Irgendwo im ländlichen Hessen in der Nähe von Frankfurt. Eine ganz normale Familie. Ein gemütlich-ruhiges Haus. Morgens früh. Der Vater bei der Gartenarbeit. Die Mutter schafft drinnen. Doch das Idyll trügt! Gleich eingangs von Schäfers Roman, da bereits alle Protagonisten vorgestellt werden, taucht auch zunehmende Beunruhigung auf, eine Lücke wird spürbar, eine verquere Kommunikation verweist auf dunkle Hintergründe.
Nachdem der jüngere Sohn unmittelbar nach dem Abitur ausgezogen ist, bewohnt das Ehepaar Ruth und Lothar Wilber das inzwischen längst zu groß gewordene Haus allein – allein gelassen zudem mit den Erinnerungen. Lothar war früher Pilot und musste seinen Dienst schließlich, da schwer alkoholabhängig,
#228;ngig, quittieren; Ruth, eine vormalige Stewardess, ist Hausfrau und nach einer psychologischen Ausbildung bei der Telefonseelsorge tätig. Merten, der 19-jährige Sohn, hat sich gerade mit einer Mappe voller Fotografien um einen Studienplatz beworben. Doch was ist mit Jakob, dem älteren Sohn, dessen Zimmer – anders als das seines Bruders, der immer noch sein altes Kinderzimmer für sich in Anspruch nimmt, wenn er gelegentlich nach Hause kommt – längst als Bügelzimmer umfunktioniert worden ist?Allmählich und zunächst nur andeutungsweise zeichnet sich das tiefe Trauma ab, das alle Familienmitglieder beherrscht: der Tod Jakobs, seine völlig sinnlose Ermordung. Er hatte – als Aushilfe in einer Spielhalle – einmal einem offenbar spielsüchtigen wie alkoholisierten Gast die Tür verwiesen, woraufhin dieser ihn später abgepasst und umgebracht hat.Jakob war der Stolz seines Vaters, ein Draufgänger, der, wie es heißt, „sich ins Getümmel“ stürzt, während der jüngere Merten eher der zurückhaltende, beobachtende Typ ist. Diese Tat hat nun die Familie völlig aus der Spur gebracht, insbesondere den Vater, den eine geheimnisvolle Lähmung wochenlang ans Bett gefesselt hat. Und als schlimmste Folge, das zeigt sich mäandernd im Text, ist die Entfremdung zwischen Mann, Frau und Sohn gewachsen. Das Trauma rächt sich durch fehlende Kommunikation, Missverständnisse, durch Be- und Verschweigen.Dies ist dann auch der konkrete Einsatzpunkt von Schäfers Roman, die zerfahrene Situation einer Familie, die eigentlich schon „zerfetzt“ worden ist, wie sich die Mutter einmal äußert. Zerfetzt durch eine sinnlose Tat, von einem durchgeknallten, tumb-dumpfen jungen Mann. Eine Ohnmacht hat sich bleiern auf ihre Empfindungen und Beziehungen gelegt.Bis sie sich – unabhängig voneinander, jeder für sich – zu einer Entscheidung aufraffen: Lothar kauft ein Stück Land, auf dem er sich den alten Traum einer eigenen Segelschule zu erfüllen glaubt; Ruth nimmt Kontakt zu dem Mörder ihres Sohnes auf und besucht ihn schließlich im Gefängnis; Mertens Zukunft scheint auf die feste Beziehung mit seiner neuen Freundin hinauszulaufen.Darin steckt eine gewisse Plausibilität, nachdem Schäfer zuvor ebenso eindringlich wie unaufdringlich auf die tiefen Verletzungen seiner Protagonisten und die notwendigen Störungen in ihren Beziehungsmustern hingewiesen hat. So muss die Abkehr voneinander zu eigenen und einsamen Entscheidungen führen. Jeden hält das (und sein eigenes) Trauma fest im Griff.Soweit – so beklemmend, so fürchterlich. Nur, zum Schluss stürzt Schäfers Erzählung dann doch ins Bodenlose ab. Was mag ihn dabei geritten haben, auf den letzten beiden Seiten seines Romans Friede, Freude, Eierkuchen herzustellen? Denn von nichts anderem ist da mehr die Rede als von einer neuen Harmonie und dem Glück eines wiedergefundenen Paars, das zudem in ein neues Haus umgezogen ist: „Durch die Sprossen des Fensters sah sie Lothar im Garten das Ahornlaub zusammenrechen. Sie schaute so lange, bis er sich umwandte und sie anlächelte, genau so, wie er bei ihrer ersten Begegnung in einem Crew-Raum des Frankfurter Flughafens gelächelt hatte, vor fast dreißig Jahren, mit einer Mischung aus Siegesgewissheit und Geduld, in die sie sich auf der Stelle verliebt hatte.“Nein, das kann man wirklich nicht glauben – das will der Leser auch gar nicht glauben, dieses vermeintliche Glück im Winkel, jenes Idyll („als Vollglück in der Beschränkung“, wie sich Jean Paul seinerzeit schon überaus ironisch einmal ausgedrückt hat), das der Autor uns da – offenbar harmoniesüchtig – weiß zu machen versucht.Schade, denn dadurch wird die vormalige Irritation, die der Text die längste Zeit auszulösen verstanden hat, wieder verspielt und der Leser hält einen – letzten Endes – risikolosen Erzähltext in Händen.