Autopilot

Mobil III Die Zukunft auf Straße und Schiene

Bewegung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Und Mobilität steigert die Lebensqualität. Wer nicht mobil sein kann, fühlt sich sozial ausgegrenzt. Doch stößt die Beschleunigung irgendwann an ihre Grenzen? Allen Prognosen zufolge wird der Personen- und Güterverkehr in Deutschland und weltweit auch in den nächsten Jahrzehnten weiterhin kräftig wachsen - eine Entwicklung, die sich durch Verbote und Beschränkungen nicht stoppen lässt. Stattdessen sollen technische Neuerungen die damit für Umwelt und Gesellschaft verbundenen Probleme entschärfen. Anja Garms und Linda Tidwell beleuchten in dieser Folge unserer Mobilitätsserie neuere Entwicklungen der Verkehrsinfrastruktur: Alternative Antriebe, verbesserte Verkehrsleitsysteme und innovative Fahrzeugtechniken, die raschen Transport garantieren und gleichzeitig die Umweltbelastungen und die negativen sozialen Folgen reduzieren.

"Mobilität braucht Aktion" ist die Kernaussage einer Szenariostudie zur Mobilität im Jahr 2025, die das Institut für Mobilitätsforschung (ifmo) in Berlin im Jahr 2005 vorstellte. Der Verkehr wird auch im Jahr 2025 fließen - aber die Weichen dafür müssen heute gestellt werden, so die Botschaft der Studie. Um mobil zu bleiben, müssen in Zukunft mehr intelligente Techniken genutzt werden, aber es kann sein, dass die Nutzer auch mehr für Mobilität bezahlen müssen, so das Fazit vieler Verkehrsexperten.

Vollautomatisiert durch die Straßen

Auf dem Autosektor tut sich bereits einiges: da gibt es beispielsweise das neue Luxusmodell Lexus LS 460 von Toyota, ein Fahrzeug, das mit Sensoren, Kameras und Bordcomputern ausgestattet ist. Zudem gibt es viele weitere Funktionen, die beim Lenken und Bremsen unterstützen und helfen, Gefahren zu erkennen und wach zu bleiben. Das Fahrzeug fährt nahezu vollautomatisch - lediglich den Finger muss der Fahrer ab und zu auf das Lenkrad legen. Es erkennt Nebel oder Nässe und funkt die Informationen zur Zentrale, von wo aus alle anderen Fahrzeuge mit dieser Ausstattung informiert werden. Das Auto der Zukunft erfasst seine Umwelt also von ganz allein.

Diese Automatisierung ist keineswegs nur technischer Luxus, sondern unerlässlich, denn 2050 wird ein Drittel der Bevölkerung älter als 60 Jahre alt sein. Doch während viele der heutigen Senioren überhaupt keinen Führerschein besitzen, wird die künftige ältere Generation, das prognostizieren Umfragen, die das Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin durchgeführt haben, mobiler sein und mehr Auto fahren.

Abgehängtes Land

Doch der demografische Wandel hat auch noch andere Folgen. Zu den ersten Opfern der sinkenden Bevölkerungszahlen könnte der öffentliche Nahverkehr und die Eisenbahn zählen. Nach einer Studie des Verkehrswissenschaftlers Hartmut Topp von der TU Kaiserslautern werden bis zum Jahr 2050 die Fahrgastzahlen bei Bus und Bahn um ein Drittel sinken.

Ob wir im Jahr 2050 überhaupt noch die Wahl zwischen einem öffentlichen Verkehrsmittel oder dem Auto haben, hängt wahrscheinlich davon ab, wo wir leben. Zumindest "Landeier" werden lange warten müssen, bis ein Bus kommt. Oder gar ein Zug. Kommt es so wie die Experten vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin erwarten, wird die heute noch einigermaßen akzeptable ländliche Infrastruktur in 50 Jahren weitgehend zerfallen sein. Viele Geschäfte, Ärzte und andere Dienstleister sind dann weit entfernt - und vielleicht muss man die Kinder ins übernächste Dorf in die Schule schicken.

Kaum öffentlicher Nahverkehr mehr in der Fläche, sieht man von gelegentlichen Schulbussen ab. Und vielleicht ein paar Sammeltaxis, lokal organisiert. Wer auf dem Land wohnen bleibt, ist dann auf das Auto angewiesen, um etwas zu erleben. "Das muss jedoch nicht zwangsläufig so sein", meint der Verkehrswissenschaftler Volker Eichmann, denn gerade der demografische Wandel fordert die Frage heraus, ob "wir es nicht anders machen" könnten. Ein Beispiel ist das "Karlsruher Modell", mit dem durch die Verknüpfung der Straßenbahn mit dem Streckennetz der Deutschen Bundesbahn eine Anbindung an das Umland geschaffen wurde (siehe Kasten).

Doch trotz derzeit steigender Angebote im Öffentlichen Nahverkehr deuten die Prognosen auf eine weltweit ungebremste Motorisierung hin: die Anzahl der Autos wird bis zum Jahr 2030 von 500 Millionen auf bis zu 2,5 Milliarden angestiegen sein. Es scheint, als hätten Bus und Bahn, ungeachtet der steigenden Spritkosten, die Wettfahrt gegen das Auto längst verloren.

Volker Eichmann allerdings sieht das anders: "Öffentliche Verkehrsmittel und das Auto sollten nicht immer als Gegner betrachtet werden. Denn nicht immer ist das Auto das geeignetere Transportmittel - in vielen Fällen erweist sich beispielsweise die Bahn als praktischer. Die Frage der Zukunft sollte daher eher lauten: Wie könnte ein Mix aus beiden aussehen?"

