Das Kapitel Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft aus Hegels Phänomenologie des Geistes ist schon häufig als Voraussetzung der Marxschen Entfremdungstheorie gewürdigt worden. Manchmal wurde Hegel allzusehr mit Marx verwechselt: Nachdem der Herr, der den Knecht töten konnte, ihn stattdessen zur Arbeit im ständigen Todes-Aufschub gezwungen hat, wird der Knecht schließlich dem müßigen Herrn durch die Arbeit überlegen. Hegels eigene Intention wirkt auf den ersten Blick "nur" philosophisch-abstrakt, aber die Geschichte der Arbeitsgesellschaft gibt ihm zunehmend Recht: Bei ihm scheitern beide, Herr und Knecht, daran, dass sie ihre Existenz aus der Selbstbehauptung im Gegeneinander gewinnen
der gewinnen wollen; und dass sie dabei einander "anerkennen", ändert wenig. In ihrer Adaption für die Bühne hat Gerburg Treusch-Dieter das Kapitel konsequent vor dem Hintergrund der neuen "Dienstleistungs"- und Arbeitslosen-Gesellschaft gelesen: der Herr hat dem Knecht eine "Arbeit gegeben, die zur Nichtarbeit geworden ist"; auf die Frage des Knechts, ob das denn auch noch eine Form des Todes-Aufschubs sei, antwortet er, jetzt bleibe "nur noch der Dienst, als Strafe dafür, dass du existierst". - Das Stück in 14 Szenen Ein Erstschlag der kein Letztschlag ist. Herr-Knecht-Spektakel für darstellende Erwerbsarbeit kam beim Themenwochenende Das Recht auf Faulheit der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zur Aufführung. Der Freitag bereitet eine Dokumentation des Wochenendes vor, dort wird es nachzulesen sein.Fünfte Szene: SCHLUSSFOLGERUNG(Herr und Knecht Auge in Auge.)Knecht: Spar dir deine Todesphilosophie!!Herr: Sie erspart dir nichts, aber mir! Sie verbilligt das Leben ungemein.Knecht: Auf das Gemeinste, da es dir ausschließlich als ein Negatives gilt!Herr: Als Nichts! Nur die reine Negativität der Tat -Knecht: Die alles negiert -Herr: Indem sie alles erschafft -Knecht: Gott!! Jetzt wiederholt er auch noch die Schöpfung aus dem Nichts!Herr: Gott ist tot! Wir machen unsere Geschichte selbst!Knecht: Durch Vernichtung und Ersatz!Herr: Auge in Auge mit unserer Endlichkeit!Knecht: Und Schlag um Schlag!Herr: In der Tat! Für den Fortschritt der Geschichte auf ihrem Weg zur Freiheit -Knecht: Zur absoluten Freiheit des Todes!Herr: Ist nur eins ausschlaggebend - der Erstschlag! (geht zum Tisch, nimmt Altarposition an der Vorderkante ein, schlägt das Buch auf) "Der Herr ist die Macht über dies Sein der Geschichte, denn er erwies im Kampfe, dass es ihm nur als ein Negatives gilt!"Knecht: (Hin-und-Her-Gang an der Rampe) Und dies Sein - an wem hängt es dran?! Am Knecht! Er treibt das Hamsterrad der Dialektik in dieser Geschichte mit seinen eigenen Händen und Füßen vorwärts! (geht zum Tisch) Und genau deshalb hast du Seite hunderteinundfünfzig nur halb zitiert! (steigt auf den Tisch) Denn Hegel sagt ebenso das Umgekehrte, dass ich "die Macht über diesen Anderen bin" - die Macht über dich!Herr: Toi toi toi, für die Umkehrung, die du vorhast! (setzt sich auf den rechten Stuhl an der Seitenkante des Tischs, legt die Beine auf den Tisch) Aber vergiss nicht, dass meine Begierde nach Macht dir vorausgesetzt ist: darum mein Erstschlag, du verstehst?! Von ihm aus gilt, wenn ich unsere Stelle zu Ende zitiere: "so hat der Herr in diesem Schlusse den Anderen unter sich!" (legt das Buch auf den Tisch)Knecht: Du brauchst eine Schlussfolgerung?! (Pause) Ein Erstschlag, der trifft, erledigt sie!Herr: Also haut ein Nachklapp, der sich zur Herrschaft erklärt, nicht hin!Knecht: Dein Erstschlag war kein Letztschlag, er ist ein Schluss ohne Schluss?! (Pause, steigt vom Tisch) Mit mir ist Schluss, ohne dass du Schluss gemacht hast?! (geht an die Rampe) Ich bin, lebend, getötet?!Herr: (von hinten) Aber du bist es?Knecht: (wendet sich um, Rücken zum Publikum) Was?Herr: Lebend.Knecht: Ja!Herr: Also bist du es nicht?Knecht: Was?Herr: Getötet.Knecht: Nein!Herr: Entscheide dich!Knecht: (in Kreuz-Position mit ausgestreckten Armen) Ich kann mich nicht entscheiden!! (zum Publikum) Mein Leben ist ein aufgeschobener Tod! Ich bin ein Nichts, das nicht vernichtet ist!Herr: (von hinten) Soll ich dir den Rest geben? (steht auf, geht auf Knecht zu)Knecht: Den hast du schon genommen!! (rammt seinen Kopf in den Bauch des Herrn, prallt ab)Herr: Der Kampf ist entschieden.Knecht: (Scheiß-Position) Als Nichts kann ich mich nicht vernichten.Sechste SzeneSEIN UND BEWUSSTSEIN(Herr stehend, Knecht in Scheiß-Position.)Herr: Deine Schlüsse fallen auf dich zurück! (geht zum rechten Stuhl an der Seitenkante des Tischs, setzt sich)Knecht: (steht auf) Meine Schlüsse stehen fest! (geht zum linken Stuhl an der Seitenkante des Tischs, setzt sich) Und sie beweisen, dass sie deine Trugschlüsse sind.Herr: Inwiefern?Knecht: Ich bin, als ein dich Anerkennendes, ein Nichts, also bist auch du es, als das von mir Anerkannte!Herr: Der Schein bestimmt das Bewusstsein?!Knecht: Nein. Das Sein! Denn "eben hieran ist der Knecht gehalten" - durch dich!Herr: Du selbst zitierst diesmal Seite hunderteinundfünfzig nur halb! Das Sein des Knechts ist "seine Kette, von der er" - Vorsicht, dass nicht wieder alles in die Hose geht - "im Kampfe nicht abstrahieren konnte und darum sich als unselbständig erwies"! Der Knecht selbst kettet sich ans Sein - nicht ich!Knecht: Nein - du! Sein selbständiges Sein wird durch dich ein unselbständiges, und als solches bestimmt es sein Bewusstsein!Herr: Sprich als Ich!Knecht: Bitte! Mein selbständiges Sein wird durch dich ein unselbständiges, und als solches bestimmt es mein Bewusstsein!Herr: (Schlag auf den Tisch) Tritt ab!Knecht: Wie bitte?Herr: (steht auf) Ich habe die Schnauze voll davon, dass du deine Unfähigkeit zur Autonomie mir als Autorität anlastest! Gratisprotestgeschrei, was die Verantwortung für die eigenen vollen Hosen stets dem Herrn, der Gesellschaft, den Verhältnissen anhängt! Steh dafür gerade, dass du verloren hast! Geh in dich! (fixiert den Knecht, über den Tisch gebeugt) Dein Sein ist selbständig, auch wenn es in Ketten liegt! Und wenn du nicht imstande bist, sie zu zerreißen, dann bleib drin!Knecht: (fixiert den Herrn, über den Tisch gebeugt) Komm mir nicht mit diesem christlichen Bußgeschrei: selbst schuld! Komm mir nicht mit dieser idealistischen Posaune: auch in Ketten kann man frei sein! Komm mir nicht mit diesem hundemäßigen Zynismus: meine Angst vor dem Verrecken sei meine Unfähigkeit zur Autonomie! Ich stopfe dir diesen Scheißdreck, der nichts weiter als die Ausnutzung meiner durch dich beschissenen Lage ist, in deine Schnauze zurück und gehe nicht in mich, sondern ab!! (geht nicht) Herr: Tschüss! (Knecht geht, bleibt stehen) Schiss?!Knecht: (geht zurück) Na ja - ich bin auf die Abendgage heute angewiesen!Herr: Von mir kriegst du sie nicht!! (geht zur Rampe, Knecht folgt, Herr zum Publikum) Sein Schiss vor meinem Tschüss, sein Schluss-machen-wollen ohne Schluss-machen-können, zeigt -Knecht: (zum Publikum) Dass meine Autonomie und meine Todesangst identisch sind.Herr: (packt Knecht) Und damit du diese unmittelbare Erfahrung vermittelt betreiben kannst (treibt ihn nach hinten unter den Tisch), biete ich dir (setzt sich auf den Tisch, nimmt das Buch, Beine gegrätscht auf den Stühlen), Seite hundertvierundfünfzig: "die Zucht des Dienstes und des Gehorsams" an! (legt das Buch auf den Nacken des Knechts)Knecht: (durch die Beine des Herrn) Danke, vielen Dank! (bellt)
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