Ausbruch aus der Vormoderne

Krise Papst Benedikt XVI. will zurück zu einem voraufklärerischen Vernunft-Fundamentalismus. Doch immer mehr Gläubige verweigern ihm die Gefolgschaft

Es gibt einige Indizien, die darauf hindeuten, dass das vormoderne Zeitalter in der katholischen Kirche zu Ende geht. Weltweit läuft die Protestwelle gegen die Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die Exkommunikation von vier Bischöfen aufzuheben, obwohl einer von ihnen die Vernichtung der Juden leugnet. Von zahlreichen Kirchenaustritten ist die Rede. Argentinien, das einst Adolf Eichmann beherbergte, wies den Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson aus. In Österreich scheiterte der Papst mit dem Versuch, einen Erzkonservativen zum Weihbischof zu ernennen. In Regensburg legten sich drei Theologieprofessoren mit ihrem dogmatischen Bischof an. Und: Tausende von Katholiken haben bereits die Petition mit dem programmatischen Titel „Vaticanum 2“ unterschrieben.

Das verweist auf die tiefer liegenden Ursachen für die Krise des Katholizismus, wie er von Papst Benedikt vertreten wird. Es geht deshalb um mehr als „Kommunikationsprobleme“, wie die offizielle Verharmlosung lautet. Das Zweite Vatikanische Konzil markiert in der neueren Kirchengeschichte fast so etwas wie die Revolten von 1968 für die Universitäten und andere Institutionen. Papst Johannes XXIII. versprach eine „Erneuerung“ in der Artikulation der Kirche. Joseph Ratzinger, heute Papst, fungierte damals als theologischer Berater von Kardinal Frings, der zu den Erneuerern gehörte. Ratzinger trug die Reform mit.

Nach dem Schock von 1968 verabschiedete sich Ratzinger nicht nur von der Universität, sondern bald auch vom „Geist des Konzils“. Er machte „die größere Klarheit im Denken“ (Johannes XXIII.) nicht mit und verteufelte jede ernsthafte Modernisierung als „Relativismus“. Robert Musil sprach 1913 vom „bäurisch Altjungferhaften, schlecht Gelüfteten des Katholizismus“. Etwas weniger polemisch formuliert: Der Katholizismus leidet im Kern an Modernitätsdefiziten. Und das betrifft nicht das mediale Auftreten des Papstes und der Kurie. Es geht um altes Denken und unerfüllte Versprechen.

Entgegen dem „Geist des Konzils“ vertritt der Papst rigide den Vorrang der katholischen Kirche vor den anderen Religionen. Er beruft sich dabei auf die vermeintliche Einheit von Vernunft und Glauben und plädiert für eine Überlegenheit Roms dank der privilegierten Nähe des katholischen Glaubens zur Vernunft. Damit operiert er mit einem voraufklärerischen Begriff von Vernunft. Der Aufklärung ging es nicht um eine Verdammung oder Beschimpfung der Religion, sondern darum, eine Grenze zwischen Glauben und Wissen zu ziehen, also Wissen vor religiösen Übergriffen und den Glauben vor rationalistischen Zumutungen zu schützen. Kant wollte dem „Glauben Platz“ machen. Gegenüber dieser Selbstbeschränkung des Vermögens der Vernunft besteht der Papst nach wie vor aus einem umfassenden Vernunftfundamentalismus. Dieser Anspruch ist genauso hybrid wie der Glaubensfundamentalismus der Piusbruderschaft, die am Wortlauf der Bibel festhält. Die Bruderschaft lehnt „die Idole des modernen Menschen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie“ als unvereinbar mit dem katholischen Glauben ab.

Das tut der Papst (noch) nicht. Aber er holte die Bruderschaft zurück – im Namen der Einheit der Kirche. Damit desavouiert der Papst sich selbst und die Konzilsbeschlüsse wie schon bei der
Liturgiereform von 2008. Durch diese wurden aus gleichberechtigten Juden und Muslimen über Nacht wieder missionsbedürftige Gläubige. Unter dem Druck von Befreiungstheologie, Frauenemanzipation und anderen modernen Bewegungen rückt Ratzinger dem Antimodernismus immer näher – und immer weiter ins Abseits.

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