Balancieren auf dem Hochseil

Griechenland Die Umbildung des Kabinetts dürfte nur das Vorspiel zu Neuwahlen im kommenden Herbst sein
Ausgabe 30/2015
Es brennt in Athen
Es brennt in Athen

Foto: Andreas Solaro/AFP/Getty Images

Gerüchte besagen, es habe einen Plan B gegeben, in den der entlassene Energieminister Panagiotis Lafazanis als Sprecher der linken Syriza-Plattform eingeweiht war. Statt die Brüsseler Auflagen anzunehmen, war daran gedacht, in einer Art Coup d’État Notenbankchef Yanis Stournaras abzusetzen und sich eines Depots von 22 Milliarden Euro zu versichern, um Renten und Gehälter auszuzahlen. Zugleich sollte mittels einer temporären Ersatzwährung die Zeitspanne bis zur Rückkehr der Drachme überbrückt werden. Premier Alexis Tsipras wollte von einem solchen Abenteuer nichts wissen. Die sozialen Netzwerke bevorzugen nun folgendes Karikaturmotiv: Lafazanis und drei seiner Vertrauten als Dalton-Brothers unterwegs zur Zentralbank.

Inzwischen musste Lafazanis ebenso demissionieren wie Vizesozialminister Dimitris Stratoulis und sieben weitere Ressortchefs. Es geht ein Riss durch Syriza. Noch vor dem Parlamentsvotum über das Brüsseler Paket hatte sich eine Mehrheit des 200-köpfigen Zentralkomitees gegen ein drittes Memorandum ausgesprochen. Es entsprach diesem Stimmungsbild, dass 39 von 149 Syriza-Parlamentariern dem Premier bei der Abstimmung über die neuen Sparauflagen die Gefolgschaft verweigerten. Ungeachtet dessen ließ die linke Plattform danach wissen, sie stehe weiter zur Regierung. Doch was heißt das? Wird nun jede Parlamentsentscheidung für Tsipras zum Drahtseilakt?

Vielleicht fiel auch deshalb die fällige Kabinettsrevision weniger spektakulär aus als erwartet. Lafazanis wird als Energieminister vom bisherigen Arbeitsminister Panos Skourletis beerbt, der sich fortan mit den anstehenden Privatisierungen beschäftigen muss. Ansonsten wurden so wenig Stühle wie möglich gerückt, um den Eindruck eines totalen Neustarts zu vermeiden. Efklidis Tsakalotos bleibt Finanzminister, Nikos Kotzias Außenminister, der Koalitionär Anel erhält weitere Posten – es gehe um „Anpassung an die neue Realität“, so der Regierungschef. Sollte die Syriza-Anel-Koalition bei den nächsten Parlamentsvoten weniger als 120 eigene Abgeordnete für sich gewinnen, muss laut Verfassung eine Übergangsregierung gebildet werden, die Neuwahlen anberaumt. Käme es dazu, wären die Verhandlungen über das dritte Hilfspaket gefährdet. Sich darüber bald zu einigen, ist aber unverzichtbar, um die Finanzierung des Landes zu sichern.

Viel spricht dafür, dass es im Herbst Neuwahlen gibt, die Tsipras aller Wahrscheinlichkeit nach haushoch gewinnt, sofern er bis dahin durchhält. Einerseits wünschen sich nach jüngsten Umfragen 70 Prozent der Bürger einen Konsens mit den Geldgebern, um einen Grexit zu vermeiden; andererseits wollen Oppositionsparteien wie die Nea Dimokratia Tsipras keinen Blankoscheck zum Regieren ausstellen, sollte er ihre Stimmen in der Legislative weiter brauchen. Nicht auszuschließen, dass sich der Premier schon früher ein neues Mandat verschaffen muss. Der Wahltermin wird auch davon abhängen, ob Syriza als Partei erhalten bleibt oder sich spaltet.

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