen unsere atemlosen Korrespondenten, dass sie wieder mal in die Falle gegangen sind: Die Bilder vom Aufmarsch der Vernichtungshandwerker und Schemen von ein paar Leichen verstecken den Krieg mehr als dass sie ihn zeigen. Die perfide Illusion, wir seien dabei auf unseren Sofas, ist zur quälenden Paradoxie für viele Journalisten und Zuschauer geworden. Die rasenden Reporter hüllen sich in Wolken aus Konjunktiven, und man scheint sich der journalistischen Primärtugend zu entsinnen, dass Informationen gefälligst zu überprüfen sind. Im Gefängnis der Echtzeit dämmert die Sehnsucht nach einem Hauch von Echtheit.Dabei liegen Monate hinter uns, in denen Medien sich zur bunten Bühne eines großartigen demokratischen Abstimmungsspiels gemacht haben: Sollen die Amerikaner oder nicht? Ich kann mich nicht erinnern, dass im Eifer des Gefechts je vernehmbar danach gefragt worden ist, dass allein die Fragestellung sich schlicht und einfach verbietet - und zwar aus rein rechtlichen Gründen.Doch Medienarbeiter behaupten gerne, sie könnten sich schließlich nicht die Welt auszusuchen, über die sie berichten. Allerdings tun sie genau dies pausenlos und ohne Bedenken. Erinnern wir uns beispielsweise daran, dass die Bundesrepublik Deutschland in einen Krieg in Afghanistan verwickelt ist, von dem zur Zeit allein das Rauschen einer totalen Bild- und Tonstörung kündet. Zuvor hatte man uns wenigstens ein paar getürkte Meldungen über gerettete Frauen und die neue afghanische Demokratie aufgetischt. Sind die Medien also gekauft? Keineswegs. Sie spielen bloß ihr Lieblingsspiel: Boten des Realen. Das ist zwar vormoderner Schwachsinn und doch die Lebenslüge einer ganzen Zunft. Da man das Reale nicht einfach spiegeln kann, schließt sich die Berichterstatterzunft ganz pragmatisch bei ihrer Weltbeobachtung an die Vorgaben der gerade waltenden parlamentarischen Vernunft. Die politische Realität erschöpft sich für Journalisten in der Wahrnehmung von Politikern, ihrer Themenwahl und ihrem Wertespektrum. Doch die mediale Wahrnehmung der Politik vertraut dabei keineswegs dem eigenen Blick, sondern orientiert sich an anderen Medien. Journalisten beobachten niemals die Realität, sondern immer nur die Medienrealität. Und so verdankt sich unsere tägliche Medienrealität einer routinierten inneren Gleichschaltung. Medien werden der »enormen« Realität Herr, indem sie auf extrem triviale Wahrnehmungstechniken zurückgreifen. Leider machen sie sich dabei immer mal wieder die Hände schmutzig, wenn sie nämlich die real existierende Realität irrealisieren.Nehmen wir das aktuelle Beispiel: Als die USA erkennen ließen, dass sie an der UNO vorbei das Regime Saddam Husseins beseitigen würden, um die Herrschaft im Lande zu übernehmen, erhob sich überraschenderweise aus der Tiefe des parlamentarischen Raumes in Deutschland gar eine Gegenstimme: Kanzler Schröder lehnte jede Beteiligung an diesem Unternehmen ab. Allerdings hielt sich der Kanzler bedeckt. Ohne die Politik der Vereinigten Staaten zu kritisieren, ließ er stets bloß erkennen: man sehe die Sache anders. Als ginge es sozusagen um zwei unterschiedliche Expertenmeinungen im Freundeskreis. Und natürlich weigerte sich Schröder beim Namen zu nennen, was von Anfang an klar war: Es würde ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg aus dem Geist neuer imperialer Machtpolitik. Begeistert über einen politischen Disput mit blutigem Ernstgehalt gingen die Medien in die Falle: sie inszenierten köstliche Pro- und Contra- Schlachten, gaben sich als Sachwalter einer um Meinung ringenden Öffentlichkeit und übersahen stets das eine: diese Debatte war von Anfang an de jure illegal und de facto total absurd und dafür gab es sehr genaue Gründe. Deshalb mussten die Medienmenschen im Laufe der Zeit immer mehr daran arbeiten, dieses irrsinnige Abstimmungsspielchen gegen außerparlamentarische, das heißt intelligente Einsichten abzuschotten.Zum