B-Movie mit Starensemble

E-Musik „Rigoletto“ in der Staatsoper unter den Linden versucht sich an der Dekadenz einer militaristischen Männergesellschaft – und scheitert

Sicherheitshalber frage ich den Starkritiker in der Pause: Stimmt da etwas mit meinen Ohren nicht, oder wird auf der Bühne geschrien?“ „Es wird geschrien“, bestätigt er. Leider ist das nicht nur eine Frage der Lautstärke. Wenn der amerikanische Tenor Michael Fabiano als Herzog von Mantua im letzten Akt – die Tragödie ist nicht mehr aufzuhalten – sein La donna è mobile wie einen Gassenhauer schmettert, nein, brüllt, fehlt jede dämonische Schlüpfrigkeit des zügellosen Weiberhelden. Der große Dirigent Zubin Mehta hat einmal gesagt, dieser Schlager sei eigentlich ein langsamer Walzer, und Rigoletto ein „sehr dunkles und trauriges Stück, das mit Gelächter beginnt und doch eigentlich nur vom Weinen handelt“.

Für beides wäre vor allem der Titelheld zuständig. Der Hofnarr Rigoletto ist zunächst ein widerlicher Speichellecker, der seinen Fürsten anstachelt. Erst als seine eigene Tochter Gilda missbraucht wird, wendet sich seine Rachsucht gegen den Fürsten. Rigoletto ist ein Finsterling, der aus Versehen zur tragischen Figur wird und das einzige verliert, was er wirklich liebt, seine Tochter. Aber auch der große Bariton Christopher Maltman röhrt nur, dass sich die Art-Deco-Balken biegen. Polternde Aufgeregtheit statt Seelendrama. Auch Andrés Orozco-Estrada am Pult lässt es zügellos krachen, als wär´s ein Open-Air-Konzert.

Durch und durch konventionell

Irgend etwas muss sich doch wenigstens der amerikanische Starregisseur Bartlett Sher gedacht haben. Auf der Bühne steht der Herrenchor der Staatsoper in Naziuniformen, und schwarzen Wintermänteln herum. Aha! Die Handlung ist verlegt aus der italienischen Renaissance in die Weimarer Republik. Wände und Zwischenvorhänge sind bedeckt mit Gemälden von George Grosz. Die Dekadenz einer militaristischen Männergesellschaft ist zu besichtigen. Aber das ist leider nur die visuelle Oberfläche einer durch und durch konventionellen, ja einfallslosen Regie.

Wo steckt der Kern des Scheiterns? Diese Premiere der Staatsoper unter den Linden ist eine Koproduktion mit der Metropolitan Opera in New York. Mag sein, dass dort die höchsten Gagen und teuersten Tickets bezahlt werden. Für das intelligenteste Regietheater und musikalische Raffinesse ist sie nicht berühmt. Was unter den Linden zu hören und sehen war – und später in New York – ist Opernhollywood ohne jeden Tiefgang. Ein B-Movie mit Starensemble, aus dem nur die Gilda der aus Florida stammenden Nadine Sierra positiv heraussticht.

Die große Herausforderung bei Rigoletto wäre es gewesen, die atemberaubende Banalität des Geschehens als Urgrund einer menschlichen Katastrophe zu interpretieren. Rigoletto mutiert aus eigener Schuld zum armen Schwein: Das Gelächter bleibt ihm Halse stecken, und dem Publikum stockt der Atem. Das ist die grandiose Kraft dieser unsterblichen Oper.In der Staatsoper bleibt nichts stecken und stockt nichts. Ein musikalisch gut geöltes Schmierenstück rauscht mit Karacho über die Rampe.

Den meisten Leuten hat der Abend übrigens gefallen. Aus verschiedenen Motiven. Die einen sind entzückt über „Oper wie vor dreißig Jahren“, also vor dem Siegeszug des Regietheaters. Anderen gefällt, dass keinerlei Gedankenschwere das Wunschkonzert stört. Und einalter Mann sagt zu seiner Frau: „Herrlich, ich habe gar kein Hörgerät gebraucht“.

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