Australien-Western „The Drover’s Wife“: Gewalt und Wildnis
Film Die Regisseurin Leah Purcell rückt in ihrem Australien-Western „The Drover’s Wife“ die Themen Kolonialismus, Rassismus und Misogynie in den Mittelpunkt
Auf dem Hügel stehen drei Kreuze. Ein einzelner Baum markiert die Stelle, an der die Toten ihre letzte Ruhe gefunden haben. Für ein viertes Kreuz ist weder Zeit noch Gelegenheit, Molly Johnson (Leah Purcell) genügt mittlerweile ein Stein mit dem Vornamen.
Die windschiefe Hütte, in der sie mit ihren verbliebenen Kindern lebt, sieht aus wie in wenigen Tagen zusammengezimmert, nur der gemauerte Kamin deutet darauf hin, dass man immerhin den Versuch unternommen hat, etwas Bleibendes zu schaffen. Was in den australischen Snowy Mountains schwierig genug ist. Ihr Mann, als Viehtreiber im Hochland unterwegs, ist seit Monaten nicht mehr aufgetaucht. Molly schickt bei jedem leisesten Geräusch die Kinder ins Haus und verlässt dieses nur mit dem Gewehr im Anschlag. Auch al
g. Auch als eines Tages der Wagen von Sergeant Klintoff (Sebastian Reid) und seiner kranken Frau Louisa (Jessica De Gouw) anhält. Sie kommen aus Adelaide, aber eigentlich aus London. Von der Kolonialmacht, für die Klintoff im Krieg gekämpft hat, entsandt. Sie sind überfallen worden, ohne Vorräte und müssen weiter nach Everton, die nächstgelegene schmutzige Boomtown, wie man sie aus amerikanischen Western kennt. Klintoff soll hier seinen Dienst als Polizist antreten. Die schwangere Molly sieht das als Chance für ihre Kinder, vertraut sie den beiden an und bleibt allein zurück. Vorerst.The Drover’s Wife ist ein australisches Westerndrama, das vom Aushalten und Durchhalten erzählt, vor allem angesichts der Gewalt. Molly Johnson hat sie erfahren. Man weiß nicht, wie sie hierhergekommen ist, ob es irgendwann einmal eine Hoffnung gab, am Ende der Welt eine Bleibe zu finden, die man Zuhause nennen kann. Die Natur stellt jedenfalls keine Gefahr für sie dar, sondern nur die Menschen – oder eigentlich nur die Männer. Auch als eines Tages der flüchtende Aborigine Yakada (Rob Collins), der eine weiße Frau getötet haben soll, auf ihrer Farm auftaucht, sieht sie in ihm zunächst nur die Bedrohung. „Bury it deep“, wird sie dennoch zu ihm sagen und damit seine eiserne Fessel meinen, von der sie ihn schließlich befreit. „Bury him deep“, wird sie später sagen, wenn es wieder jemanden zu begraben gibt. Wenige Augenblicke zuvor hat sich diese von der ersten Minute an packende Erzählung scheinbar zu einem Showdown verdichtet. Der sich dann als kein solcher erwiesen hat, sondern nur als eine weitere Stufe der Eskalation.Molly Johnson ist eine jener starken Frauenfiguren, die nicht in Kostüm oder Korsett auftauchen, sondern mit Schürze und Schal. Sie ist aber auch eine Figur, die einem seltsam fremd bleibt, als hätte sich die Härte ihres Daseins in einer Verhärtung gegenüber ihrer Umwelt niedergeschlagen. Einmal meint man sie lächeln zu sehen, als sie Yakada beobachtet, der ihr mit einfachen Arbeiten hilft. Man könnte sich aber auch geirrt haben. Auffällig oft sieht man Molly Johnsons vom Leben gezeichnetes, ihr wie versteinert wirkendes Gesicht in Großaufnahme. Aber es ist kein Hass, den man erkennt, eher eine Kälte. Einen notwendigen Panzer, um sich und die Kinder vor allem und jedem zu schützen.Überall der „Bush“Leah Pucell hat in The Drover’s Wife, basierend auf der 1892 erschienenen Kurzgeschichte des australischen Schriftstellers und Buschpoeten Henry Lawson, nicht nur die Hauptrolle übernommen, sondern den Film auch koproduziert, geschrieben und inszeniert, nachdem sie den Stoff bereits 2016 als Bühnenstück adaptierte und später als Neuerzählung vorlegte. Von Lawsons erratischer Geschichte („Bush all round – bush with no horizon, for the country is flat“), in der die weibliche Hauptfigur sogar namenlos bleibt, hat Purcell sich jedoch nur noch des Grundmotivs bedient: Kolonialismus, Misogynie und Rassismus, bei Lawson noch Teil einer umfassenden Gewalt, sind die bestimmenden Themen dieses Autorinnenfilms, mit dem Purcell – selbst mütterlicherseits indigener Herkunft – ein persönliches Langzeitprojekt mit einem imposanten Regiedebüt nun zu einem Abschluss bringt.Eingebetteter MedieninhaltThe Drover’s Wife verbindet die realistische Darstellung seiner Figuren mit einer mitunter nahezu mystischen Inszenierung der Natur. Bestechend schön leuchten die Sterne, lösen sich Nebelfetzen im Zeitraffer auf oder knirscht Schnee unter nackten Fußsohlen. Immer wieder blickt die Kamera (Mark Wareham) in die Ferne, erspäht die weißen Gipfel der Berge oder entwirft surreal anmutende Kompositionen von Buschwerk oder Bäumen. Für Molly Johnson existiert im Gegensatz zu dem von einem entlegenen Fluchtort träumenden Yakada keine Bindung an dieses Land. Und noch weniger für den in seiner lächerlichen kolonialen Uniform steckenden Klintoff, der in diesem Land, am anderen Ende der Welt, das Gesetz nur vertreten kann, indem er sich zuvor mit dem Faustrecht Respekt verschafft.Man mag es als Schwäche des Films betrachten, dass er die strukturelle und letztlich physische Gewalt an stereotypen Figuren festmacht, deren psychologische Zeichnung sich auf ihre Niedertracht beschränkt. Andererseits möchte Purcell den Tätern offensichtlich nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als nötig, sondern von jenen erzählen, die sich, wie Molly und Yakada, ihrer Opferrolle nicht länger fügen wollen.The Drover’s Wife ist ein Film mit mehreren Schlüssen, bis diese Erzählung schließlich doch mit einem tatsächlichen Epilog endet. Und zu den Klängen der Ballade Black is the Color mit der Hoffnung, dass Mollys und Yakadas Kampf letztlich erfolgreich war.Placeholder infobox-1
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