Beispiel wurde in den Debatten der letzten Monate systematisch die völkerrechtliche Seite ausgeklammert. Es wurde zwar über Schröders Mangel an Diplomatie schwadroniert, aber wieso hat dann niemand gesehen, dass Bush II. von Anfang an das diplomatische Parkett verlassen hatte. Internationale Vereinbarungen interessierten ihn nur, falls sie seine Interessen begünstigten. Niemand wollte sehen, dass das Walten der UN-Waffeninspekteure nichts mit Bush erklärtem Ziel zu tun haben konnte: Nämlich das Regime Saddam Husseins zu beseitigen. Und wie soll sich ein Regime auch entwaffnen lassen, dessen Beseitigung längst in Auftrag gegeben wurde. Spätestens nämlich seit dem Irak Liberation Bill vom Herbst 1998 - ein offiziell vom Kongress verabschiedetes Gesetz. Man kann Bush Co eines nicht vorwerfen: Niemals haben sie ihre Absichten im Unklaren gelassen. Aber genau über diese Absichten wollte hier niemand diskutieren. Stattdessen wurden hier Diskussionen geführt und von den Medien inszeniert, die diese wahren und keineswegs geheimen Absichten ziemlich geheimnisvoll machten: als ginge es um eine Mischung aus humanitärer Mission, Antiterrorkampf, Weltpolizei und allenfalls ein wenig Sicherheit in Sachen Ölnachschub. Da hätte genügt, einmal über den humanitären Leumund der Vereinigten Staaten zu informieren. Bei den letzten 67 Kriegen, an denen die USA beteiligt waren, sind exakt 67 Diktaturen oder korrupte Regime herausgekommen - von den vielen Millionen Toten ganz zu schweigen. Statt dessen musste sich jeder Kritiker der amerikanischen Strategie erst einmal gegen den Verdacht des Antiamerikanismus zur Wehr setzen. Ad nauseam wurde wiederholt, die aktuelle irakische Krise verdanke sich dem Umstand, dass Saddam Hussein 1998 die UN-Waffeninspekteure aus dem Land geworfen hätte. Doch das Gegenteil ist wahr, und die Faktenlage ist keineswegs strittig. Immerhin durfte man ein paar ausgezeichneten Dokumentationen der Dritten Fernsehprogramme und verstreuten Zeitungsartikeln entnehmen, wer Hussein Konsorten zu den Potentaten gemacht hat, die sie dann geworden sind. Nebenbei: davon gibt es noch etwa hundert auf Erden - und die allermeisten haben wir unter Vertrag. Ich kann mich auch nicht entsinnen, dass bei Christiansen Co so integre und sachkundige Leute wie Hans von Sponeck je aufgetreten wären. Die hätten nämlich sehr gut erklären können, worum sich dieser gewollte Krieg in Wahrheit dreht und wie er seit langem eingefädelt wurde. Stattdessen kamen in den diversen TV-Parlamenten pensionierte Feldmarschälle zum Einsatz und faselten von der abstrusesten aller Propagandalügen: der militärischen Befreiung des Irak.Gut, man mag einräumen, dass in den Massenmedien - und von denen ist hier im wesentlichen die Rede - auch einiges Kritische zu finden war. Doch waren diese vergleichsweise marginalen Stimmen je auf der Höhe des Einsatzes? Nämlich der absehbaren Destabilisierung der an sich schon wenig ruhmreichen Weltordnung durch die neue imperiale Politik der Vereinigten Staaten? Die Contra-Argumente streuten ein wenig Verdacht, sie hielten sich weitgehend diplomatisch bedeckt, sie übersahen systematisch die erklärten und überaus klaren amerikanischen Absichten. Und so plausibilisierten sie stets eine Debatte, die vor allem den Kern der Lage verhüllte.Kurz, man kann natürlich allen Ernstes darüber diskutieren, ob man Araber schlagen soll. Wer sich an einer solchen Debatte mit skeptischen Einwänden beteiligt, hat die entscheidende Schlacht allerdings bereits verloren. In diesem Sinne hatte die öffentliche Debatte in den letzten Monaten keinen anderen Sinn als die entscheidenden Fragen nicht zu stellen und uns über die längst verlorene Schlacht hinweg zu trösten. Und jetzt, da die heiße Schlacht im Irak begonnen hat, helfen uns die an grün blitzenden Bildern aufdringlich zweifelnden Journalisten auch nicht mehr.
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