Lexikon Der Ballermann-Hit „Layla“ soll auf Stadtfesten nicht gespielt werden, weil er eine Prostituierte als „schöner, jünger, geiler“ besingt. Wie konnte der Endreim so tief sinken? Was wir aus Goethes „Faust“ lernen und Werbetexter wissen
Was haben Goethes „Faust“, der sexistische Ballermann-Hit „Layla" und Trinksprüche gemeinsam? Sie reimen sich
Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz
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Al Bano Ich war ein Kind und sah sie im DDR-Fernsehen – Al Bano und Romina Power. Besonders er beeindruckte mich, schwarzhaarig, lässig, beim Singen die Hand in der Hosentasche. Felicità war der erste italienische Schlager, den ich hörte, jenes „von allen Subtilitäten befreite“ Lied, wie es Eric Pfeil in seinem neuen Buch Azzurro: Mit 100 Songs durch Italien definiert. Es war die deutsche Illusion von Italianità. Damals auch meine. Was Glück ist? Vino-Panino. Canzone-Amore. So einfach. Vor ein paar Jahren hat die Crucchi Gang Songs von Element Of Crime und anderen Deutschpopgurus italianisiert, wie etwa Bungalow von der österreichischen Band Bilderbuch: „Dann rufst du an auf meinem Handy, und da bist du wieder candy“, hei
rufst du an auf meinem Handy, und da bist du wieder candy“, heißt es im Original, auf Italienisch wird daraus: „Mi chiami al cellulare, mi chiedi vieni al mare. „Auch der Sound klingt nach Sommer. Simpel, aber kein Kitsch. Ciao, Kakao!Maxi Leinkauf BB-Ware Gedichte, sagt der Mann im Café neben mir sitzend, die sind schon für ein sehr kleines Publikum geschrieben. Wer musste die kleinen fiesen Biester nicht in der Schule entwerfen und scheiterte an diesen wenigen Zeilen rhythmischen Anspruchs? Wenn der Dreh sich nicht einstellte und die Regeln so einfach schienen. Apropos Regeln: Es ist wohl wie mit dem Gehen. Denkt man drüber nach, stolpert man. Jahrzehnte nach meinen erfolglosen Reimen begann ich kurze Zeilen zu schreiben. Ohne Anlass, ohne darüber nachzudenken. Ich definierte diese als „Kurzzeiler“; die Bezeichnung „Gedicht“ war mir nicht in den Sinn gekommen. Als ich die Sammlung dieser Texte später in meinem Band Haltestellenprosa herausgebracht habe, da lernte ich, dass das zumindest für die Lesenden „Gedichte“ sind. Ob ich denn Vorbilder hätte, fragt der Mann, während er die Schwarzwälder Kirsch zum Mund führt. Ich schüttele den Kopf. „Keine Vorbilder?“ Ich zucke mit den Schultern. „Dann ist das Kunst (➝ Zechen).“ Jan C. BehmannFFaust Der Reim ist, nach Vorläufern im alten China, im europäischen Frühmittelalter neu erfunden worden. In der frühen germanischen Dichtung verwendete man ihn nicht. Deshalb kann Faust in Goethes Dichtung die Griechin Helena mit Reimen bezaubern und sie staunt über den ihr unbekannten Wohlklang: Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,/ Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,/ Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen. Zur Bestätigung ihrer erblühenden Liebe wird, dass Helena auf Fausts „Pfand“ reimend antwortet: „Meine Hand.“ Definiert ist der Reim als Gleichklang von Silben, meist am Ende eines Verses. Pfand/Hand reimt zwei einzelne Silben, ist eine „männliche“ Endung. Wenn wie beim zweisilbigen Wände/Hände eine betonte und eine unbetonte Endsilbe sich reimen, ist sie „weiblich“.In der Verslehre gilt noch die alte Geschlechterdichotomie. Wenn der Gleichklang wie bei „Layla/geiler“ nur durch ungenaue umgangssprachliche Aussprache zustande kommt, ist das ein „unreiner Reim“ (➝ Rapper). Im Faust lässt der Hesse Goethe das Gretchen die Jungfrau Maria anflehen: Ach neige (im Dialekt gesprochen: neische), Du Schmerzenreiche,/Dein Antlitz gnädig meiner Not!Matthias Heine GGeorg Kreisler Ein