Die Risiken sind beherrschbar", ist sich Matthias Oberndörfer sicher. Er ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst Young in Nürnberg. Dort ist er für das sogenannte Cross-Border-Leasing zuständig. Einfach gesagt funktioniert das so: eine Kommune verleast einen Teil ihrer Infrastruktur an einen US-amerikanischen Investor, meist mit einer Laufzeit von 99 Jahren. Gleichzeitig least die Kommune für 25 Jahre diese Infrastruktur zurück. Der Investor bekommt für seine Investition in den USA Steuervorteile, von denen er einen Teil als "Barwertvorteil" an die Kommune auszahlt. Diese Zahlung macht etwa drei bis vier Prozent der Gesamtinvestitionssumme aus. Bei großen Leasing-Objekten ergeben sich Beträge von 20 Millionen Euro und
und mehr. In den Zeiten knapper Kassen ist das natürlich hochattraktiv. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Finanzministeriums sind rund 150 Objekte, wie Straßenbahnen, Kliniken, Messehallen, Müllverbrennungsanlagen, Wasserwerke, Kongresszentren und Abwasserkanäle im geschätzten Wert von 36 Milliarden Euro verleast worden. Um die Verträge hieb- und stichfest zu machen, sind ganze Scharen von Anwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsgutachtern, Bankberatern und Arrangeuren tätig. Oberndörfer ist einer von ihnen, und er beteuert, dass wirklich nichts schief gehen kann, obwohl bereits bei der Definition des Eigentums die Probleme beginnen. So bleibt nach deutschem Recht die Kommune Eigentümer, nach den US-Gesetzen aber übernimmt der US-Investor die Eigentümerfunktion. Es kommt also zu der paradoxen Konstruktion, dass zwei Eigentümer dieselbe Sache besitzen, von denen einer sich allerdings nicht um den Erhalt seines Eigentums kümmert oder kümmern muss, nämlich die US-Seite. Für Oberndörfer kein Problem, weil nach deutschem Recht keine Eigentumsübertragung stattfindet. Warum es dann aber eine Rückkaufoption gibt, kann er auch nicht erklären.Die komplizierten Vertragswerke werden mittlerweile nicht nur von Globalisierungs- und Privatisierungsgegnern kritisch gesehen, sondern auch von der Bayerischen Staatsregierung. Das Innenministerium in München hat einen Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung vorgelegt, der diese Form der kommunalen Infrastruktur-Verleasung verhindern soll. Zur Begründung heißt es, dass die Kommunen sich mit ihren Finanzgeschäften einem außerhalb der EU geltenden Recht unterwerfen und sich "langfristig zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen" verpflichten. Außerdem bestehe "ein grobes Missverhältnis bei der Risikoverteilung zu Lasten der Gemeinde". Entsprechend groß sei die "Gefahr eines erheblichen Vermögensschadens". Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man sich beispielsweise eine Kommune vorstellen, die aus irgendwelchen Gründen ihre verleaste Kläranlage nicht mehr betreiben oder Teile still legen möchte. Dann würde sie gegen den Leasing-Vertrag verstoßen und hätte mit Schadenersatzforderungen zu rechnen - mindestens in Höhe des Barwertvorteils, wahrscheinlich aber im Umfang der gesamten Investitionssumme. Für die meisten Städte wäre das der finanzielle Ruin. Einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, bekam bereits die Stadt Aachen, die aus einem Leasing-Vertrag aussteigen wollte und 19 Millionen Euro allein für Anwalts- und Beratungskosten zu zahlen hatte. Rechtsunsicherheit gibt es nicht nur auf der deutschen, sondern auch auf der amerikanischen Seite. So hat der Internal Revenue Service, die oberste US-Steuerbehörde, mit den Regelungen 99-14 und 2002-69 festgestellt, dass es sich beim Cross-Border-Leasing um Scheingeschäfte handeln kann, die keine Steuervorteile begründen. Oberndörfer von Ernst Young aber wiegelt ab: Die heutigen Verträge müssten als sogenannte "Service to