Auch hier ist man in der Erfinderwerkstatt fleißig. Mit dem "Elektromobil" aus der Schweiz kann man nicht nur quer einparken, sondern auch quer in dafür vorgesehene Züge ein- und ausfahren. Damit vergrößert sich der eigene Aktionsradius ungemein. In Kalifornien, wo der Gesetzgeber den Automobilherstellern strenge Umweltschutz-Auflagen vorschreibt, sind schon mehrere der Schweizer Elektromobil-Prototypen im täglichen Einsatz.

Platzfresser, Platzsparer

Auch im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sollen zukünftig vermehrt neue Antriebstechnologien erprobt werden. Geplant sind beispielsweise Busse mit einem so genannten Magnetmotor mit Elektro-Speicher. Allerdings krankt der ÖPNV derzeit an einer ineffizienten Finanzierung - besonders im ländlichen Raum sind die Finanzierungsstrukturen unausgereift. "Viele Verkehrsmittelträger sollten sich mehr an den Fahrgastbedürfnissen orientieren. Es wird gerne mal schöne neue Technik angeschafft, die teuer und zu wenig am Fahrgast orientiert ist", sagt Eichmann. Durch die in vielen Bundesländern anstehende Regionalisierung des ÖPNV könnte für jede Region das optimale öffentliche Verkehrsangebot realisiert werden.

Verkehrsforscher Eichmann sieht viel Zukunftspotenzial im Öffentlichen Personennahverkehr. Insbesondere beim Thema Umwelt ist er dem Auto etwas überlegen, denn ein eigenes Auto braucht Platz. Viel Platz - zumeist zum Stehen. Zunächst einen Parkplatz vor der eigenen Haustür, dann einen vor der Arbeitsstelle. Und abends, vor dem Kino oder der Gaststätte oder bei Freunden, muss der eigene Wagen wieder irgendwo untergebracht werden. Insgesamt etwa 23 Stunden täglich. Zwischendurch wird der Wagen eine Stunde auf asphaltierten Straßen hin und her bewegt - von einem Stehplatz zum anderen. Laut BUND müssen drei bis fünf solcher Parkplätze für einen PKW asphaltiert werden. Ein Parkplatz benötigt etwa 20 bis 25 Quadratmeter Fläche und etwa die Hälfte dieser Plätze entsteht in der Stadt für die Bewohner und Pendler. "Im Flächenverbrauch ist der Öffentliche Nahverkehr einfach unschlagbar", sagt Eichmann.

Nach wie vor größtes Problem auf der Straße (und auf der Schiene?) wird allerdings nicht der Personen-, sondern der Güterverkehr sein, denn dieser wächst den Prognosen zufolge in Europa schon in den kommenden 20 Jahren um bis zu 100 Prozent. Mit welchem Treibstoff die LKWs künftig betrieben werden, ist derzeit ungewiss, vermutlich werden verschiedene Technologien zur Verfügung stehen. Eines aber ist sicher: egal ob die Brennstoffzellentechnik marktreif ist, der Tank mit Wasserstoff gefüllt oder ein anderer alternativer Kraftstoff angeboten wird: Fortbewegungsenergie wird teuer sein - in Zukunft mehr noch als heute. Zu hoffen ist, dass dabei wenigstens die Umwelt nicht auf der Strecke bleibt.


Entwicklung des Öffentlichen Personenverkehrs 2006 in Deutschland

- Der erste Linienbetrieb mit motorisierten Omnibussen in Deutschland wurde von der Netphener Omnibusgesellschaft im Jahre 1895 eingeführt.

- Der Deckungsgrad der Betriebskosten des ÖPNV liegt in Deutschland derzeit bei rund 70 Prozent mit weiter steigender Tendenz.

- Im Liniennahverkehr mit Bussen und Bahnen wurden von den Fahrgästen voraussichtlich rund 10,2 Milliarden Fahrten unternommen, das waren zwei Prozent mehr als im Jahr 2005.

- Vor allem die schienengebundenen Verkehrsmittel wurden im Jahr 2006 stärker genutzt als im Vorjahr. So wuchsen die Fahrgastzahlen bei den Eisenbahnen (einschließlich S-Bahnen) um 3,5 Prozent und bei den Straßenbahnen (einschließlich Stadtbahnen, U-Bahnen, Schwebebahnen) um 1,7 Prozent.

- Auch im Fernverkehr war die Schiene der Wachstumsträger. Fernreisende benutzten 122 Millionen Mal die Eisenbahn, das waren 2,5 Prozent mehr Fahrten als im Jahr 2005. Die Beförderungsleistung wuchs hier um 3,8 Prozent auf 35 Milliarden Personenkilometer, da die durchschnittliche Reiseweite von 283 Kilometer auf 287 Kilometer gestiegen ist.

- Der Personenverkehr in der Luftfahrt wuchs im Jahr 2006 nicht ganz so stark wie in den zurückliegenden Jahren: Mit 154 Millionen Fluggästen wurde 2006 gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 5,5 Prozent verzeichnet (2005: + 7,2 Prozent, 2004: + 9,4 Prozent). Die starke Zunahme im Juni aufgrund der Fußball-Weltmeisterschaft (+ zehn Prozent) wurde dabei durch unterdurchschnittliche Wachstumsraten in anderen Monaten abgeschwächt. Im Verkehr mit dem Ausland stieg die Zahl der Fluggäste im Jahr 2006 um 5,5 Prozent auf 131 Millionen Passagiere, das Inlandsaufkommen (23 Millionen Fluggäste) wuchs um fünf Prozent.

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