gnadenloser Verfechter des Endreims war der 2011 in Salzburg verstorbene Komponist, Sänger und Dichter Georg Kreisler. Der große jüdische Anarchist, der sich stets dagegen verwahrt hat, Österreicher zu sein (und dann doch 1956 aus den USA nach Wien zurückkehrte), zeigte mit Liedern wie Tauben vergiften, Der Tod, das muss ein Wiener sein und Wien ohne Wiener, wie es mit dem Reim gehen kann: dass sich „muss“ auf „Antisemitismus“ reimt, „Legat“ auf „Antiquariat“, „Parlament“ auf „Happy End“ und natürlich „Wiener“ auf „Angina“. Dass Endreime tiefschwarz sein können, absurd oder surrealistisch, hintergründig, beißend, spöttisch, makaber, misanthropisch, apokalyptisch gar. Denn das ist das Schöne am Endreim bei Kreisler: Er kommt so einfach, so federleicht daher (➝ Al Bano), um dann auf den Abgrund zu deuten. Marc PeschkeHHandwerker Reime dienten historisch dazu, sich Texte zu merken. Handwerker etwa schufen Merkverse, um ihr Knowhow weiterzugeben. Diente zur oralen Überlieferung in der Antike das Versmaß, die Silbenanzahl, so war es seit der altgermanischen Epik der Endreim. Aus der Frühneuzeit sind Merkgedichte aus verschiedenen Zünften erhalten. Die waren oft gewollt zusammengereimt, es ging um Funktion, nicht Kunst. Einen Zweizeiler liefern die Fechtmeister, die damals zu den Handwerker zählten: „Erschrickst du gern, kein Fechten lern.“Tobias Prüwer JJingle Der Mais marschiert mit Zott ins Weekend Feeling, bei McDonald’s ist es einfach gut, und Oliver Bierhoff und Andi Köpke kriegen nie genug von Dany Sahne: Ende des 20. Jahrhunderts gab es praktisch keine Werbung, die ohne einen catchy Jingle auskam. Was damals in der Werbebranche galt, ist dank Tiktok-Trends und Spotify-Algorithmen heute Gesetz im Schlagerbusiness: Hauptsache es reimt sich und tut weh im Kopf (➝ Trinksprüche). Wo früher der Spot endete, endet heute die Story, und ein bisschen geil-geil-geiler Sexismus hat schon jede Zielgruppe vor dem Abschalten bewahrt. Insofern könnte die „Puffmutter“ namens „Layla“ genauso gut eine Bohrmaschine, Wandfarbe oder ein Dextrosebonbon sein. Simon SchaffhöferKKinderreime Morgens früh um sechs kommt die kleine Hex’/ Morgens früh um sieben schabt sie gelbe Rüben/ Morgens früh um acht wird Kaffee gemacht … Was da als Verherrlichung weiblicher Hausarbeit auf dem Lande erscheint – um neun geht sie in die Scheun’, um zehn holt sie Holz und Spän’, heizt den Ofen und kocht, damit das Essen um zwölf auf dem Tisch steht –, folgt langer Überlieferung. Diverse illustrierte Ausgaben und Vertonungen gibt es von diesem Gedicht. Kleine Kinder können üben, spielerisch mit Zahlen und Sprache umzugehen – und behalten es leichter im Gedächtnis, weil es gereimt ist. Hoppe, hoppe Reiter/ Wenn er fällt, dann schreit er. Backe, backe Kuchen/ der Bäcker hat gerufen – von früh an haben sich Reime ins Gedächtnis geschlichen. Woraus später vielleicht etwas Zwiespältiges entsteht. Einerseits behält Gereimtes seinen Reiz – viele Schlagertexte leben davon (➝ Al Bano) –, andererseits liegt uns das Wort „Kitsch“ auf der Zunge, weil die Wirklichkeit voller Ungereimtheiten steckt. Irmtraud Gutschke RRapper App, Crêpe, Krepp: Auf Rap reimt sich vieles. Im Rap selbst reimt sich noch mehr. Denn wie beim Verfassen von Bütten- und Geburtstagsreden vertreten Rapper als eisernes Prinzip: Reim dich oder ich fress dich! Natürlich kannten schon Schiller & Co. unreine Reime (➝ Faust), folgt dort auf „Höh’n“ „steh’n“, zieht ein „Lied“ leise durchs „Gemüt“. Da reimt sich dann Mama auf Hammer.Fettes Brot brachten die Zeilen „Absolute Wahnsinnsshow“ und „Im Fernsehen und im Radio“ zusammen – ein bisschen breiter ziehen, dann funktioniert das irgendwie. Den Zwang zum Reim im Rap nahm die Hip-Hop-Band Rödelheim Hartreim Projekt aufs Korn. Die 1993 gegründete Combo hatte natürlich eine Fehde mit der anderen Band, die deutschen Sprechgesang groß gemacht hat, den Fantastischen Vier. Rödelheims erste Platte namens Reime – ein einziges Disstrack. „Jede Menge Reime, die sich auch noch reimen“, heißt es da. Und: „Wir komm’n direkt aus Rödelheim, steck deinen Dödel ein / Ein harter Ort, ein hartes Wort / nimm deinen Blödelreim!