Ausgelaugt und erschöpft

UN-Report zum Gaza-Streifen Alle Reserven sind erschöpft

Die Vereinten Nationen haben ihrem halbjährlichen Palästina-Bericht einen dringenden Appell vorangestellt: Es müsse 2006 weit öfter Hilfe gewährt werden als geplant. 95,5 Millionen Dollar sollten als Nothilfe für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten dienen. Doch das Geld reichte gerade für ein halbes Jahr, tatsächlich brauche man 170 Millionen. Hinter den nackten Zahlen verbirgt sich ein ökonomischer Kollaps.

Das "Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten" (UNRWA) kümmert sich um Ausbildung und Gesundheitsfürsorge, zudem vermittelt es Arbeitsplätze. Allein in Gaza führt es 100.000 Flüchtlinge auf Job-Wartelisten - in der Westbank stieg der Bedarf inzwischen um 600 Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Die ersten sechs Monate des Jahres zeigten eine merkliche Verschlechterung der humanitären Bedingungen", heißt es im jüngsten UNRWA-Report. Fast die Hälfte - genau 44 Prozent der Palästinenser in den besetzten Gebieten - friste ein Dasein unterhalb der Armutsgrenze, schon Anfang des Jahres habe die Arbeitslosigkeit bei 31,1 Prozent gelegen. Die Menschen in Gaza wüssten immer weniger, wie sie die nötigen Lebensmittel beschaffen sollten, ihre Reserven seien erschöpft. Zwar unterstützten sie einander, doch die privaten sozialen Netzwerke trügen jetzt schon eine enorme Last. Für viele bedeute das schlicht, bei einem ohnehin schon rasanten sozialen Abstieg noch tiefer zu fallen.

Der Konflikt mit Israel - dokumentiert der UNRWA-Report - stranguliert die palästinensische Ökonomie, so dass man in den besetzten Gebieten in hohem Maße gezwungen sei, mit internationalen Hilfsgeldern zu wirtschaften. Seit Hamas Anfang des Jahres die Regierungsgeschäfte übernommen hat, blieben diese Zahlungen jedoch weitgehend aus. Zudem hält Israel Steuern zurück, die es regelmäßig im Namen der Autonomiebehörde erhebt. Die solcherart geschwächte Administration sei aber zugleich der größte Arbeitgeber in den Palästinensergebieten, stellen die UNRWA-Berichterstatter fest: Allein in der Stadt Gaza stehen 83.000 Menschen bei ihr in Lohn und Brot und damit über ein Drittel der überhaupt Beschäftigten. Ende Juni warteten die Angestellten der Autonomiebehörde bereits seit fast vier Monaten auf ihr Gehalt. Auch sehe sich die Behörde außer Stande, die öffentlichen Dienste am Leben zu erhalten.

Im Laufe des Jahres riegelte Israel die besetzten Gebiete immer häufiger ab. Allein der Übergang Karni - für Handelsgüter das wichtigste Tor nach Gaza - war seit Anfang 2006 insgesamt sechs Monate lang gesperrt. Lebensmittel und Benzin erreichten in der Folge immer seltener die palästinensischen Gebiete und wurden knapp. Dem Welternährungsprogramm zufolge zogen dadurch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Öl, Mehl und Zucker enorm an. Die Vogelgrippe tat ein Übriges: Im Gaza-Streifen mussten etwa 400.000 Tiere gekeult werden, die nicht von außen ersetzt werden konnten. Auch wer den Gaza-Streifen in Richtung Israel verlassen oder Güter dorthin exportieren will, sieht sich gehindert. Zahlreiche Waren gelangen nicht hinaus, die palästinensischen Behörden sprechen von täglichen Verlusten in Höhe von etwa 500.000 Dollar. Zu Beginn des Jahres arbeiteten 45.000 Menschen und damit zehn Prozent aller Beschäftigten des Gazastreifens und der Westbank in Israel. Ab Mitte Februar durften nur noch 15.000 Arbeiter täglich den Kontrollpunkt Erez passieren, seit dem 12. März ist auch das vorbei.



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