Autor an Figur

Was läuft Über das Besondere im Seriennormalbetrieb und „Pretty Little Liars“. Spoiler-Anteil: 9 Prozent
Ausgabe 13/2016

Soweit ich das rekonstruieren kann, habe ich den Anschluss im Jahr 2011 verloren. Bis dahin war ich bei den zentralen Qualitätsserien, die den Diskurs in den Feuilletons und im Freundeskreis bestimmen, halbwegs up to date geblieben. Die vierte Staffel Breaking Bad habe ich dann allerdings ebenso links liegen gelassen wie im Jahr darauf die fünfte Staffel Mad Men. Schwer zu sagen, ob das daran lag, dass die Serien der HBO-AMC-Traditionslinie tatsächlich über die Jahre hinweg uninteressanter geworden sind, weil sie vor allem bildästhetisch konsolidierter daherkommen, oder ob sich nur meine eigenen Ambivalenzrezeptoren abgenutzt haben.

Jedenfalls zieht es mich seit einiger Zeit und von Jahr zu Jahr stärker zum (vermeintlichen) televisuellen Fast Food; zu jenem Seriennormalbetrieb, der in den USA ein schrumpfendes, aber immer noch riesiges Publikum mit Aktualisierungen gut abgehangener Genreformeln versorgt. (Wobei mir schon wichtig ist, dass die Serien ein gewisses filmtechnisches Grundniveau nicht unterschreiten – mich interessiert nicht Trash, sondern gut gemachter Trash.)

Von den Qualitätsserien unterscheidet sich der Seriennormalbetrieb schon durch das abverlangte Zeitinvestment: 24 Folgen à 40 Minuten (Drama) beziehungsweise 20 Minuten (Comedy) umfasst eine Jahresstaffel für gewöhnlich, und da sich für die großen Sender die Sache erst ab der 100. Episode wirklich rechnet, sind fünf Staffeln das Minimum. Also nichts, was man mit ein, zwei Binge-Watching-Wochenenden erledigen könnte. Echtes commitment ist gefragt. Das heißt aber eben auch: Man verbringt mit den Figuren einer erfolgreichen Mainstream-Serie nicht nur ein paar spannende Stunden (quality time), sondern man beginnt, seinen Alltag mit ihnen zu teilen. Besonders prägnant ist dieser Effekt bei Sitcoms: Nach zehn Staffeln Friends würde man sich kaum noch wundern, beim Nachhausekommen statt der eigenen Partnerin Chandler und Monica auf dem heimischen Sofa anzutreffen.

In letzter Zeit habe ich allerdings vor allem das fast noch ein wenig uncoolere Genre der Primetime-Soap für mich entdeckt. Derzeit – und wohl noch für einige Monate – arbeite ich mich zum Beispiel durch die Teeny-Highschool-Serie Pretty Little Liars (Freeform). Die spielt in der fiktiven Kleinstadt Rosewood und handelt von vier Freundinnen, die der mysteriöse Tod einer fünften noch enger zusammengeschweißt hat. Zwischen Schulalltag, erstaunlich lebensnah beschriebenem Kleinstadt- und Familienterror und boyfriend (in einem Fall: girlfriend) trouble gilt es für die vier, einer Verschwörung auf die Spur zu kommen, die ihren Ausgangspunkt eben beim Todesfall nimmt, die aber bereits in der zweiten Staffel erstaunlich weite und zunehmend bizarre Kreise zieht.

Pretty Little Liars ist offensichtlich eine Serie ohne Masterplan. Mysterium türmt sich auf Mysterium, jedes halb (und zumeist eher hanebüchen) gelöste Rätsel zieht umgehend drei neue nach sich. Ihre exponenziell zunehmende Unwahrscheinlichkeit ist allerdings gerade die eigentliche Attraktion der Erzählung: Denn irgendwie muss die Serie, und muss innerhalb der Serie auch der ganz gewöhnliche Alltag der Protagonistinnen, trotz allem weitergehen. Pretty Little Liars scheint in jeder einzelnen Episode eine Wette auf ihre eigene Fortsetzbarkeit abzuschließen. Im Ergebnis ist das ein narratives Vabanquespiel, das durch eine selbstreflexive Pointe zusätzlich an Reiz gewinnt: Die Hauptfiguren erhalten regelmäßig Nachrichten von einer geheimnisvollen, anscheinend allwissenden, im Bild lediglich als schwarz behandschuhter Arm manifeste Entität namens „A“, die sich einen Spaß macht, die vier (und mit ihnen das Publikum) an der Nase herumzuführen. Als würden die Drehbuchautoren mit ihren eigenen Figuren kommunizieren.

Also nicht nur: „Wer ist der Mörder?“, sondern außerdem: „Wer ist A?“ Und natürlich: Wird es Aria auch weiterhin gelingen, ihre Beziehung mit dem süßen Englischlehrer Ezra Fitz geheim zu halten? Überhaupt, die Namen: Aria Montgomery, Ezra Fitz, Spencer Hastings, Mona Vanderwaal – Letztere ist seit einem gleichfalls mysteriösen Unfall blind, besonders bitchy und hat Sex mit ihrem Stiefbruder.

Ich kann mir nicht helfen: Mich fasziniert das alles mehr als die Frage, ob Walter White am Ende doch noch geschnappt wurde (wobei, okay, zugegeben, inzwischen habe ich auch da meiner Neugier nachgegeben).

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden