A–Z Welch ein Schock: Berlin sei total over, schrieb die "New York Times". Hipness an der Spree: leider passé. Genauso wie die Vegetarier und Minimöpse in unserem Lexikon
Abendzeitung Man muss den Boulevard nicht mögen. Viele hassen ihn sogar. Die Münchner verbinden beides: Seit Jahrzehnten hasslieben sie ihre AZ, die lokale Abendzeitung, die Helmut Dietl einst zur Mediensatire Kir Royal inspiriert hat. Jetzt hat das Blatt fast 66 Jahre nach seiner Gründung Insolvenz angemeldet. Findet sich kein Investor, wird die Zeitung wohl dicht gemacht, wie es etwa auch der Financial Times Deutschland schon ging. Jetzt also Mitleid für ein bayerisches Boulevardblatt? Ja! Jede Nachricht zum Schlagwort „Zeitungssterben“ ist eine schlechte Nachricht. Lina Verschwele
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Berlin Das hat gesessen: Berlin ist nicht mehr die coolste Stadt der Welt! Das behauptet zumindest die New York Times: Berlin erinnere längst an das – durchgentrifiz
w York Times: Berlin erinnere längst an das – durchgentrifizierte – Brooklyn. Der Rolling Stone, nicht gerade ein Techno-Fachblatt, meinte, dass das Berghain, der von Touris überrannte Club, nicht mehr als Hipster-Hochburg durchgehe. Das Feeling sei weg – im Berghain und in ganz Berlin. „Berlin ist wirklich eine Schande!“, schimpfte auch Carolyn McCall, die Chefin der Billigfluglinie Easyjet. Zwar bezog sie sich nur auf das BER-Flughafendebakel, aber das geballte Berlin-Bashing wirbelt die Blogosphäre jetzt ganz schön durcheinander. Manche haben Angst, dass ihre geliebte Nachbarschaft in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, zwischen Bürotürmen und faden Luxuswohnblocks. Andere suchen nach Alternativen. Leipzig? Krakau? Was hieße es für Berlin, wenn die Jungen und Schönen weiterzögen? Untergehen würde es wohl nicht. Weniger Nabelschau täte ihm sogar ganz gut. Die wirklich Coolen sagen eh: „Berlin-Bashing? Auch schon wieder totally over!“ Benjamin KnödlerBubble Tea Es gab Zeiten, da war das Busfahren ohne schlürfende Teenager auf den Nebensitzen kaum möglich. Sie liebten das taiwanesische, pappsüße, knallbunte Getränk, und mit den darin enthaltenen Tapioka-Perlen konnten sie sich durch die fingerdicken Strohhalme gegenseitig beschießen. Also erkoren sie Bubble Tea zu ihrem neuen Grundnahrungsmittel und ließen dafür ihr ganzes Taschengeld draufgehen. In den Großstädten eröffnete eine Teefiliale nach der anderen, die Feuilletons warnten vor Überschwemmung. Dann behaupteten Wissenschaftler aus Aachen, die Tapioka-Perlen enthielten Schadstoffe. Plötzlich galt das Getränk als toxisch. Die Teeshops verschwanden, auch wenn die Giftigkeit nicht belegt werden konnte. Bei den Deutschen ist Bubble Tea jetzt jedenfalls leider out. Sophie ElmenthalerEEmoticons Die Idee, reinen Text durch grafische Elemente anzureichern, war edel, hilfreich und gut. Und die Erfindung geschah aus der Not heraus, um Streitigkeiten zu vermeiden. Im digitalen Diskussionsforum der Carnegie Mellon University häuften sich die Missverständnisse. Also ersann Scott E. Fahlman die „:-)“-Kombination, um mit diesem stilisierten Smiley Übertreibungen und Unernst zu kennzeichnen. Bald folgten weitere Symbole, die Emotionen mit ASCII-Zeichen ausdrückten. Sogar eine japanische Variante eroberte die Welt, bei der man den Kopf nicht mehr nach links neigen muss. Ein Musterbeispiel ist das Symbol für Betrunkensein: (+_°). Leider erfüllen die Emoticons ihre Funktion heute nicht mehr, und das auch, weil Smartphones und Mailprogramme sie jetzt automatisch in bunte Grafiken umwandeln. Außerdem: Wenn hinter jedem zweiten Satz ein Smiley steht, um ihn als ironisch zu markieren, wird das Zeichen schnell bedeutungslos. :–[ Tobias PrüwerHHype „Hyper, hyper!