Aus Scham wird selten Wut

Konsum Haben Sie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie fliegen? Dann halten Sie sich fest
Ausgabe 27/2019
Ab in die stille Ecke – und schämen!
Ab in die stille Ecke – und schämen!

Foto: Nicholas Kamm/AFP/Getty Images

Fühlen Sie sich schlecht, wenn Sie einen Flug buchen, einen Flieger besteigen, mit ihm in die Lüfte emporsteigen? Beschleicht Sie dabei das Gefühl, dass Sie ganz persönlich das Klima mit ruinieren? Verschaffen Sie sich moralische Erleichterung, indem Sie regionale Kirschen ohne Plastiktüte (#Plastikscham!) kaufen, da Sie hoffen, damit irgendwie die CO2-Emmissionen ihrer Fernreise zu kompensieren zu können? Veröffentlichen Sie gar Videos und Bilder mit dem immer populärer werdenden Hashtag #Flugscham auf Instagram?

Nun, dann wären Sie wohl auch ein Fall für #Instagramscham – das kommt bestimmt noch. #Netflixscham und #Googlescham könnten auch schon bald in den sozialen Medien „trenden“. Die Vorarbeit hat etwa die BBC geleistet, indem sie vor ein paar Monaten fragte: „Sind deine Netflixgewohnheiten schlecht für Umwelt?“ Antwort: „Der komplette IT-Sektor – von den Datenzentren der Internetserver bis zum Smartphone-Aufladen – verbraucht heute schon genauso viel Strom, wie es den gesamten Kraftstoffemissionen der Flugindustrie entspricht.“ Und über Google sagte der Energiexperte Noah Horowitz schon 2011, als der Konzern erstmals Zahlen zum Energieverbrauch seiner Serverfarmen vorgelegt hatte, in der New York Times: „Wenn wir auf den Google-Such-Knopf klicken, dann bleibt das nicht ohne Kosten.“ Will sagen: ohne ökologische Folgen. Es verbrauche konstant Strom, mit dem sich 200.000 Haushalte versorgen ließen, so Google damals. Kompensationswerkzeuge gibt es übrigens auch hier: Die alternative Suchmaschine Ecosia pflanzt mit ihren Einnahmeüberschüssen Bäume und hat 2018 angeboten, den Hambacher Forst zu kaufen, was der Kohle-Konzern RWE aber ablehnte.

Wenn wir auf Instagram posten, bei Netflix Serien gucken, per Google oder Ecosia etwas suchen, dann frisst das Strom und ist für das Klima ebenso relevant wie wenn wir in einen Flieger steigen. Noch aber gelten Flugzeuge und Kohle-Kraftwerke als Symbole der Erdzerstörung, Smartphones, Tablets und Clouds eher nicht. Während des Bitcoin-Hypes vor zwei Jahren rückte der immense Energieverbrauch für das „Mining“ der nur dem Anschein nach rein virtuellen Währung ganz kurz in den Fokus der medialen Öffentlichkeit, verschwand dann aber ebenso schnell wieder aus den Schlagzeilen.

Das nachhaltig zu ändern, haben sich die Herausgeberinnen eines dieser Tage erscheinenden Buches vorgenommen: In Was Bits & Bäume verbindet, entstanden aus einer gleichnamigen Konferenz 2018, stellen Anja Höfner und Vivian Frick vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung die Frage: „Welche Digitalisierung wollen wir?“

Warum solchen Fragestellungen noch viel zu oft die Berechtigung abgesprochen und stattdessen von einem automatisch nachhaltigen Effekt von Digitalisierung ausgegangen wird, hat meine Freitag-Kolumnenkollegin Svenja Beller einmal treffend beschrieben: das Internet gelte als „eine diffuse Wolke, welche die Laster der stofflichen Welt auf wundersame Weise überwunden hat“. Und um dieses Bild cleaner, körperloser Technologien aufrecht zu erhalten, gibt das Silicon Valley viel Geld für Marketing aus, das Worte wie „Cloud“ in Umlauf bringen soll: „Wolke“, leicht, sauber, weiß – kann ja nichts mit massenhaftem Stromverbrauch zu tun haben!

Ist nun, wie beim Fliegen, „Scham“ die richtige Reaktion darauf? Können wir keinen Film mehr anschauen, ohne ein schlechtes Gefühl zu bekommen? Ich denke nicht. Scham ist wie Schuld ein zutiefst unproduktives Gefühl, das einsam macht. Aus Scham wird selten Wut, noch seltener kollektiver Widerstand. Beides aber ist nötig, um den Profiteuren des heutigen Regimes in Sachen Klima – ob RWE oder Google, Ryanair oder Netflix – zu begegnen.

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