Ausritt der Domkosaken

Ältlicher Narzissmus Peter-Paul Zahls neuer Roman scheitert am Begriff des Schelms

Es war einmal ein Schriftsteller, der schrieb mitten im 20. Jahrhundert einen selbsternannten "Schelmenroman" mit dem Titel Die Glücklichen. Ein schöner Roman war das und berühmt ist er geworden, weil er so genau die Befindlichkeiten der siebziger Jahre einfing, die Träume, die Hoffnungen, die Verzweiflungen eines durch und durch politisierten Lebens mit seinen Wohngemeinschaften, seinen klassenkämpferischen, seinen marxistischen, leninistischen, maoistischen, reichianischen Diskussions- und Bildungszirkeln. Hier ging es um die Suche nach Glück, die gerechtfertigt war durch ein deutliches Gespür, das heute unsicher geworden scheint: das Gespür für Entfremdung. Die Glücklichen entstand im Gefängnis, wo der in der APO engagierte Peter-Paul Zahl zwischen 1972 und 1982 einsaß, wegen "Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung".
30 Jahre später legt der Autor, der inzwischen auf Jamaika lebt, Theaterstücke, Kriminalromane und jüngst auch einen Jamaika-Reisführer verfasste, einen neuen "Schelmenroman" vor. Der Domraub basiert auf der wahren Geschichte eines Knastgenossen von damals. Wir schreiben wieder die siebziger Jahre, der ehemalige jugoslawische Partisan Vladimir Heiter, professioneller Kunstdieb, wohnhaft in Köln, vorzüglicher Liebhaber des weiblichen Geschlechts, heimgesucht nicht selten von dunklen Erinnerungen an KZ-Haft in Jugoslawien und brutale politische Verfolgung, gerät in den Dunstkreis eines Diebstahls, den er nicht begangen hat: findige Gauner tricksten - 1975 geschah das in Wirklichkeit - die Alarmanlage des Kölner Doms aus und plünderten die Schatzkammer. Noch bevor Heiter sich über die Ästhetik des gelungenen Raubes der Kollegen freuen kann, tauchen die auch schon bei ihm auf und wollen Hilfe beim Verkauf der reichlich ramponierten Juwelen, gefolgt von der Polizei, die Heiter selbst verdächtigt.
Der Plot erzeugt Spannung, weil man nun wissen möchte, wie die lausigen Diebe und die Polizei dem guten Vladimir den Raub unterschieben werden. Nachvollziehbar allerdings ist die Geschichte nicht, fraglich warum Interpol auftritt und wer gegen wen spielt - doch egal, Hauptsache es ist lustig. Und lustig soll es sein, auf Biegen und auf Brechen. Zahl inszeniert ein Tschingderassabum und Heissassa, das irgendwo jenseits der Grenze des Peinlichen siedelt. Da werden Bänkelsänge eingefügt und kleine Lustspiele auf dem Theater, da ist vom "Morddeutschen Buntfunk" die Rede, von "Rächzordnung", "Dämonokratie" und "§ 113 des Schafgekrächsfluchs". Selten politisch so richtig gefühlt gegen Tito den Miniaturstalin und die faschistischen Sozialdemokraten, die Baader-Meinhof morden! Und selten waren wir so sexuell befreit wie hier, wo "diese Kosakin mein rohes Fleisch unter ihrem Sattel mürbe ritt und jauchzend über mir zusammenbrach." Nun denn.
Ein Schelmenroman ist das Gegenmodell zum Entwicklungsroman, der Held, kein starkes, sich bildendes Individuum, befördert in seiner liebenswürdigen Nichtsnutzigkeit ein Thema von sozialkritischer Relevanz. Wie in den Glücklichen spielt Zahl mit dem Ethos des sozialistischen Gauners, der nicht beim Arbeiter klaut, sondern bei den Reichen. Diebstahl gilt als Widerstand, als Mundraub am entfremdeten Leben. Doch solche Romantik - das Herz am rechten Fleck, der Dieb als Künstler - funktioniert nicht mehr, aus der barocken Vielfalt der Glücklichen ist ein grober Holzschnitt geworden, ungeschickt in der Federführung. "Altfränkisch" mutet die Figur des Schelms an, ein überholtes Muster, zudem gerät er bei Zahl zum alten Gecken, der über "dicke Eier" redet. Sein Narzissmus ist genauso selbstgerecht wie stinknormales Bürgertum. Natürlich, Zahl setzt sich die Narrenkappe auf, doch irgendwie will sie nicht passen. Kann sich ein Narr zum Narren machen? Er kann.

Peter-Paul-Zahl, Der Domraub, dtv, München 2002, 339 S., 15 EUR


Peter-Paul Zahl, Die Glücklichen, dtv, München 2001, 524 S., 15,50 EUR


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