Die Gegner des Freihandelsabkommens TTIP haben zur Pressekonferenz geladen. Auf dem Podium im DGB-Haus sitzen die Chefs vieler großer Organisationen – vom Umweltverband BUND bis zum Deutschen Kulturrat. Sie präsentieren heute ihre Pläne für die Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin. Aber nicht bei allen Fragen der Journalisten sind die Repräsentanten sattelfest. Direkt vor ihnen in der ersten Stuhlreihe sitzt ein großer Mann in beigem Kapuzenanorak mit ergrautem Haar. Ab und zu gibt er ein Zeichen in Richtung Podium, manchmal nickt er. Aber er sagt nichts. Seine angespannte Körperhaltung zeigt: Das fällt ihm nicht leicht.
Der Mann in der ersten Reihe heißt Ernst-Christoph Stolper. Der frühere grüne Staatssekretär im
är im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium ist einer der klügsten Köpfe der neuen Anti-TTIP-Bewegung. Gegen das Handelsabkommen zwischen der EU und den USA ist seit dem Start der Verhandlungen im Jahr 2013 eine breite Protestbewegung entstanden, die von Gewerkschaften, Menschenrechtlern, Verbraucherschützern und anderen NGOs getragen wird. Sie fürchten, dass mit dem Abkommen Verbraucherschutzrechte ausgehöhlt, Öko- und Sozialstandards aufgeweicht werden. Sie warnen davor, dass die Industrie zu großen Einfluss auf politische Entscheidungen bekommt. Es gibt aber auch Bedenken, die man in der Öffentlichkeit nur selten hört: „Das Abkommen schürt internationale Konflikte“, sagt Stolper. China und Russland würden sicher nicht einfach hinnehmen, dass USA und EU ihnen einen mächtigen Wirtschaftsblock entgegensetzen, da ist der diplomierte Politikwissenschaftler überzeugt.Keine Versammlung zu kleinDer ehrenamtliche TTIP-Experte des BUND könnte finanziell abgesichert seinen vorzeitigen Ruhestand genießen oder wie andere ehemalige grüne Staatssekretäre sein Wissen und seine Kontakte als teurer Berater zu Markte tragen. Doch der 55-Jährige hat sich für einen anderen, für Grüne seines Kalibers ungewöhnlichen Weg entschieden. Ob im Alten Gasthaus Porten Leve in Warendorf, in einer Kneipe in Neuwied oder im Gewerkschaftshaus Frankenthal – kein Ort und keine Versammlung zwischen Kiel und München ist ihm zu klein, um gegen TTIP zu mobilisieren. Bei Konferenzen in Paris, Brüssel oder Berlin knüpft er internationale Netzwerke gegen das geplante Abkommen. Stolper ist Sprecher der europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“. Eine Million Unterschriften wollte die Initiative beim Start im Oktober 2014 sammeln, inzwischen hat sie bereits mehr als 2,6 Millionen. „Wir sind zuversichtlich, bis zum kommenden Oktober drei Millionen zu erreichen“, sagt Stolper. Dann sollen die Unterschriften der EU-Kommission übergeben werden.„Die Protestbewegung gegen TTIP ist die größte seit der Friedensbewegung in den 80er Jahren“, meint Stolper. Damals hat er als Mitglied des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung die großen Bonner Kundgebungen organisiert. Heute bereitet er als Teil des Organisationskomitees die Anti-TTIP-Demo am 10. Oktober vor – ein zufällig gewähltes, aber historisches Datum. Am 10. Oktober 1981 fand die erste der legendären Friedensdemonstrationen statt. „Für mich ist es ein bisschen back to the roots“, sagt Stolper.Vom Schülersprecher zum StaatssekretärIn der Friedensbewegung aktiv war Stolper als Jungdemokrat. Als Schülersprecher war der gebürtige Duisburger Ende der 70er Jahre zur damaligen Jugendorganisation der FDP gekommen. Die galt seinerzeit als progressiv. Im Ruhrgebiet kam es für junge Linksliberale nicht in Frage, in die dort stockkonservative SPD einzutreten. Als die FDP 1982 die Koalition mit der SPD beendete und zu Helmut Kohl überlief, kam der Bruch. Die Jungdemokraten wurden parteiunabhängig, Stolper blieb dort aktiv, stieg zum Bundesvorsitzenden auf, trat aber zudem bei den Grünen ein.Dann begann seine Karriere in der Partei. Als die erste rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen 1995 an den Start ging, machte die Umweltministerin Bärbel Höhn – für die er schon im Landtag gearbeitet hatte – ihn erst zu ihrem Büroleiter, dann zum Abteilungsleiter im Umweltministerium. Stolper gilt als einer der Machtarithmetiker in der Regierungspolitik. Die Grünen profitierten von seinen Erfahrungen als Vertreter der Jungdemokraten in der Friedensbewegung oder dem Verband der Studentenvertretungen. Dort hatte er die Jungdemokraten vertreten und sich behauptet gegen den DKP-nahen MSB Spartakus oder die Juso-Hochschulgruppen. Es war eine hervorragende Vorbereitung auf den schwierigen Umgang mit notorischen Grünen-Verachtern wie den späteren SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement (1998-2002) und Peer Steinbrück (2002-2005). Als 2005 die CDU das Ruder in NRW übernahm, blieb Stolper Abteilungsleiter im Umweltministerium – weil er kein politischer Beamter war, konnte die CDU ihn nicht entsorgen.Als in Rheinland-Pfalz 2011 Rot-Grün die Regierung stellte, holte die grüne Umwelt- und Wirtschaftsministerin Eveline Lemke Stolper als Staatssekretär. Doch bei den gemütlichen pfälzischen Sozialdemokraten und Grünen kamen die an Clement und Steinbrück erprobten Techniken nicht gut an. Stolper galt schnell als Rabauke, der rücksichtslos seine Ellenbogen ausfährt. Das war aber nicht das einzige Problem. „Wenn Stolper meint, dass er es besser weiß als die Ministerin, verbirgt er das nicht“, sagen Wegbegleiter. In der Tat leidet Stolper nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein. Lemke warf ihn im Juni 2012 raus.Stolper blieb in Rheinland-Pfalz. Mit seinem Leben in der öffentlichen Verwaltung hat er abgeschlossen. Mit der Politik nicht. „Ich glaube, dass man außerparlamentarisch mehr erreichen kann als parlamentarisch“, sagt er heute. Ganz back to the roots.