“ Was macht eigentlich das Trash-Techno-Projekt Scooter? Denen geht’s offensichtlich wie jedem Hype-Objekt. Nach dem großen „Hallo“ fällt die Publikumsaufmerksamkeit rasend schnell in sich zusammen, der ➝Bubble Tea wird schal, der ➝Minimops ist in den röchelnden Tod geritten. Wie ein Hype beginnt, ist in aller Regel schwer zu erkennen. Das hat er mit der Lawine und dem Kaventsmann gemeinsam. Plötzlich bricht die Masse los, sind neonfarbene Schnürsenkel in oder Fußballsammelkarten attraktiv, Fips Asmussen gilt als lustig und Joachim Gauck wird Bundespräsident. Mit Rationalität hat das nichts zu tun. Meist steckt hinter dem Hype ein Werbekonzept oder eine Strategie. Nur ob die jeweils aufgeht, kann man nicht sagen. Absehbar ist immerhin, wann ein Hype sich seinem Ende zuneigt. Taucht eine Sache überall auf, ist ihr Reiz bald erloschen. Als beispielsweise selbst die Lokalmagazine von BR und MDR über den „Gangnam Style“ berichteten, war der Zenit des albernen Hype-Tänzchens schon weit überschritten. TPIIrony is over Nicht, dass man sich Terror und Kriege wünscht. Aber so wie manche Gedanken- oder Geschmacklosigkeit heute als angebliche Ironie verkauft wird, könnten wir die Idee des „Schluss mit lustig“ ganz gut wieder gebrauchen. „Irony is over“ lautete der Slogan nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damit war nicht nur ein Schwenk in der Realpolitik gemeint. Das Gemüt der Gemeinschaft sollte nach den 90er-Schaumpartys von der Spaßgesellschaft in eine neue Ernsthaftigkeit umgelenkt werden. Mit der Finanzkrise erneuerte sich das noch mal, in Deutschland mit Hinweis auf das Zusammenrücken in der „Schicksalsgemeinschaft“ (Angela Merkel et al.). Da hilft keine Ironie mehr – nur Zynismus. TPLLaktoseintoleranz Wer hätte gedacht, dass Verdauungsprobleme einmal in Mode kommen. Sicher, es gibt Menschen, die wirklich unter ernsten Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden. Aber: In vielen Fällen wird man das Gefühl nicht los, dass es sich um eine trendige Form der Hypochondrie handelt. Der moderne Mensch ist stets um seine Gesundheit bemüht und hört ganz genau auf die Signale seines Körpers. Da wird die Laktose-, Fruktose oder Glutenintoleranz schon mal selbst attestiert. Von einem „Nocebo“-Effekt spricht man, wenn jemand sich eine schädliche Wirkung von etwas nur einbildet. Praktischerweise gibt es die Lösungen im Supermarkt. Glutenfreie Nudeln, fruktosefreie Reiswaffeln: Ein Warenparadies für alle (schein-)gequälten Mägen – und ein großer Absatzmarkt für die Lebensmittelindustrie. Bauchschmerzen wird man trotzdem nie ganz vermeiden können. Und ein Milchkaffee mit echter Milch schmeckt einfach ziemlich gut. Ach, seien wir ehrlich: Er schmeckt besser! BKMMinimöpse Totgesagte leben länger, das gilt auch für den Asthmatiker unter den Handtaschenhunden. Vor drei Jahren wurde der Mops für out und der Dackel zum neuen Trendhund erklärt. Statt Mugsy und Mimi La Rue also wieder Waldi, Lumpi und Herr Maier. Dachten wir. Aber das Röcheln auf Knöchelhöhe ging weiter. Im Welpenverzeichnis des Verbands für das deutsche Hundewesen liegt 2014 nun aber der American Staffordshire Terrier vorn. Der Kampfhund ist der neue Mops. Hilfe! Christine KäppelerSStöckelschuhe Karl tat es als einer der Ersten: Bei der jüngsten Chanel-Haute-Couture-Schau in Paris steckte Lagerfeld die Models in Turnschuhe. Ein revolutionärer Akt in der Modewelt. Normalerweise wird dort höchst anmutig über den Laufsteg geschwebt – von Knöchelverstauchungen, blutigen Fesseln und deformierten Krallenzehen bekommt das Publikum jedenfalls kaum etwas mit. Jetzt werfen aber auch viele Nicht-Models ihre seit der Sex-And-The-City-Ära mühevoll ersparten Designer-Stöckel über Bord. Immer weniger Frauen sind bereit, für das bisschen angebliche Eleganz Schmerzen zu erleiden. Die Schuhdesigner werden zunächst ein wenig heulen.Aber nur weil Frauen keine Knöchelbrecher mehr tragen wollen, heißt das ja nicht, dass sie gar keine Schuhe mehr kaufen. Wir sagen voraus: Der hart umkämpfte Turnschuhmarkt wird weiterwachsen, und bald werden nicht mehr nur nerdige Studenten vor Sportgeschäften campieren, um die neueste Limited Edition zu ergattern. Sophia HoffmannVVegetarismus Eine neue Bewusstseinsströmung macht sich breit und rüttelt am ohne hin schon mondänen Gesundheits-terrorismus. Ja, die Zeichen der Zeit deuten daraufhin, dass es mit dem Vegetarismus zu Ende geht. Und zwar weil er von seinem viel radikaleren Epige, dem Veganismus, gefrühstückt wird. Nur Ewiggestrige rennen noch dem halbgaren Veggie-Idealismus hinterher. Der Fotosynthese-Freund von heute hat hingegen eine ganz klare Richtung: Er kommt komplett ohne Tierprodukte aus. Es hat ein Weilchen gebraucht, aber jetzt ist der Trend, einst Randerscheinung, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, sozusagen: in unser aller Munde. Felix TotaWWM-Euphorie Mit albernen Autofahnen und niveaulosen Fan-Songs ging alles los. Seit der WM 2006 in Deutschland hat sich hierzulande eine seltsame Form der Fußballbegeisterung entwickelt: Pünktlich zur Weltmeisterschaft strömen Menschenmassen in altgedienten Poldi-Trikots und schwarzrotgoldenen Hawaiketten gen „Fanmeile“, um dort kollektiv zu Kirmesmusik zu grölen und von Werbung überschwemmt zu werden. Mit Fußball hat das wenig zu tun. Die Sport-Euphorie will nicht mehr so richtig in die Gänge kommen. Die Nationalmannschaft wird nach einem müden 1:0 brutal ausgepfiffen. Und nach den Protesten in Brasilien im Vorfeld der dortigen WM und den üblen Nachrichten aus Katar ist diese Form des WM-Fiebers ohnehin passé. BKWhatsapp Zwischen praktischer SMS-Alternative und Orwellscher Überwachungsmaschine liegen manchmal nur 19 Milliarden Dollar. Als die ohnehin schon dubiose Datenkrake Facebook für dieses schmale Geld die weithin geliebte Datenkrake Whatsapp kaufte, sank das Ansehen des Messengers über Nacht auf das Niveau von Robbenkloppern. Klar, Sicherheitsprobleme und Datenlecks hatte es auch bei Whatsapp immer wieder gegeben, die ganze Zeit über. Aber was sind gierige Kontohacker und neugierige NSA-Mitarbeiter schon im Vergleich zum leibhaftigen Mark Zuckerberg? So sahen es zumindest diejenigen, die sofort ihren Ausstieg von Whatsapp verkündeten, kaum, dass es an das blauweiße Portal verkauft worden war. Vom vergangenen Ruhm des Kurznachrichtendienstes zeugen heute nur noch die zahlreichen Abschiedsbriefe seiner ehemaligen Nutzer. Sie sind leicht zu finden. Auf, nun ja, Facebook. Julian HeißlerZZurücktreten Der Tipping-Point, der Punkt also, an dem die steile Karriere des Rücktrittphänomens abbrach, hat einen Namen: Benedikt der XVI. Größer als ein Papst-Goodbye geht es nicht. Für einen Karl-Theodor zu Guttenberg wäre heute zum Abschied allenfalls noch ein leises Servus drin. Vorreiterin des Anti-Trends ist die Queen. Mit bald 88 Jahren räumt sie noch immer nicht den Thron. ckä
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