contract"-Konstrukte betrachtet werden, die in den USA sehr wohl genehmigt seien. Oberndörfer kann auch aufklären, warum von Seiten des US-Staates solche Transaktionen gern gesehen werden. Auf lange Sicht könnten die Vorteile größer sein als die Nachteile der entgangenen Steuern. So sei nach 25 Jahren ein Verkauf an Dritte nicht mehr ausgeschlossen, was ein erhebliches wirtschaftliches Interesse der USA und ihrer Firmen begründen könnte. Vielleicht, so kann man im Moment nur spekulieren, wollen sich die Vereinigten Staaten langfristig Eigentum in Europa sichern. Wie sonst sollten die Amerikaner an kommunales Eigentum in Europa herankommen? Seltsam ist es jedenfalls schon, dass nur die USA solche Scheininvestitionen begünstigen. Hierzulande wächst allmählich der Widerstand gegen diese zweifelhaften Transaktionen. Im fränkischen Kulmbach hat ein Bürgerentscheid mit 85 Prozent Zustimmung die Verleasung der Klärwerke gestoppt, in Bochum Ende Februar eine Bürgerinitiative die erforderlichen 15.000 Stimmen für ein Bürgerbehren zusammen bekommen. Attac beginnt bundesweit, vor diesem Steuersparmodell zu warnen. Für Matthias Oberndörfer ist all das nur Ausdruck von Populismus. Das "hochmoderne Finanzierungsinstrument" sei einfach zu kompliziert, um in der Öffentlichkeit angemessen dargestellt zu werden, deshalb seien die Leute dagegen. Allerdings gäbe es auch erhebliche Risiken, die aber mit einer "geeigneten Vertragskonstruktion" ausgeschaltet werden könnten.Trotz solcher Beschwichtigungen ist ausgerechnet die bayerische CSU skeptisch geblieben. Im November 2002 wurde die geplante Verleasung der Fürther Klärwerke an einen US-Investor mit der Begründung zu hoher Risiken sogar verboten. Für Arnd Bühner, einen Kollegen von Oberndörfer bei Ernst Young, geht hier die Regierung eindeutig zu weit: "Der Vorstoß Bayerns schüttet das Kind mit dem Bade aus. Hier werden Millionen-Erträge verhindert und die Existenz einer ganzen Industrie gefährdet." Bühner geht es ums Geschäft, vor allem um das zukünftige: In einem Artikel für das Lokalblatt Gemeinderat, den er pikanterweise zusammen mit dem Nürnberger Finanzreferenten Wolfgang Köhler veröffentlichte, wird eine veränderte Vertragskonstruktion mit Laufzeiten von nur zehn Jahren gepriesen. Dass sich die Bayerische Staatsregierung mit solchen Zugeständnissen umstimmen lässt, ist aber vorerst nicht zu erwarten. Der Bayerische Finanzminister Faltlhauser kündigte Ende Januar eine Initiative Bayerns für ein bundesweites Verbot von riskanten Steuerkonstruktionen der Gemeinden an.Im Gegensatz zu Bayern hat das Bundesfinanzministerium bislang keinerlei Einwände gegen solche Transaktionen geäußert. Schließlich würden diese Leasinggeschäfte den deutschen Steuerzahler nicht belasten, so Eichels Staatssekretärin Barbara Hendricks. Doch das ist recht kurzsichtig gedacht: Im schlimmsten Fall können diese dubiosen Verträge einige Dutzend große Kommunen ruinieren, der Steuerzahler würde dann zur Kasse gebeten. Spätestens mit der Initiative Bayerns wird auch die Bundesregierung Stellung beziehen müssen.Wie wichtig eine gesamtstaatliche Lösung ist, zeigen die jüngsten Ausläufer der Cross-Border-Welle. So will der Berliner PDS-Kultursenator Thomas Flierl die Staatsoper verleasen, und der CDU-Kämmerer Horst Hemzal aus Frankfurt/Main bereitet einen Vertrag für die U-Bahn-Röhren der Stadt vor. Angesichts dieser Gefahren für Kultur und Infrastruktur hätte gerade die Bundesregierung, die mit ihrer unausgegorenen Finanzpolitik die Kommunen in die Enge getrieben hat, allen Grund, sich des Problems anzunehmen. Mit einer klaren gesetzlichen Regelung und einem Investitionsprogramm für die Kommunen könnte das Gespenst des Cross- Border-Leasings endlich verjagt werden.
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