“ TPTTrinksprüche Sie existieren in großen Mengen und fallen meist zu fortgeschrittener Stunde. Auf Familien- oder Firmenfeiern ersetzen sie manchmal das Tischgebet und sind meist von fragwürdiger Qualität (➝ Kinderreime). Es sind übrigens die „mittelalterlichen“ bis älteren männlichen Jahrgänge, die sich am Kneipentisch zu Wort melden: So konstatierte einst Wilhelm Busch: „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.“ Dann arbeiten sich die Reime von den oberen bis zu den unteren Körperteilen durch: „Ex und hopp, in den Kopp! Hopfen und Malz, ab in den Hals.“ Danach geht’s abwärts: „Zwischen Leber und Nierchen passt immer ein Bierchen“ oder „Bierbauch? Kann ich auch!“Beim Saufen kommen – zwischendurch – kurz auch mal Frauen in den Sinn, aber die Sprüche sind sinnfrei und meist politisch unkorrekt (➝ Versagensangst). Übrigens: Es gibt fast keine Sprücheklopferinnen, nur -klopfer. Dann geht’s weiter körperlich „abwärts“ nach dem Motto: „Alles fließt.“ „Alte Männer Tattergreise pinkeln auf besondere Weise“ (Rest bitte googeln). Mit der Melancholie nach dem Gelage beschäftigt sich ebenfalls so manch gereimter Spruch: „Ein Trinkgefäß sobald es leer, macht keine rechte Freude mehr.“ Für diese so wahre Tatsache gibt es einen ultimativen Endreim, der einst an einem Büchertisch entstand. Der Urheber ist momentan allerdings nicht sehr beliebt. „Hol’ mir mal ’ne Flasche Bier, sonst streik ich hier!“ (Na, wer?) Tipp: Der Mann mag auch Rotwein. Magda Geisler VVersagensangst Überkommt den Dichter die Versagensangst, dann wird er blind für das passende Reimwort, das oft buchstäblich auf der Straße liegt und einfach nur eingesammelt zu werden brauchte. Robert Gernhardt gibt in seinem Gedicht Bekenntnis ein Exempel für diese Notlage (➝ Zechen): „Ich leide an Versagensangst, / besonders, wenn ich dichte. / Die Angst, die machte mir bereits / manch schönen Reim zuschanden.“ Das für andere so Offensichtliche bleibt in diesem Vierzeiler dem danach Ringenden verborgen. Ein tragischer Moment! Aber in seiner Tragik der artikulierten Angst und Verfehlung ist Gernhardts so eindeutig verfehlter Reim rührend. Ganz anders als der präpotent-beherzte Knapp-vorbei-ist-eben-auch-daneben-Endreim „Layla-geiler“, der von der Versagensangst des Dichters nichts wissen will, zusammenzwingt, was nicht zusammengehört. Und dass er den für diesen Reimtyp gebräuchlichen Terminus technicus „unreiner Reim“ aus dem Metaphorischen ins Wörtliche holt, macht ihn nicht besser. Beate TrögerZZechen Wenn man ein richtiger Künstler ist, dann darf man auch Quatsch produzieren. Rainald Grebe weiß und wusste das, in seinem Lied Künstler geht es unter anderem darum, dass Künstler sich an Absinth totsaufen und allerlei andere Gelage feiern „dürfen“, während die kleinbürgerlichen Schichten sich all das untersagen, weil, ja, warum eigentlich? Sie sind eben keine Künstler, und daher ist alles, was sie unternehmen, auch keine Kunst. Grebe besingt, wie in seiner Familie höchstens „auf Geburtstagen was gereimt“ würde: „Sonne und Wonne, Merkel und Ferkel, zu mehr hat’s nicht gereicht.“ Etwas ganz anderes ist das natürlich, wenn echte Künstler oder ➝ Rapper so billig reimen. Konstantin Nowotny
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