Backstage mit Johnny Cash

Countrymusik Mit seinem grandiosen Buch macht Franz Dobler Leser zu Fans
Ausgabe 48/2021
Johnny Cash bei einem Konzert in Deutschland, 1980
Johnny Cash bei einem Konzert in Deutschland, 1980

Foto: United Archives/Imago

Wenn aus aufrichtiger Begeisterung profundes Wissen entsteht, dazu noch die Fähigkeit kommt, dieses Wissen in einer mitreißenden Erzählung zu bündeln, dann fällt so ein über 400 Seiten starkes Standardwerk wie Franz Doblers The Beast in Me: ... Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik vom Himmel. Bereits 2002, zum 70. Geburtstag von Johnny Cash erschienen, mischte der Journalist, Schriftsteller und DJ die Musikwelt gehörig auf. Im deutschsprachigen Raum hatte schlichtweg noch niemand so jeglicher Folklorisierung abhold – anhand der Biografie einer Schlüsselfigur –, die wirklichen Dimensionen eines Musikgenres ausgelotet. Eines Genres dazu noch, das von Klischees, Missverständnissen und Interessen der Vermarktung dermaßen zugemüllt und von rechts-reaktionären Kräften gekapert wurde, dass der wahrhaftige Kern, seine wirkliche Kunst, kaum noch sichtbar war.

Es brauchte diesen unbestechlichen Blick Franz Doblers, mit seinem unnachahmlichen sprachlichen Sound, um die Schönheit, Ab- und Tiefgründigkeit der Countrymusik einem deutschsprachigen Publikum ungefiltert nahezubringen. Plötzlich war Countrymusik nicht mehr die Musik hinterwäldlerischer Rednecks, die in Glitzerkostümen eine Heimat, die es nie gegeben hat, besangen. Nun war das Genre bevölkert von zerrissenen, einsamen Gestalten, die ihren Schmerz, ihre Sehnsucht und ihre Freuden genauso wahrhaftig wie im Blues oder Soul ausdrückten. Und gerade Johnny Cashs Leben stand für diesen Kampf um echte Anerkennung jenseits der Interessen einer Musikindustrie, die auch aus ihm gerne einen harmlosen patriotischen Cowboy gemacht hätte. Das mittlerweile ikonische Foto, auf dem er dieser Industrie den Stinkefinger entgegenhält, zeugt ebenso davon wie die legendären American Recordings am Ende seines Lebens, auf denen er, mit der Hilfe des Hip-Hop- und Heavy-Metal-Produzenten Rick Rubin, noch einmal aus der ganzen Fülle seiner Ausdruckskraft schöpft. Ergreifend und beglückend zugleich. Dieses letzte große Werk nimmt denn auch einen großen Platz am Ende des Buches ein, und es ist schlicht mitreißend, wie Dobler die Leserschaft quasi in den Backstagebereich einer Legende mitnimmt.

Nun ist das Buch mit einem neuen Vorwort des Autors neu aufgelegt worden und im Gegensatz zu damals ist die beschriebene Musik durch die kleinen Apparate, die wir nun alle mit uns führen, in Sekundenschnelle abrufbar. So kann man kaum eine Seite lesen, ohne eine weitere obskure Empfehlung gleich zu streamen und dann begeistert da hängenzubleiben. Zum Beispiel bei der schwarzen Countrysängerin Miko Marks and the Resurrectors.

Tatsächlich ist die Welt nun eine andere, und gerade das macht jedoch klar, welche Gültigkeit und Tragweite in der Countrymusik steckt. Die Songs altern nicht nur gut, sie erlangen angesichts der systemischen Krisen in unserer Gegenwart sogar neue Brisanz und Gewicht. Selbst der dem Country eigene Galgenhumor wirkt angesichts des fortschreitenden gesellschaftlichen Zerfalls alles andere als deplatziert. So transzendieren individuelle Outlaw-Erzählungen zu Metaphern einer langsam in die Knie gehenden Welt, in der zwischen Wahrheit und Lüge kaum noch unterschieden werden kann und entfesselte Profitgier direkt ins Chaos führen wird. Da erklingen die Stimmen einiger Aufrechter und Wahrhaftiger umso klarer und eindringlicher. Da stimmt es eben wirklich, dass man mit drei Akkorden und der Wahrheit jedes Herz erreichen und auch trösten kann.

Wer sich also wirklich ernsthaft mit Countrymusik beschäftigen will, kommt um dieses grandiose Buch nicht herum. Danach ist man ein ebenso großer Fan wie Franz Dobler.

The Beast in Me. Johnny Cash: ... und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik Franz Dobler Heyne 2021, 421 S., 15 €

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